Gran Trail Courmayeur: Mont Blanc Medley

„Die 100 Kilometer und 7000 Höhenmeter des Gran Trail Courmayeur sind so etwas wie die Best-Of-Version der Mont Blanc Region: Streckenteile des UTMB, TDS, TOR und Vertical Courmayeur vereinen sich zu einem Medley, in dem die einzelnen Teile fließend ineinander übergehen.“ Basilia Förster berichtet von ihrem Comeback auf den langen Strecken:

Gran Trail Courmayeur – Mont Blanc Medley

Gran Trail Courmayeur © xc-run.de

„Io questo weekend. Saluto tutti e me ne vado a Courmayeur.“ Gabri Ponte läuft aus meiner Spotify-Playlist. Heute passt der Song perfekt. Michael und ich machen uns auf nach Courmayeur. Es ist jedesmal ein unbeschreibliches Gefühl, wieder das Mont Blanc-Massiv zu sehen. Lange könnte man diskutieren, wo es dort am schönsten ist. Vielleicht bin ich als Italienerin etwas voreingenommen. Aber Courmayeur ist für mich schon etwas Heimat. Das hat weniger mit der Anzahl meiner Emotionen, als mit deren Intensität zu tun. Start des TDS, Schlüsselstelle meiner drei UTMBs. Auch Trainingstouren haben unvergessene Bilder in meinem Gedächtnis hinterlassen. Und fast genauso einprägsam sind die vielen Erzählungen von Michaels TOR-Projekt. Ich bin schon ganz gespannt darauf, bald einmal selbst die unzähligen Berge des Aostatals zu erkunden.

Best of Mont Blanc Region

Der Gran Trail Courmayeur ist ein guter Anfang. Das Streckenprofil mit mehr als hundert Kilometern und über 7.000 Metern im Auf- und Abstieg verspricht einen veritablen Formtest. Mehrere Trails bis fünfzig Kilometer bin ich zum Formaufbau seit meiner Operation gelaufen. Ich bin gespannt, wie es mir auf doppelt so langer Strecke gehen wird. Auf jeden Fall freue ich mich riesig auf den Kurs. Es ist sowas wie die Best-Of-Version. Streckenteile des UTMB, TDS, TOR und Vertical Courmayeur vereinen sich zu einem Medley, in dem die einzelnen Teile fließend ineinander übergehen. Ich bin aufgeregt.

In bocca al lupo

Gran Trail Courmayeur

600 Starter warten dichtgedrängt auf der Piazza Abbé Henry. Langsam setzt die Dämmerung ein. Ein warmer Sommerabend. Partystimmung. Viele gehen heute aus, um neue Leute kennenzulernen. Wir werden uns selbst besser kennenlernen. Kurz vor 22 Uhr. Der Countdown. Mit dem hier typischen Glückwunsch „In bocca al lupo“ werden wir auf die Strecke geschickt.   

Eine kleine Schleife durch die Fußgängerzone der Via Roma, dann in den Ortsteil Dolonne und nun flußabwärts auf den ersten Trails nach Pré-Saint-Didier. Nebelpartikel funkeln im Schein meiner Stirnlampe. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Wir erwarten Regen in der Nacht. Die ersten fünf Kilometer vergehen wie im Flug. Auch der erste Anstieg beginnt verhalten. Doch schon bald wird das Gelände steiler und bergiger. Endlich ist der Colle della Croce erreicht. Rechts unten funkeln die Lichter La Thuiles. Es ist kurz nach Mitternacht. Der erste Downhill führt noch lange nicht nach unten ins Tal. Stattdessen queren wir in permanentem Auf und Ab horizontal den Hang. Stellenweise sehr technisch, immer wieder auch seilversichert. Endlich erreichen wir das Rifugio Deffeyes. Gerade rechtzeitig, um meine leeren Flasks aufzufüllen. Ich überhole die bis dato dritte Frau. Ich will nicht über die Platzierung nachdenken. Ich kann meine Form nicht einschätzen und das Rennen ist noch lang. Trotzdem freue ich mich ein bisschen. Am meisten aber darüber, überhaupt wieder solche Abenteuer bestreiten zu dürfen.

