Moritz auf der Heide im Interview: Comeback eines Ausnahmeathleten

Moritz auf der Heide im Interview © Jan Lenfert

Kaum jemand verkörpert das Auf und Ab des Leistungssports so eindrucksvoll wie Moritz auf der Heide. Nach einer langen verletzungsbedingten Pause galt seine Karriere für viele als beendet. Doch 2024 meldete sich der gebürtige Sauerländer eindrucksvoll zurück. Mit seinem Sieg über die Marathondistanz beim Innsbruck Alpine Trailrun Festival (IATF) setzte er ein starkes Ausrufezeichen und unterstrich eindrucksvoll seine Ambitionen für die Trailrunning-Weltmeisterschaft 2025. Moritz lebt heute in Innsbruck – dem Zentrum seiner sportlichen und persönlichen Neuausrichtung. Wir haben mit ihm über sein Comeback, den Weg zurück an die Spitze und seine Perspektiven auf die Trailrunning-Szene gesprochen.

Rückblick auf den IATF und der Traum von der Trail-WM

Moritz, erstmal herzlichen Glückwunsch zum Sieg beim IATF! War das der endgültige Türöffner zur Trail-WM 2025 für dich?

Erstmal vielen Dank! Solche Siege sind für mich nicht selbstverständlich, auch, wenn ich sie manchmal als klares Ziel definiere. Und trotz des tollen Resultats bin ich gar nicht mal so zufrieden. Krämpfe haben mich sehr viel Zeit gekostet und ich wäre gerne näher an meinem Potential gelaufen. Zwecks WM wird die Entscheidung natürlich woanders getroffen. Ich denke aber, dass es eine sehr gute Empfehlung war. Und sicherlich tun ein paar alte Säcke mit viel Erfahrung einem jungen Team gut. 😉

Du lebst inzwischen in Innsbruck – der IATF ist also quasi ein Heimrennen für dich. Wie hast du den Wettkampf erlebt? Was lief besonders gut, und was würdest du im Rückblick anders machen?

Womit ich extrem zufrieden bin ist die Art wie ich mit den Krämpfen im Rennen umgegangen bin. Anstatt panisch zu versuchen durch die Probleme durchzudrücken, habe ich mir die nötige Zeit genommen, bin öfters stehenglieben um zu dehnen, und habe Gehpausen eingelegt. Das hätte ich vor ein paar Jahren so sicherlich nicht mental hingekriegt. Ansonsten hat mir das Rennen gezeigt, dass ich körperlich für meine Verhältnisse absolutes Topniveau hatte. Ich konnte relativ locker und kontrolliert vorne mitlaufen und hätte gerne am zweiten Berg gezeigt, was ich an dem Tag vom Leistungsvermögen her draufhatte. Und eigentlich habe ich nichts an meiner Rennausführung auszusetzen. Ich bin leicht verhalten angegangen, habe mich perfekt verpflegt und hatte immer ein hohes Energielevel. Bis jetzt habe ich noch nicht ganz verstanden, warum schon ab KM 17 Waden- und später auch Adduktorenkrämpfe auf beiden Seiten kamen. Wahrscheinlich hatte es mit schlechtem Schlaf und der Aufregung zu tun. Des könnte sich neuronal ausgewirkt haben. Man lernt ja nie aus.. 

Verletzungen, Rückschläge und der Weg zurück

Moritz auf der Heide © Jan Lenfert

Viele fragen sich: Bist du inzwischen Vollzeit-Profi – oder was machst du neben dem Laufen beruflich? Wie sieht ein typischer Trainingstag bei dir aus?

Ich war mal Vollzeit-Profi. 2020-2022. Seit 2023 arbeite ich allerdings wieder (notgedrungen!) 40h und muss schauen wie ich mein Training drumherum bastele. Der Alltag schaut grundsätzlich sehr voll, getaktet und ehrlich gesagt auch stressig aus. Hier werde ich in nächster Zeit sicherlich wieder Veränderungen vornehmen, damit es mehr Balance in meinem Leben gibt. Denn bis zu 12 Einheiten plus jeden Tag Dehnen und ab und zu Physio pro Woche ist einfach eine Gratwanderung, wenn man Vollzeit arbeitet. Im Winter hat das oft bedeutet, dass ich um 5h30 aufgestanden bin, um 6 oder 6h30 auf den Tourenski stand und anschließend direkt ins Office gefahren bin. Aufgrund einer dort nicht vorhandenen Dusche mehr oder weniger toll.. Abends ging es dann gegen 17/18h in die zweite Einheit und der Tag war frühstens um 21h vorbei, weil ich großen Wert auf eine gute Ernährung und selber kochen lege.

