Bello e impossibile: Innsbruck Alpine Trailrun Festival

IATF 2020: Basilia Förster © Lukas Dürnegger

Basilia Förster lief beim Innsbruck Alpine Trailrun Festival auf einen beeindruckenden achten Rang im Gesamtklassement und wurde damit im stark besetzten Feld zweitschnellste Frau über die Königsdistanz von 110 Kilometern. Hier schildert sie zusammen mit ihrem Mann und Betreuer Michael auf beeindruckende Art und Weise ihre Erfahrungen aus Innsbruck.

Kein Finish gleicht dem anderen

Samstag, früher Nachmittag. Die Mittagssonne gibt nochmal alles. Die Athleten des Innsbruck Alpine Trail Festivals auch. Angefeuert von DJ, Moderator und zahlreichen Zuschauern auf den Rängen laufen die Finisher in der Innsbrucker Olympiaworld ins Ziel. Alle Pandemie-Auflagen können an diesem weitläufigen Ort erfüllt werden. Ich blicke von der obersten Tribüne hinunter auf die Zielgerade. Kein Finish gleicht dem anderen. Meistens haben die erschöpften Beine 42 KM hinter sich, manchmal 80, einmal auch 103. Leichtfüßig oder mit letzter Kraft kommen sie an. Unterschiedlich, aber immer vereint im durch die Ziellinie ausgelösten Glücksgefühl.

Um Punkt 15 Uhr wird es laut. Die zweite Frau wird angekündigt. Nichts am Laufstil deutet auf über 100 Kilometer hin. Nichts auf über 4.400 Höhenmeter. Nichts auf 14 Stunden in Laufschuhen. Basilia sprintet durch die Stadionkurve. Freudestrahlend reißt sie ihre Arme nach oben. Es ist geschafft. Siegerin Katharina gratuliert als erste. Trailrun Spirit at it‘s best!

Gianna Nannini dröhnt aus den Boxen – bello e impossibile

Schön und unmöglich. Genau das ist dieser Zieleinlauf. Genau das ist dieses Event. So viele Herausforderungen hat das Veranstalterteam gemeistert. Termine wurden verschoben, das Startgelände ebenso. Die Strecken auch. Auflagen mussten erfüllt werden. Doch die Party fand statt, als ob nichts gewesen wäre. Die Laufwerkstatt lud ein. Die Gäste kamen.

Bello, bello e invincibile – nicht nur schön und eigentlich unmöglich, auch unbesiegbar präsentierte sich dieses Trailrun Festival. Könnte es ein besseres Signal gegenüber den Attacken dieser Pandemie geben? Trailrunner passen sich an. Arrangieren statt protestieren. Nur so lassen sich Hindernisse überschreiten.

Gianna Nannini singt weiter. È una forza che mi chiama sotto la città – Innsbrucks Kraft. Eine Stadt umgeben von mächtigen Bergen. Symbiose aus urbaner Lebensfreude und Ursprünglichkeit der Natur.

C’è una luce che mi invade non posso più dormire – Ich spüre dieses helle Licht der Spätsommersonne eindringen. Seit über 30 Stunden bin ich nun wach. An Schlaf ist trotzdem nicht zu denken. Ich fühle mich wie nach einem aufregenden Kinofilm mit anschließender Party.

Innsbruck‘s Insomnia

Innsbruck‘s Insomnia wäre ein passender Titel. Ein Thriller gefüllt mit Action, Tears and Drama. Und genau diesem Happy End, das sich gerade vor meinen Augen abspielt.

Ich schließe die Augen und spule zurück auf Anfang. Abends bin ich noch mal die ersten und letzten Kilometer der Strecke abgelaufen. Große Teile der Strecke kenne ich, aber nicht alles. Die dreistellige Distanz wird diesmal zum ersten Mal gelaufen. Wir ruhen uns noch etwas im Auto aus. An Schlaf ist nicht zu denken. Die Aufregung ist zu groß. Um 22 Uhr geht’s Richtung Stadion. Ausrüstungscheck bei Basilia. Supportcheck bei mir. Riegel, Gels, Drinks mit Carbs, Mineralien, Salztabletten. Alles mit dabei. Basilia kommt nach wenigen Minuten vom Aufwärmen zurück. Starke Kopfschmerzen. Jeder Schritt eine Qual. Mein Versuch, Aspirin zu organisieren bleibt erfolglos. Basilia betritt ihren Startblock. Ich postiere mich am Gastgarten des Bierstindls. Bereits hier nach einem Kilometer verlässt die Strecke die Stadt und taucht in die Sillschlucht ein. Dort wird es eng und trailig. Nach wenigen Minuten kommen die Läufer. Das Tempo ist hoch, denn Überholen auf den kommenden Singletrails ist so gut wie unmöglich. Basilia läuft flüssig im ersten Drittel mit. Erstmal alles gut. Auf nach Telfes zum ersten Verpflegungsposten.

Das gleiche Szenario, wie so oft auf den ersten Kilometern

1 Uhr morgens. Das Dorf schläft. Ich brauche etwas, um den VP am äußersten Ende des Ortes zu finden. Mit Stirnlampe postiere ich mich ein paar Meter davor. Die beiden führenden Frauen sind schon durch. Basilia verliert gegenüber der ersten Zwischenzeit. Endlich kommt sie. „Die Beine brennen. Ich weiß nicht was los ist“, ruft sie mir zu. Ich weiß schon, was los ist. Das gleiche Szenario, wie schon so oft auf den ersten zwanzig Kilometern. Danach wird es meistens besser. Wir tauschen die Getränkeflaschen. Noch ein Gel und Sekunden später verschwindet Basilia im dunklen Wald. Ich warte noch auf die vierte Frau. Der Abstand ist gering. Aber das Rennen noch lang.