Der TOR entgegen

Gran Trail Courmayeur © xc-run.de

Der Abstieg ist feucht und rutschig. Ich konzentriere mich bei jedem Schritt. Das Wasser rauscht in immer größeren Bächen neben uns ins Tal. Ich würde das gerne tagsüber sehen. So wie die Läufer der Tor de Geants, die hier heraufkommen. Wie in jedem Downhill bin ich erstaunt, wieviele Höhenmeter ich schon aufgestiegen bin und nun wieder hinunter muss. La Thuile schläft, als ich ankomme. Nur einzelne Betreuer kümmern sich um ihre Läufer. Ich bin heute allein unterwegs. Michael ist auch auf der Strecke. Immerhin ein Drittel der Strecke ist geschafft. Nach der Talquerung geht es langgezogen hinauf zum Col d’Arp. Die Strecke verlässt die TOR-Route nun nach links und schlängelt sich weiter nach oben auf den Mont Nix auf 2.830m. Hier oben ist es deutlich kälter. Regen und Nebel hüllen die Berge ein. Viele ziehen ihre Jacken an. Ich ziehe erstmal die Ärmlinge nach oben. Im Morgengrauen lichtet sich der Nebel. Fels und Gletscher des Mont Blanc-Massivs schimmern durch. Unter uns die Nebeldecke. Wunderschön. Fast wie auf Wolken zu laufen.

Erinnerungen

Gran Trail Courmayeur

Stetig führt der Singletrail vom Mont Fortin hinab. Die Forststraße weckt Erinnerungen an den TDS. Entgegengesetzt laufe ich zum Col Chavanne. Damals lief ich kurz danach ins Gewitter. Zum Glück wird heute das Wetter besser. Steile Schneefelder durchschneiden von oben die Hänge. Ich lasse die Crampons im Rucksack. „Balliamo Sulla Neve“. Lieber nicht. Ausrutschen will ich hier lieber nicht. Weiter geht es hinüber zum Col de la Seigne. Beim UTMB ist hier noch tiefste Nacht. Heute kann ich mir mal alles bei Tageslicht ansehen. Die Strecke wurde etwas verkürzt, da an den Pyramides Calcaires noch zu viel Schnee liegt. Der Weg führt direkt hinunter zum Rifugio Elisabetta, vorbei an der Casermette. Vor zwei Jahren fanden Michael und ich hier Schutz während eines überraschend schnell aufgezogenen Gewitters. Den Weg vom Lac Combal zum Maison Vieille kenne ich sehr gut. Doch auch heute bin ich beeindruckt von der Gewalt des Bergmassivs auf der gegenüberliegenden Seite des Val Venys. Zum ersten Mal laufe ich heute direkt in dieses Tal hinunter, nur um auf der Vertical-Strecke gegenüber zum Pavillon du Mont Fréty aufzusteigen. Die Sonne entfaltet nun kurz vor Mittag ihre volle Kraft. Der Weg wird immer steiler. Und nimmt kein Ende. Serpentine um Serpentine. Endlich ist die Lifebase am Skyway Monte Bianco erreicht. Hier könnte man auf sein Gepäck zurückgreifen. Mir müssen drei Minuten genügen. Dann stürze ich mich schon wieder steil den Abhang ins Val Ferret hinunter.

Finale

Der letzte Anstieg beginnt. Irgendwie fühle ich mich schon fast im Ziel. Schließlich war ich auf dieser Seite auch noch nie höher als dem Val Ferret Balcony. Beim UTMB geht hier die Sonne auf. Heute geht sie bald unter. Doch wir laufen immer weiter Richtung Schweiz. Erst beim Rifugio Bonatti dreht der Weg nach oben ins Malatrà – dem Schlussstück der Tor de Geants. Zwei Pässe muss ich noch überqueren. Nur die Schönheit dieser Bergwelt entschädigt meine Strapazen. Einsam marschiere ich das grüne Bergtal hinauf. Imposante, unüberwindlich scheinende Felswände versperren den Weg nach allen Seiten, bis sich rechts eine Lücke auftut. Murmeltiere kreuzen immer wieder meinen Weg. Hierher muss ich nochmal zurückkommen. Mit ganz viel Zeit. Die habe ich heute nicht mehr. Ein letzter Anstieg, dann steil und fordernd hinunter. Nicht endend wollend. Bis ich schließlich doch die Via Roma erreiche. Die anfeuernden Zuschauer tragen mich förmlich ins Ziel. Dritte Frau hinter den TOR-Champions Lisa Borzani und Melissa Paganelli. Und zurück auf den 100ern. Michael und ich geistern noch lange durch Courmayeur. Vom Schlafmangel verwirrt, aber überglücklich über unsere Finishs. Duschen, Pasta, Erlebnisse teilen. Es fällt schwer am Sonntag wieder abzureisen. Ein Stück Heimat zu verlassen. Doch nur um wiederzukommen. Spätestens als Betreuerin zur TOR im September werde ich wieder im Auto singen „Stanotte vado a Courma“.