2021 hattest du dich offiziell vom Leistungssport verabschiedet. Was genau war damals los? Und rückblickend: Hast du heute eine Idee, was zur Verletzung geführt hat – und was du vielleicht hättest anders machen können?

Um es kurz zu fassen: Ich habe mich über die Jahre in so extreme muskuläre Dysbalancen hineingelaufen, dass ich irgendwann die Quittung bekommen habe. Der Körper ist extrem gut darin, Probleme zu kompensieren, aber ab einem gewissen Punkt implodiert die Sache. Mit absurdem Fokus, viel Stoizismus und ganz simpler Passion habe ich dann den Weg zurückgefunden. Das lag vor allem an gezieltem Krafttraining. Deswegen: schaut, dass ihr von Anfang an einen Fokus auf Krafttraining legt und lasst euch dazu individuell beraten!

Dein Weg zurück war lang. Wie sah dieser Prozess konkret aus? Gab es einen Moment, in dem du wusstest: Ich bin wieder da?

Zunächst konnte ich ja noch nicht mal schmerzfrei einkaufen gehen. Die Dysbalancen haben durch die Kompensation von anderen Muskeln zu extremen Verspannungen geführt (bspw. Piriformis, Gluteus Medius, Tractus etc.). Das wiederum hatte das Resultat, dass die Verspannungen einige Nerven eingeklemmt haben und ich absurde Taubheitsgefühle in den Beinen bekommen habe, inkl. neuronale Ansteuerungsprobleme. Allein rauszufinden, wo die Probleme waren, hat mich Monate gekostet. Ich war bei über 20 Experten. Vom Neurologen bis hin zum klassischen Physio. Und am Ende auch bei einem Psychologen. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich mir dann gesagt, dass ich irgendwas probieren muss. Denn nur rumsitzen hat alles noch schlimmer gemacht und ich war defacto ein Schmerzpatient. Nach und nach habe ich mich dann getraut, oft unter großen Problemen, die ersten Übungen im Fitnessstudio zu machen, und bin wieder mal Wandern gegangen. Zu der Zeit war es ehrlich gesagt eine Meisterleistung, nicht sofort aufzugeben. Denn Erfolgserlebnisse gab es selten und die Schmerzen haben kaum nachgelassen. Irgendwann, nach Monaten, habe ich dann angefangen, ein Schmerztagebuch zu führen, und festgestellt, dass es in homöopathischen Dosen doch bergauf ging. Kleine Verbesserungen, die ich sonst nicht wahrgenommen hätte, wurden auf dem Papier sichtbar. Das hat mir etwas Selbstvertrauen gegeben, weiterzumachen. Dann habe ich wieder die ersten Laufschritte gemacht. Problemfrei bin ich auch heute nicht. Aber ich habe es halbwegs unter Kontrolle und bin stolz, mich so zurück gekämpft zu haben. Diese Erfahrung wünsche ich wirklich niemandem!

Routinen, Entwicklung im Trailrunning und Ausblick

Moritz auf der Heide © Jan Lenfert

Du wirkst heute nicht nur stärker, sondern auch mental gefestigter. Was macht Moritz 2.0 anders als früher?

Ich habe gezwungener Maßen eindrucksvolle Erfahrungen gemacht und die haben mich positiv gesehen abgekocht. Leichte Probleme setzen mir mental nicht mehr so zu und ich bin insgesamt ruhiger. Ich achte außerdem mittlerweile extrem auf tägliches Dehnen (Minimum 15min JEDEN Tag) und gehe regelmäßig in den Kraftraum. Mein Körpergefühl ist durch die Erfahrungen auf eine absurde Weise extrem gut geworden. Das kann manchmal auch nervig sein, hilft aber meistens, mich rechtzeitig zurück zu nehmen. Außerdem habe ich wieder starke Partner an meiner Seite. Seit 2025 bin ich im Salomon Running Team und genieße es, wieder Teil einer Gruppe zu sein. Da Regeneration für mich heute eine unglaublich wichtige Rolle spielt, tracke ich meinen Schlaf seit ein paar Monaten zudem mit meiner COROS Pace Pro. Das hat mir geholfen, Trainingsleistungen und das Körpergefühl noch mehr mit Schlaf, Essen etc. in Relation setzen zu können. Ich verstehe immer besser, wie viel Schlaf ich brauche, was zu gutem Schlaf führt, und wann ich mir auch mal etwas gönnen kann. Es hilft halt nichts. Ältere Athleten müssen mehr auf solche Sachen schauen (ich bin ja nun schon 37..). Vor allem, wenn man eine intensive Verletzungshistorie hat. Aber wem sage ich das. 😉

