Johanna Hiemer wurde am 26. Februar 1995 in Schladming (Österreich) geboren und lebt mittlerweile im Allgäu. In einer sportlich aktiven Familie aufgewachsen, ist der Berg für sie seit Kindheit an ein natürlicher Lebensraum. Nach dem Skigymnasium Saalfelden und einem Jurastudium führte sie ihr Weg zunächst in den Langlauf – doch die Bewegung hinauf statt hinunter ließ sie nicht mehr los: Sie fand ihre Leidenschaft im Skibergsteigen.
Mit der Geburt ihrer beiden Söhne Emil (2018) und Paul (2020) legte Johanna eine kurze Pause vom Spitzensport ein. Doch mit dem olympischen Debüt des Skibergsteigens 2026 im Blick kämpfte sie sich beeindruckend zurück und feierte Weltcup-Podestplätze. Gemeinsam mit ihrem österreichischen Mixed-Partner Paul Verbnjak sicherte sie sich einen Quotenplatz für die Olympischen Winterspiele 2026.
Neben dem Skibergsteigen ist Johanna eng mit dem Trailrunning verbunden – für sie mehr als nur Training: eine mentale Ressource, ein Freiheitsmoment, ein Stück Identität.
Zwischen Gipfeln, Familie und Olympia: Ein Gespräch mit Johanna Hiemer
Johanna, warum ist Trailrunning für dich – neben dem Skibergsteigen – die schönste Sportart der Welt?
Für mich ist Trailrunning einfach eine wunderschöne Art, mich im Sommer in den Bergen zu bewegen – und das am liebsten laufend. Ich bin damals tatsächlich über meinen Sponsor Dynafit zum Traillaufen gekommen. Vorher hatte ich mit Trailrunning eigentlich gar nichts am Hut. Mein erster Wettkampf liegt inzwischen über zehn Jahre zurück, und das war gleich ein Ultra über 50 Kilometer. Das hat mir von Anfang an unglaublich getaugt.
In den letzten zwei Jahren habe ich die Wettkämpfe etwas zurückgestellt, weil sie nicht ideal ins Training gepasst haben. Aber nach Olympia möchte ich auf jeden Fall wieder mehr Trailrennen laufen.
Du bist in Schladming aufgewachsen, lebst heute im Allgäu – wie hat dich dieser Weg geprägt? Und wie viel von deiner Kindheit in den Bergen steckt heute noch in dir als Sportlerin und Mama?
Wenn man in Schladming aufwächst, lebt man ja mitten im Skigebiet. Die Berge sind quasi der eigene Spielplatz.
Meine Eltern waren mit uns Kindern viel draußen – im Winter mit Ski, im Sommer zu Fuß. Das prägt einen fürs Leben.
Im Allgäu sind die Berge zwar anders, aber nicht minder schön. Dieser Bezug zu den Bergen ist einfach tief in mir drinnen. Wenn man das von klein auf erlebt, hat man einen ganz anderen Zugang dazu, als wenn man erst als Erwachsener damit beginnt die Berge für sich zu entdecken.
Nach der Geburt deiner Söhne Emil und Paul hast du eine Pause eingelegt. Welche Herausforderungen haben dich in dieser Zeit am meisten beansprucht – und was war der Moment, in dem du gespürt hast: Ich will zurück in den Wettkampfsport?
Ich war eigentlich nie wirklich weg vom Wettkampfsport. Drei Monate nach der Geburt meines ersten Sohnes bin ich die Sellaronda gelaufen, vier Monate später die Mezzalama. Aber damals habe ich mich eher als ambitionierte Hobbysportlerin gesehen.
Nach der zweiten Geburt war ich acht Wochen später schon bei den nationalen Meisterschaften. Das Wettkampffeuer hat also nie aufgehört zu brennen.
Der eigentliche Startschuss für den Profisport kam dann, als mein zweiter Sohn etwa ein halbes Jahr alt war und bekannt wurde, dass Skibergsteigen 2026 olympisch wird. Da wusste ich: Okay – jetzt gehe ich es richtig an.
Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus, wenn du Training, Familie, Schule/Kita-Organisation und Regeneration vereinen musst? Und wo findest du in diesem vollen Tagesplan Raum für dich selbst?
Ganz ehrlich: Alltagstage sind oft richtig taff. Da bleibt eigentlich keine Zeit für mich. Regeneration ist bei mir eher selten, weil trainingsfreie Tage meistens den Kindern oder dem Haushalt gehören.
Dazu kommen unzählige organisatorische To-dos, die einen als Mama begleiten – manchmal wächst mir das auch über den Kopf. Dann muss ich mich selbst bremsen und sagen: Langsam, Schritt für Schritt.
Das Training ist oft meine einzige richtige Zeit für mich. Und es ist ein großes Privileg, meinen Sport als Beruf ausüben zu dürfen.
Hast du das Gefühl, dass dich die Mutterschaft mental oder körperlich stärker gemacht hat? Und welche klassischen „Mama-Herausforderungen“ begleiten dich vielleicht auch heute noch als Profisportlerin?
Mama sein wappnet einen auf jeden Fall. Aber ich habe mir die letzten Jahre auch oft selbst im Weg gestanden. Ich wollte gleichzeitig eine sehr gute Mama und eine sehr gute Athletin sein – und wenn man ehrlich ist, lässt sich beides nicht immer perfekt vereinen. Den Druck habe ich mir oft selbst gemacht. Die typischen Mama-Herausforderungen werden mich wahrscheinlich ein Leben lang begleiten.
Aber das Schöne ist: Man wächst daran.
