Natriumhydrogencarbonat: Wie das unscheinbare Wundermittel aus der Küche die sportliche Leistung steigert - xc-run.de Trailrunning

Natriumhydrogencarbonat: Wie das unscheinbare Wundermittel aus der Küche die sportliche Leistung steigert

Natriumhydrogencarbonat – besser bekannt als Backnatron – steht bei den meisten einfach im Küchenschrank. Doch was viele nicht wissen: Dieses unscheinbare Pulver gehört laut Internationalem Olympischen Komitee zu den fünf wirkungsvollsten Supplementen im Sport. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris soll rund 80 % der Ausdauersportler auf Natriumhydrogencarbonat gesetzt haben, um ihre Leistung zu steigern.

Warum wirkt es? Für welche Belastungen ist es sinnvoll? Und worauf müssen Sportler achten? Genau darum geht es hier.

Kurzfassung: Natriumhydrogencarbonat verlängert die Zeit bis zur Ermüdung bei kurzen, hochintensiven Belastungen. Vermutlich geschieht das durch eine Verringerung der Übersäuerung und/oder des Phosphat-Anstiegs in den Muskeln. Wichtig: Auf magenresistente Formen setzen und Dosierung/Timing beachten.


Wie wirkt Natriumhydrogencarbonat im Körper?

Der Säurepuffer im Blut

Die Hauptwirkung: Backnatron puffert die Säure im Blut. Es hilft, überschüssige Wasserstoff-Ionen (H⁺) aus der Muskulatur abzutransportieren, sodass diese wieder in einen weniger sauren Zustand zurückkehrt.


Hintergrund: Energieproduktion, Übersäuerung und Leistungseinbruch

ATP und die Entstehung von Säure

ATP (Adenosintriphosphat) ist der universelle Energiespeicher unserer Zellen. Bei intensiver Belastung entstehen beim ATP-Abbau Nebenprodukte – darunter Wasserstoff-Ionen, die den pH-Wert in den Muskelzellen senken (Übersäuerung = Azidose).

Fun Fact: Laktat ist nicht der „Bösewicht“. Es wird gemeinsam mit H⁺ gebildet und hilft sogar, diese zu puffern. Der Hauptverursacher der Übersäuerung ist der ATP-Abbau selbst.


Warum Übersäuerung Leistung kostet

Im Ruhezustand liegt der pH-Wert der Muskulatur bei ca. 7,0. Bei hoher Belastung kann er auf Werte um 6,2 fallen – und das hat spürbare Folgen:

  • Enzyme zur Energiegewinnung arbeiten schlechter

  • Die Calciumsteuerung für Muskelkontraktionen wird gestört

  • Die ATP-Nutzung wird eingeschränkt

  • Muskelkraft und Ausdauer sinken

Auch das bekannte „Brennen“ in den Muskeln hängt vermutlich mit diesem pH-Abfall zusammen.


Die Rolle des Bicarbonats

Die Nieren stellen natürlicherweise Bicarbonat her, das überschüssige H⁺ bindet. Bei niedriger Intensität reicht diese Menge aus. Bei hoher Intensität aber entsteht so viel Säure, dass der natürliche Puffer überlastet wird.

Die Lösung: Supplementierung mit Natriumhydrogencarbonat, um die Pufferkapazität zu erhöhen und H⁺ schneller aus der Muskulatur zu transportieren.


Mögliche zweite Ursache: Phosphat

Neuere Forschung deutet darauf hin, dass nicht nur die Säure, sondern auch Phosphat (Abbauprodukt aus Phosphokreatin) die Muskelfunktion stört, indem es die Calciumfreisetzung hemmt.
Bicarbonat beseitigt Phosphat nicht direkt – doch durch die Pufferung der Säure bleibt das Zellmilieu stabiler, was auch den Phosphatabbau begünstigen könnte.


Wann lohnt sich der Einsatz von Natriumhydrogencarbonat?

  1. Sehr intensive Intervalle über FTP oder Critical Power

    • Typisch: 2–15 Minuten Belastung (z. B. Sprints, Mittelstrecken, Bergintervalle).

  2. Langdistanzen mit Leistungsspitzen

    • Sinnvoll bei Rennen mit steilen Anstiegen, Tempoverschärfungen oder Endspurts.


Unterstützt es auch das Training?

Ja, möglicherweise. Wer durch Natriumhydrogencarbonat härter trainieren kann, setzt stärkere Trainingsreize. Zudem könnten die Mitochondrien in dem weniger sauren Milieu besser arbeiten.
Die Belege hierfür sind allerdings schwächer als für den direkten Leistungsnutzen im Wettkampf.


Mögliche Nebenwirkungen

  • Durchfall: Zu große Einzeldosen ziehen Wasser in den Darm – deshalb besser auf mehrere kleine Portionen verteilen.

  • Wassereinlagerungen: Durch den Natriumanteil steigt die Wasserspeicherung im Gewebe → Gefühl von Schwere oder Völlegefühl.

  • Aufstoßen/Bauchdruck: Reaktion mit Magensäure bildet CO₂, das als Gas entweicht.


Einnahmeempfehlungen

  • Dosierung: 0,2–0,3 g pro kg Körpergewicht

  • Timing: Erste Hälfte 120 Minuten vor Belastung, zweite Hälfte 60 Minuten vorher

  • Aufteilung: In zwei kleinere Portionen splitten

  • Langdauerbelastungen (>3 h): 5 g pro Stunde nachlegen

  • Form: Magenresistente Tabletten oder Kapseln

  • Kombination: Eventuell synergistisch mit Beta-Alanin; Wirkung mit Koffein noch unklar


Persönliches Fazit – Praxistest

Man muss es schon wollen!
Bei meinem Gewicht bedeutet die empfohlene Dosierung stolze 15 (!) sehr große Tabletten zu schlucken. Das erfordert nicht nur gute Planung – immerhin muss man schon 120 Minuten vor dem Training anfangen –, sondern auch eine gewisse Portion Überwindung.

Im Praxistest bei schnellen, harten Intervallen hatte ich das Gefühl, dass sie etwas weniger weh taten. Schneller war ich dadurch allerdings nicht. Für den Wettkampfeinsatz im Trailrunning sehe ich den Nutzen vor allem bei sehr kurzen Distanzen. Auf Ultradistanzen bleibt man in der Regel deutlich unter der Schwelle, und hier ist das Risiko von Magenproblemen wohl größer als der mögliche Nutzen.

Mein Fazit: Für sehr ambitionierte Trailrunner kann Natriumhydrogencarbonat ein Baustein sein – besonders bei Rennen mit steilen Anstiegen, Endspurts oder harten Intervallen. Entscheidend sind die richtige Form, Dosierung und ein geübter Einsatz im Training, um böse Überraschungen am Wettkampftag zu vermeiden.

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