Die größte Herausforderung als Trail- und Ultraläuferin stellt sich noch vor Beginn jeder Saison. Die Anzahl der Laufveranstaltungen erhöht sich jedes Jahr, das physische Leistungsvermögen hinsichtlich der idealen Zahl an Teilnahmen ist dagegen begrenzt. Die Lust auf Neues überwiegt da meist – doch eine Veranstaltung bleibt konstant: der Rennsteiglauf.
Der Rennsteiglauf – ein Unikat jenseits aller Kategorien
Die Besonderheit dieses Laufs zeigt sich schon an der Schwierigkeit einer Kategorisierung.
Ultra? Ja, aber kein 100er.
Trailrun? Nicht ganz, da zu viele Forststraßen.
Berglauf? 1400 Höhenmeter, aber doch keine richtigen Berge.
Crosslauf? Landschaftslauf?
Diese Diskussion könnte man beliebig fortführen. Ich habe für mich beschlossen, den Rennsteiglauf als Unikat zu betrachten und Jahr für Jahr an den Start zu gehen. Die ersten zweimal noch auf der Marathonstrecke, nun schon das dritte Mal auf der Super-Marathonstrecke über 73,5 km. Das Profil des Rennsteiglaufs ist gefährlich. Aufgrund der langen Strecke erscheinen die Erhebungen wie Hügel, gerade Alpen-gewöhnten Läuferinnen wie mir.
Klöße, Blaukraut und Köstritzer Schwarzbier als Carbo Loading
Noch vor dem Start geht es zum ersten Highlight. Carboloading a la Thüringen mit Klößen, Blaukraut und dazu Köstritzer Schwarzbier im Festzelt auf dem Eisenacher Marktplatz. Passend zum erneuten Start performte die Liveband Westernhagens „Ich bin wieder hier“. Nach einer viel zu kurzen Nacht stand ich dichtgedrängt inmitten von 2200 Ultraläufern und wartete auf den Startschuss um Punkt 6 Uhr. Nachdem am Freitag noch Unwetter tobten, war der Samstagmorgen regenfrei, die Strecke etwas matschig, alles in allem jedoch perfektes Laufwetter.
Zurückhaltung ist Trumpf auf den ersten Kilometern
Der erste Kilometer führt noch flach durch die Altstadt, bevor ein langer, sich über 25 Kilometer erstreckender Anstieg hinauf auf den Großen Inselsberg beginnt. Nachdem ich den 700 Metern Höhengewinn plus kleine Gegenanstiege in den vergangenen Jahren zu wenig Beachtung schenkte, begann ich diesmal äußerst zurückhaltend. Bis zur ersten Verpflegungsstation am Waldsportplatz bei KM 7 wachte ich langsam auf, genoss die Ruhe beim Eintauchen in den Thüringer Wald und erholte mich von den vielen taktischen Tipps meines Manns und Betreuers Michael seit morgens um 4:00 Uhr. Ich störte mich auch nicht daran, als man mir zurief: „Du bist unter den ersten 10 Frauen“. Das Rennen war ja noch lang. Kilometer für Kilometer kam ich besser ins Rennen, überholte sukzessiv Männer wie Frauen und ehe ich mich versah, war ich auch schon oben auf dem Inselsberg.
Als dritte Frau über die Grenzwiese
Nun ging es steil bergab zur fast 200 Meter tiefer gelegenen Verpflegungsstation Grenzwiese bei KM 27. Hier wurde ich deutlich lauter begrüßt: „Dritte Frau!“ riefen die Helfer mir zu. Da fiel mir auch schon der ergraute Rocksänger mit Sonnenbrille vom Vorabend wieder ein. „Ich bin wieder da.“ Nach Platz 4 im letzten Jahr hatte ich diesmal die Chance aufs Treppchen? „Bloß nicht übermütig werden, Basilia“ sagte ich zu mir. Ich konzentrierte mich auf mein Rennen und weiter ging’s über Stock und Stein, den nicht enden wollenden Wald. Die Platzierung konnte ich halten. Zur Halbzeit auf der Ebertswiese wurde ich wieder lautstark begrüßt. Michael rief mir zu: „4 Minuten hinter der Zweiten, Gel nehmen, Trinken und weiter Dein Tempo laufen“. Genauso machte ich es. Nun ging es wieder mit einigen Auf und Abs hinauf zum höchsten Punkt auf 980 hm am Großen Beerberg. Bald lief ich an der zweiten Frau vorbei und zu meiner völligen Überraschung zur ersten Frau im Rennen auf. Michael hat mir nichts dazu gesagt.
Auf dem Weg zur persönlichen Sensation
Er wollte, dass ich cool bleibe, wie er mir später mitteilte. Schließlich ist Melanie Albrecht keine Unbekannte in der Läuferszene und galt als Favoritin für den Tagessieg. Kurze Zeit konnte ich an ihr dran bleiben, am Grenzadler bei KM 55 liefen wir zusammen ein, doch dann erhöhte Melanie die Pace im Anstieg und ich musste abreißen lassen. Nun wurde es langsam hart für mich. Die Aussicht auf die Downhill-Passagen ab KM 62 verliehen mir noch etwas Energie, aber ich musste die Zähne schon arg zusammenbeißen. Ich zog durch, konnte abwärts nochmal das Tempo erhöhen und lief meiner persönlichen Sensation entgegen. Nun wurde ich immer mehr angefeuert, da sich zu den Zuschauern auf den letzten Kilometern nun auch die Teilnehmer des Wanderbewerbs gesellten. „Zweite Frau“ hörte ich nun permanent. Der Einlauf auf der großen Zielwiese war dann einfach nur unglaublich. Zum fünften Mal „wieder hier“, aber noch nie so glücklich. 6:26 Stunden, das bedeutet einen Kilometerschnitt von 5:15, gute acht Minuten hinter der absolut verdienten Siegerin Melanie Albrecht. Ich bin immer noch sprachlos. Ein großartiges Rennen, einer meiner größten Erfolge, klar dass ich auch nächstes Jahr wieder dabei bin. Egal welcher Song dann gespielt wird, ich bleibe meinem Ohrwurm treu.
Text: Basilia Förster