Wie erklärst du deinen Kindern, warum Mama so viel trainiert und auf Wettkämpfe fährt? Und was bedeuten dir ihre Reaktionen oder Rituale vor und nach Rennen?
Das Wegsein war für mich eine der größten Herausforderungen. Die Kinder wollen immer genau wissen, wie viele Tage ich weg bin und wohin ich fahre. Seit zwei Jahren fiebert mein Großer richtig mit – und fragt mich nach jedem Rennen, warum ich nicht Erste geworden bin.
Auf Reisen habe ich immer ein Kuscheltier von den Kindern dabei. Das hilft gegen das Heimweh – ein bisschen zumindest.
Olympia 2026 rückt näher: Welche körperlichen, mentalen und organisatorischen Vorbereitungen laufen bei dir gerade? Und mit welchen persönlichen Zielen blickst du auf dieses erste olympische Skibergsteigen?
Jetzt beginnt die heiße Phase. Die letzten drei Monate vor Olympia sind voll durchgeplant, und es geht jetzt darum, Routinen beizubehalten und vor allem gesund und fit zu bleiben.
Mein größtes Ziel war und ist die Teilnahme an den ersten olympischen Skibergsteigerbewerben. Und wenn an dem Tag alles passt, haben wir im Mixed auf jeden Fall das Potenzial für eine Medaille.
Der olympische Gedanke bringt immer eine besondere Art von Druck mit sich. Wie schaffst du es, diesen als Mutter und Leistungssportlerin auszubalancieren – zwischen Ambition, Vorbildfunktion und Familienalltag?
Die mentale Komponente ist für mich mittlerweile extrem wichtig. Ich hatte in den letzten Jahren oft Momente, in denen mir alles über den Kopf gewachsen ist.
Durch mentales Training habe ich viele Werkzeuge bekommen, die mir jetzt helfen, mich besser zu fokussieren und mit Druck umzugehen. Das macht mich stabiler – als Sportlerin und als Mama.
Was verbindet für dich Trailrunning und Skibergsteigen – technisch, konditionell, mental? Und wo ergänzen sich die beiden Sportarten vielleicht sogar perfekt?
Beide Sportarten spielen sich in den Bergen ab – und für beide braucht man eine ordentliche Grundfitness. Beim Skibergsteigen kommt natürlich die Ausrüstung dazu, und viele haben Respekt vor dem Skifahren bergab. Mental muss man da einfach noch ein Stück stärker sein.
Trotzdem gehören beide Szenen für mich zusammen: Menschen, die die Berge lieben, die gerne draußen sind und die es mögen, sich schnell und leicht in der Natur zu bewegen.
Nutzt du Trailrunning gezielt als Vorbereitung für die Skimo-Saison? Und wie sieht eine typische Laufeinheit aus, die dich im Sommer stärker für den Winter macht?
Ja, absolut. Ich laufe im Sommer sehr viel – auch bergab, was viele meiner Teamkollegen eher meiden und mit der Gondel runterfahren.
Ich laufe aber gern bergab und profitiere auch technisch davon.
Viele meiner Einheiten sind lange Bergtouren, Intervalle bergauf mit Stöcken oder kurze Sprints mit Stöcken zwischen 10 und 30 Sekunden. Das alles stärkt mich sehr gut für die Skimo-Saison.
Gibt es bestimmte Trailrennen oder Bergläufe, die dich besonders begeistern – egal ob wegen der Strecke, der Atmosphäre oder der persönlichen Bedeutung? Und gibt es Rennen, die du unbedingt noch angehen möchtest?
Ich durfte schon einige tolle Rennen laufen – bei euch im Lamer Winkel den U.TLW, den Glockner Ultra, den Transalpine Run … Die Stimmung an der Strecke und im Ziel war immer etwas ganz Besonderes. Das hat mir in den letzten zwei Jahren in denen ich keine Rennen bestritten habe ehrlich gesagt auch total gefehlt.
Ich habe mir für das kommende Jahr bereits zwei Laufprojekte vorgenommen, auf die ich mich sehr freue. Langfristig habe ich den Wunsch auch noch einmal in Chamonix bei einem der UTMB-Rennen zu starten. Diese besondere Atmosphäre durfte ich beim OCC schon einmal erleben und dort möchte ich in absehbarer Zukunft gerne noch einmal starten.
Was motiviert dich an den Tagen, an denen alles gleichzeitig passiert – Training, Kinder, Verpflichtungen? Was ist die innere Stimme oder der Gedanke, der dich weitermachen lässt?
An solchen Tagen – und davon gibt es viele – habe ich in den letzten Jahren immer Olympia vor Augen gehabt. Ich habe im Alltag, aber auch im sozialen Leben viele Abstriche gemacht, und das war oft alles andere als leicht.
Aber der Traum war immer da. Das hat mich durch harte Phasen getragen.
Welche Worte möchtest du anderen Müttern oder Athletinnen mitgeben, die – genau wie du – große Träume haben und sich manchmal fragen, ob beides möglich ist: Familie und Spitzensport?
Ich glaube fest daran, dass fast alles möglich ist – mit Willen, Durchhaltevermögen und dem richtigen Umfeld. Ohne meinen Mann, meine Eltern, meine Schwiegereltern und meine engen Freunde wäre das alles nicht möglich gewesen. Diese Unterstützung muss man annehmen dürfen.
Und von dem her gebe ich den Müttern mit, dass man immer seinem Herzen und seinen Träumen folgen soll und man dann auch einfach Hilfe annehmen darf, kann, soll, muss. Alleine geht vieles, aber gemeinsam geht es besser.
Danach kann nichts mehr kommen. Danke Johanna und viel Erfolg bei den Olympischen Winterspielen 2026!