Die DNF-Quote unserer Topathletinnen und -athleten beim UTMB 2024 war „herausragend“ und gibt zu denken. Laufen die Jungs und Mädels beim Highlight des Jahres über ihren Verhältnissen? Ist der mentale Druck zu hoch um eine UTMB Woche unbeschadet durchzustehen? Läuft man bewusst weit über seinen Verhältnissen in der Spitzengruppe los, um ein paar Minuten im UTMB Rampenlicht zu stehen?
„Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunklen sieht man nicht.“ (Bertolt Brecht, Dreigroschenoper)
Oder war es einfach nur Zufall? Der perfekte Zeitpunkt um einen alten Artikel über DNF herauszuholen und erneut zu diskutieren:
DNF: One time quitter – always quitter?
Wer kennt sie nicht die Bilder vom Ironman Hawaii 2017. Der große Champion Jan Frodeno, der Mann der diesen Sport die letzten beiden Jahre so dominiert hat, der unangefochtene Favorit auf den Titel des Ironman Weltmeisters 2017, der Mann auf den ich mein nigelnagelneues Scott Rennrad gewettet hätte, dass er sich zum dritten Mal in Folge zum König von Kona krönt – er taumelt. Dieser lebendig gewordene schwimmende, radelnde, laufende Muskel auf zwei Beinen beginnt bei Kilometer fünf des abschließenden Marathons zu gehen. Die Luft ist raus und jede Hoffnung auf den Titel schwindet.
Frodeno leidet, verliert – und macht weiter
Was nun kommt ist das, was mich noch mehr zum Fan dieses Jan Frodeno macht: Er lässt sich nicht medienwirksam von einer Hundertschaft Sanitäter abtransportieren (und hält dabei noch seine goldenen Schühchen in die Kameras), sondern er macht weiter – kämpft und beißt sich durch. Wohlwissend, dass der Titelkampf verloren ist feuert er die Konkurrenz an und finished in einer Zeit, die für einen ambitionierten Hobby-Triathleten immer noch ein Traum, für ihn jedoch unter ferner Liefen ist. Ein wahrer Champion und Siegertyp dieser Frodeno, mit dem eisernen Willen eine Sache zu Ende zu bringen – auch wenn es mal nicht so läuft.
One time quitter – always quitter?
Wobei wir endlich beim Thema dieses Artikels sind: Auch im Trailrunning hat sich, vor allem unter ambitionierten Sportlern die Unsitte eingeschlichen bei einem Wettkampf nicht anzutreten oder während des Rennens auszusteigen. Bitte nicht falsch verstehen: Krank oder schwerer verletzt in ein Rennen zu gehen (oder fortzusetzen) und dabei Körper und Gesundheit zu gefährden ist dämlich und hier auch keinesfalls gemeint.
Es ist aber immer häufiger zu beobachten, dass internationale und auch nationale (Top)athleten entweder gar nicht antreten oder während eines Rennens mit fadenscheinigen Begründungen aussteigen. Hier stellt sich mir die Frage nach dem Warum:
- War es ein Freistartplatz – und was nichts kostet ist nichts wert?
- Haben sich zu viele starke Läufer angemeldet und man hat Angst im Mittelmaß zu versinken?
- Lief man bewusst am Anfang des Rennens über seinen Verhältnissen um im Rampenlicht zu stehen?
- Ist es die Angst zu versagen?
- Hat man Angst hinter seinen eigenen Erwartungen oder den Erwartungen anderer zu bleiben?
- Hat man sich bei der Saisonplanung zu viele Rennen zugemutet?
- Möchte man vermeiden Sponsoren durch schlechte Platzierungen zu vergraulen?
- Ist das Ego so auf Siege getrimmt, dass nur ein Podestplatz zählt?
Aussteigen macht uns mental schwächer
Was die Gründe auch sein mögen, meine These ist: Einmal wegen einer Nichtigkeit auszusteigen macht uns mürbe im Kopf und mental schwächer. Unser Gehirn speichert ein DNF als Möglichkeit ab und immer wenn es mal nicht so läuft (und diese Phasen hat man während der meisten Ultras) denkt man zumindest darüber nach auszusteigen. Der Grund für den Ausstieg kann bei Topläufern im Extremfall ein mögliches verpasstes Podium oder bei Hobbyläufern ein kalter Regenschauer sein – egal: Am Ende ärgert man sich, ist von sich selbst (und seiner Entscheidung) enttäuscht und geht mental wieder ein Stück geschwächter aus dem Wettkampf hervor. Man verlernt nach und nach zu kämpfen.
Der Trail als Spiegel des wirklichen Lebens
Ich schreibe hier vor allem über Trailrunning und doch bietet sich eine Analogie zum wahren Leben an. Wo kommen wir hin, wenn wir damit beginnen nichts mehr zu Ende zu bringen? Wenn wir wegen jedem kleinen Hindernis die Sachen hinwerfen? Wo wären wir bitte, wenn unsere Mütter während der Geburt beschlossen hätten auszusteigen?
Aber auch (und vor allem) beim Ultratrail wird der mit dem längsten Atem und dem stärksten Kopf belohnt:
Wie oft werden Wettkämpfe auf Ultradistanzen im letzten Drittel entschieden?
Wie oft lag man anfangs jenseits der Top Ten und hat sich dann doch noch aufs Podium (und sei es die AK) gekämpft?
Wie oft ist ein Finish, dass man sich so richtig hart erarbeiten musste am Ende das schönste und emotionalste Erlebenis überhaupt?
Um zum Triathlon zurückzukehren – auch Patrick Lange hatte 2018 nach eigenen Angaben „scheiß Beine“ und dachte ans Aufhören. Er hat sich durchgebissen und ist der neue Champion von Hawaii.
„DNF is no option“
Egal ob im richtigen Leben oder auf dem Trail: Kämpfen bis zum Schluss lohnt sich immer! Und eine Sache die man begonnen hat zu Ende zu bringen lohnt sich auch immer. Oder um es mit einer alten Weisheit auf den Punkt zu bringen: DNF ist keine Option!
Der Artikel wurde von Markus Mingo im Oktober 2017 verfasst und damals kontrovers diskutiert. Auch 2024 würden wir uns über Kommentare und Meinungen zu diesem Thema freuen.