Du bist schon viele Jahre in der Szene unterwegs. Wie hat sich der Trailrunning-Sport in den letzten zehn Jahren verändert – und wohin, glaubst du, geht die Reise?

Die Frage ist etwas zu groß für dieses Format. Grundsätzlich sehen wir aber eine in meinen Augen sehr spannende Professionalisierung. Reines Talent bringt dich nicht mehr an die Spitze. Fast alle Athleten/-innen, die bei wichtigen Rennen aufs Podium laufen, sind Vollprofis. Ein Fokus auf Ernährung (Stichwort Kohlenhydrate pro Stunde) vor, während und nach dem Wettkampf/Training hat sich entwickelt, Ambitionierte Läufer/-innen maximieren Adaptionsprozesse durch Hitzetraining, Höhenzelte und Kryokammern. Dabei wird sich nach wie vor sehr viel vom Radsport abgeschaut. Wer besser werden will und eventuell auch einen Vorsprung auf die Konkurrenz ergattern möchte, sollte also dort genau hinschauen. Sicherlich wird sich das in den kommenden Jahren fortsetzen. Es gibt mehr und mehr Studien zu Trail-spezifischem Training, der Ernährung und Material. Aktuell wissen wir ja bspw. noch gar nicht genau wie hilfreich Carbon-Schuhe wirklich im Trailsport sind. Hier fehlen eigentlich noch konkrete Erfahrungswerte und Langzeitstudien. Nicht zuletzt spornt sich die Elite auch gegenseitig an. Wer extreme Leistungen bei anderen sieht, traut sich diese evtl. auch dann erst zu. So spielt es sich dauerhaft hoch. Spitzenleistungen, die wir aktuell schon ganz vorne im Feld bei Ausnahmesportlern wie Jim, Courtney und Kilian sehen, werden zukünftig wohl etwas relativiert, da sich mehr Sportler/-innen in diesem Bereich bewegen werden. Meiner Meinung nach wird auch ein GTWS-Format (evtl. kürzer) die Vorlage für eine eventuelle Olympia-Integration sein.

Was ist dein ultimativer Trainingstipp für Hobbyläufer:innen, die sich an den Berg wagen wollen?

Wenn ich es kurz und prägnant halt muss, würde ich sagen: übertreibt es nicht und steigert von Woche zu Woche schlau (nie mehr als 10% Steigerung)!

Ohne welche drei Ausrüstungsteile gehst du nie auf den Trail?

Da ich kein Barfussläufer bin, sicherlich meine Trailschuhe. Im technischen Gelände bin ich am liebsten mit dem s/lab Genesis von Salomon unterwegs.

Ans Handgelenk gehört immer eine Uhr. Ich bin ein Zahlen-Nerd und will ständig alles mitkriegen. Deswegen gehe ich absolut nie ohne meine COROS Pace Pro aus dem Haus. So kriege ich alles angezeigt. Von der relativen Anstrengung bis hin zum aktuellen Puls.

Auf dem Kopf darf die umgedrehte Cap nicht fehlen. Es bisschen Style muss sein.

Und deine Trainings-Playlist – was läuft da aktuell rauf und runter?

Puh. Ich befürchte, dass das Meiste davon nicht so Massenverträglich ist. Bei mir gibt es oft „Lamb of god“ auf die Ohren. Vor allem bei Intervallen. Wenn die Stimmung passt und ich im Flow bin, höre ich gerne Arabic Afro House.

Zum Schluss: Trailrunning ist für dich…?

..das unverhoffte Glück in meinem Leben (so viele Probleme und Schmerzen mir es auch gebracht hat). Laufen am Berg ist mein Psychotherapeut, meine Aggressionsbewältigung, meine Ablenkung, meine Entdeckungsreise und manchmal auch ganz simpel meine Flucht und Bewältigungs- oder auch Verdrängungsstrategie. Ein Alleskönner.