Zwischen Hubschrauber-Rettung und Nagel-Trepanation: Dr. med. Robert Margerie erzählt vom Alltag der Medical Crew - xc-run.de Trailrunning

Zwischen Hubschrauber-Rettung und Nagel-Trepanation: Dr. med. Robert Margerie erzählt vom Alltag der Medical Crew

Erste-Hilfe-Einsatz der Medical Crew © Medical Crew via Facebook

Sportmediziner, sub3-Marathon-Läufer, Trailrunner – und seit 10 Jahren Teil der Medical Crew: Dr. med. Robert Margerie kennt die Sonnen- und die Schattenseiten im Laufsport. Und wer in den letzten Jahren den Transalpine Run gelaufen ist, kennt wahrscheinlich auch ihn. Als Teil der Medical Crew ist er regelmäßig mit großem Notfallrucksack auf der Strecke, sichert, berät und versorgt. Was er dabei sieht und erlebt, erzählt er im XC-RUN.de-Interview.

Die Medical Crew ist ein Dienstleister, der medizinische Teams für Groß- und Extremsport-Events zusammenstellt. Morgens stehen sie schon vor den Startenden im Medical Tent, sind tagsüber auf der Strecke und in den Trails unterwegs, betreuen abends noch lange die Blessuren der Finisher und stellen im Notfall den Kontakt zu den örtlichen Rettungskräften her. Außerdem bietet die Medical Crew GbR Fortbildungen im Basic Life Support (BLS) und Advanced Cardiac Life Support (ACLS) an.

Nachdem Robert Margerie 2013 selber erfolgreich den Transalpine Run (hier findet ihr unser Archiv zum Transalpine Run) absolvierte, suchte der Sportarzt den Kontakt zur Medical Crew – ist seitdem festes Mitglied des Teams und hat schon diverse Rennen begleitet. Dabei hat er so manche bewegende Geschichte und lange Tage erlebt.

Zwischen Hubschrauber-Rettung und Nagel-Trepanation: Interview mit Dr. med. Robert Margerie

Die Medical Crew steht nicht nur an festen Stellen, sondern ist im Trail unterwegs. Muss man neben der medizinischen Expertise auch Trailrunner*in sein, um Mitglied der Medical Crew zu werden?

Die Medical Crew unterwegs im Trail © Medical Crew via Facebook

Robert: Das Team besteht in erster Linie aus Notfall-Sanitäterinnen, Ärzten und medizinischen Fachkräften aus der Notfallversorgung. Man muss also nicht selber laufen – aber es hilft natürlich, da man die Laufenden dann besser versteht und wir halt auch auf der Strecke in den Trails unterwegs sind.

Ihr habt schon bei Einzel-Events lange Tage. Wie sehen eure Tage bei einem Etappenrennen wie dem Transalpine Run aus?

Robert: Die Tage sind sehr lang und körperlich anstrengend. 1h vor dem Start öffnen wir das Medical Tent im Startbereich und versorgen kleinere Blessuren wie Blutergüsse unter Fußnägeln, Blasen, Tape-Verbände und ähnliches. Wir haben so schon einige Läuferinnen und Läufer wieder fit gemacht, die fast schon aufgegeben hätten. Gleichzeitig checken wir natürlich auch, wer evtl. nicht mehr in der körperlichen Verfassung ist, um zu laufen ohne sich oder andere zu gefährden.

Nach dem Start bringen wir das Zelt zum Ziel, besetzen alle VPs – idealerweise mit Fahrzeugen und mit Sanitäter*innen – und gehen in 2er-Teams mit Notfallrucksäcken (die rund 15km schwer sind – Anm. d. Red.) an die kritischen Stellen im Trail. Damit können wir eine fast komplette Streckenabdeckung gewährleisten. Das ist schon Luxus und wird nur bei wenigen Veranstaltungen so angeboten.

Einsatzzelt Erste-Hilfe-Einsatz der Medical Crew © Medical Crew via Facebook

Das Zelt im Zielbereich muss dabei ziemlich schnell aufgebaut werden, da die Profis oft schon nach wenigen Stunden ankommen, die Langsamsten aber oft erst am Abend. Dann bleibt das Zelt noch mindestens 1h lang nach Zielschluss geöffnet. Und am nächsten Tag geht es wieder von vorne los und wir stehen schon im Startbereich, während manche Teilnehmenden noch beim Frühstück sind.

Gab es schon Situationen auf der Strecke, die für dich schwer zu verdauen waren?

Robert: Heftig war eine Amerikanerin vor ein paar Jahren, die eine solche Angst hatte, unterwegs Schmerzen zu bekommen, dass sie schon 2 Wochen vorher Schmerzmittel eingenommen hatte. Die ist dann auf der Strecke kollabiert und musste mit einem Hubschrauber ausgeflogen werden.