Weiter geht’s für mich Richtung Birgitz. Etwas Zeit habe ich hier, während die Läufer über die Mutterbergalm kommen. Ich stelle den Wecker meines Smartphones 40min vor und lege mich auf die Rückbank. Auch wenn ich liege, gedanklich laufe ich mit. Mehrmals checke ich die Zwischenzeiten. Basilia findet ins Rennen. Ich keine Ruhe. Daher schalte ich den Wecker aus und gehe hinaus. Auch auf dem Downhill läuft Basilia eine gute Zeit. In Kranebitten liegt sie dann nur noch gut zehn Minuten hinter den Führenden. Nächste Station: Höttinger Bild. Das letzte Stück zu Fuß. Ich marschiere den Forstweg hinauf. Im Lichtkegel erblicke ich die malerische Kapelle. Doch wo ist die Verpflegung? Ich folge den Markierungen nach links. Nach über zehn Minuten habe ich noch immer niemanden getroffen. Ich trabe zurück. Rechts wäre richtig gewesen. Hinter einer Kurve ist alles hell erleuchtet. Die ersten drei Frauen liegen nun nur wenige Minuten auseinander. Auf dem Rückweg spüre ich die Müdigkeit. Im Auto vertraue ich dem Navi auf dem Weg zur Romediuskirche. Doch irgendwann endet die kleine Straße im Steilhang. Hoffentlich hält die Bremse. Da klingelt mein Smartphone. Basilia ruft an. Während des Rennens ist das nie ein gutes Zeichen. Sie hat sich mit einer Gruppe verlaufen. „Was passiert jetzt?“ Basilia weint. „Ich liege doch so gut im Rennen.“ „Bist du wieder auf dem Weg?“. „Ja“. „Dann lauf weiter. Ich treffe dich am VP“. Kurz nach mir läuft Basilia ein. Ich höre ihr Schluchzen schon von weitem. Wütend schleudert sie ihre Stöcke auf den Boden. Das süditalienische Temperament kommt zum Vorschein. Ich erkläre der hilfsbereiten Dame an der Verpflegung, was passiert ist. Sie lässt sich die Distanz auf Basilias Uhr zeigen. Über 60 Kilometer. Sogar etwas mehr als die Originalstrecke. Die Dame ruft bei der Rennleitung an. Grünes Licht zum Weiterlaufen. Doch hinsichtlich der Platzierung kann noch keine Aussage getroffen werden. Helfer, andere Läufer und auch ich ermutigen Basilia, nach vorne zu schauen. Eine extreme Herausforderung. Bewertung von Alternativen, mathematische Fragestellungen, und sind sie noch so einfach – all das gelingt während eines Rennens nicht mehr. Die Kohlenhydrate werden zum Laufen gebraucht, für das Denken ist da nicht mehr viel übrig. Oder es geht zu Lasten der Geschwindigkeit. Schlafmangel erschwert diesen Prozess zusätzlich. Den spüre auch ich nun immer deutlicher. Trotz Navi verpasse ich mehrere Abzweigungen. Wo will ich eigentlich hin? Der Plan war Patscherkofel. Doch ich entschließe mich, auch noch die VP Herzsee anzufahren. Schon bald kommt Basilia auf Platz 2 im Rennen liegend. Sie ist zurück! Doch die Situation bleibt angespannt. Auch ich spüre das. Im Auto gebe ich das Ziel Olympiaworld ein. Doch spontan biege ich nach links ab Richtung Patscherkofel. Das passt schon noch.

Das Sonnenlicht gibt mir neue Energie

Verpflegung in den Rucksack und auf geht’s. Im Laufschritt kämpfe ich mich die 1.000 hm nach oben. Das Wettkampffeeling färbt ab. Die Müdigkeit ist verflogen. Das Sonnenlicht gibt mir neue Energie. Viel zu früh bin ich am höchsten Punkt. Der Streckenposten notiert die Startnummern der Läufer. Es sind erst fünf Männer durch. Auf Platz 6 läuft die erste Frau, Katharina Hartmuth, an uns vorbei. Noch ein Mann, dann schon Basilia. „Was machst du da?“ ruft sie mir erstaunt zu. „Du schaffst es schon rechtzeitig ins Ziel?“. Klar. Ich nehme trotz meiner „No Shortcuts“-Kappe die Bahn. Den Downhill sind wir drei Tage zuvor abgegangen. Steile Singletrails wechseln sich mit der Forststraße ab. Angefeuert von zahlreichen Wanderern läuft Basilia Richtung Talstation. „Wie weit ist es noch?“ fragt sie. „6-8 Kilometer“, antworte ich. Als ich ein unterschwelliges Entsetzen auf ihrem Gesicht entdecke, schiebe ich gleich nach „Luftlinie sind’s nur 4“. Wir werden später den Videoclip hierzu viele Male anschauen und über diesen spontanen Kommentar nicht mehr aufhören zu lachen.

Es bleibt nur ein Bad in der eiskalten Sill

Nun stehe ich also auf der Tribüne und genieße den Zieleinlauf. Nicht ohne mich vorher nochmal bei der Rennleitung zu versichern, dass alles in Ordnung geht.

Die Stunden bis zur Siegerehrung am Abend geistern wir gleich den Gestalten aus Stephen King‘s Insomnia durch Innsbruck. Nachdem es coronabedingt keine Duschen gibt, bleibt nur ein Bad in der eiskalten Sill. Das ist jetzt besser als Koffein.

Es ist 21 Uhr als Basilia freudestrahlend ihren Pokal auf der Bühne in Empfang nimmt.

Die 40-Stunden-Marke ohne Schlaf ist bald erreicht, als wir in die schwarze Nacht hinausgehen. „Girano le stelle nella notte ed io“.