Eine andere Amerikanerin – seltsamer Zufall übrigens – stürzte immer wieder auf der Strecke, da sie das Gelände anscheinend nicht gewohnt war und sich nicht genügend vorbereitet hatte. Wir legten ihre nahe, das Rennen abzubrechen, konnten sie aber nicht rausnehmen, da sie zurechnungsfähig war. Sie wollte unbedingt weiter. Die Alpenüberquerung war ihr großer Traum. Irgendwann stürzte sie so ungünstig, dass sie sich den Knöchel brach und ebenfalls ausgeflogen werden musste. Da zerbröselte ein Lebenstraum.

Es gab auch mal einen Kameramann, der wurde per Hubschrauber auf eine rund 3.000 Meter hohe Stelle der Strecke geflogen, um dort zu filmen. Anscheinend fehlte es an der nötigen Vorbereitung bei ihm – er hatte nichtmal ordentliche Trail-Schuhe an. Er filmte im Laufen, stürzte, verletzte sich am Kopf und musste ausgeflogen werden. Dann aber natürlich über die Rettungskräfte, denn sein Flug-Shuttle hin war längst weg.

Die Medical Crew nach dem TAR 2019 © Medical Crew via Facebook

Insgesamt passiert aber relativ wenig. Die Strecken sind meistens gut und gut markiert, die Teilnehmenden entsprechend vorbereitet. Die meisten Rennabbrüche erfolgen aus eigener Entscheidung wegen Überlastung – ohne ernsthafte Verletzungen.

Du kennst die Wehwehchen der Trailrunner*innen nicht nur als aktiver Läufer, sondern auch aus der medizinischen Sicht und der Notfallversorgung. Welche Tipps kannst du uns mitgeben?

Robert: Ziemlich einfach ist es z. B., einen Tape-Verband oder Fixomull vorsorglich anzulegen, um Druckstellen vom Laufrucksack am Hals oder den Schultern abzukleben. Füße können getaped werden, wenn das vorher getestet wurde. Nicht alle laufen gut damit. Auch Blutergüsse unter Zehnägeln können recht einfach aufgebohrt werden, so dass man wieder sauber laufen kann. Die Medical Crew hat dafür das nötige Equipment und die Erfahrung.

Wer eine Blase hat und die lieber selber aufstechen möchte, sollte dringend darauf achten, dass dies steril passiert, da sonst Dreck und Bakterien in die Wunde kommen können. Generell ist Fußpflege sehr wichtig – dazu zählen auch gute Laufsocken und Schuhe.

Welchen Fehler machen leider viel zu viele Läufer*innen im Training?

Erste-Hilfe-Einsatz der Medical Crew © PHILIPP REITER / Medical Crew via Facebook

Robert: Ganz klar: Ungeduldig sein. Ultras zu laufen braucht lange Vorbereitung. Wir reden hier nicht nur von langen Distanzen, sondern auch von vielen Höhenmetern und forderndem Terrain. Da sind Schnellschüsse absolut fehl am Platz. Die nötigen körperlichen Anpassungen brauchen Jahre, wenn man gesund durch einen Ultra-Trail kommen möchte. Außerdem muss das Training spezifisch sein. Wer Downhills auf der Strecke hat, muss Downhills üben. Es reicht nicht, stark im Straßenmarathon zu sein, wenn der Trailrun durch alpines Gelände führt.

Wenn wir als Medical Crew sehen, dass diese Vorbereitung nicht ausreichend vorhanden ist, nehmen wir die Personen allerdings nicht gleich aus dem Rennen. Das ist wahrscheinlich ein entscheidender Unterschied zu normalen Sanis, die selber nicht laufen. Diese Erfahrung „es geht einfach nicht mehr“ ist eine essenzielle Erfahrung für Läufer*innen. So lange sie niemanden gefährden, werden wir ihnen diese Erfahrung nicht nehmen.

Zum Schluss nochmal persönlich: Welche Highlights sind dir aus deiner bisherigen Zeit als Läufer an eindrücklichsten im Gedächtnis?

Robert im Ziel des Transalpine Run 2019 © Medical Crew via Facebook

Robert: Das kann ich gar nicht mal sagen, weil es nach so vielen Jahren ziemlich viel ist. Da ist meine Marathon-Bestzeit von unter 3h, aber auch mein erster Transalpine Run. Da ist die Brocken Challenge, die ich 3 Wochen nach einer Krankheit laufen konnte und der Halbmarathon, bei dem ich meine Tochter gepaced habe. Da ist ein Start auf Madeira und auf den Azoren – auch wenn letzteres alles andere als gut lief.

Ich sehe mich mittlerweile als Lebensläufer und genieße es sehr, ohne Wettkampf zu laufen. Entsprechend stehen 2023 auch keine großen Events an. Ich laufe natürlich Marathons und auch Ultras dieses Jahr – aber privat, mit Freunden, im Training.

Tobias Gerber

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