Interviews

Pierre-Emmanuel Alexandre: Trailrunner mit Herz und Hingabe

Pierre-Emmanuel Alexandre zählt seit Jahren zu den prägenden Gesichtern des deutschen Trailrunnings. Der gebürtige Franzose, der heute mit seiner Familie in der Nähe von Heidelberg lebt, hat sich durch seine Leidenschaft für die Berge, harte Arbeit und konstante Leistungsbereitschaft in der Szene etabliert. Ob technische Trails in den Alpen oder lange Ausdauerläufe auf heimischen Strecken – Alexandre verkörpert die Mischung aus mentaler Stärke, familiärem Zusammenhalt und sportlichem Ehrgeiz.

Erfolge und Rückschläge

Seine Vita ist geprägt von eindrucksvollen Wettkämpfen auf nationaler wie internationaler Ebene. Im vergangenen Jahr blieb ihm trotz starker Leistungen die Nominierung für die Europameisterschaften verwehrt – ein Rückschlag, den er mit bemerkenswerter Haltung annahm.

2025 sollte es nun endlich so weit sein: Als amtierender Deutscher Meister im Ultra-Trail, Sieger des ZUT (Qualifikationsrennen) und laut ITRA-Index stärkster deutscher Vertreter auf der Long-Trail-Distanz sollte er in Canfranc erstmals das Nationaltrikot tragen – ein Meilenstein, der bislang in seiner Karriere fehlte.

Doch ausgerechnet im Urlaub und Höhentrainingslager im Kühtai (Tirol) kam der gesundheitliche Rückschlag: Eine Appendizitis-Operation mit anschließenden Komplikationen verhinderte die Vorbereitung. Aufgrund der gesundheitlichen Risiken rieten die Ärzte von einer Teilnahme ab. Schweren Herzens sagte er die WM ab. Statt halbfit an den Start zu gehen, entschied er sich bewusst für die Gesundheit – und für den Respekt gegenüber dem Nationaltrikot, das für ihn mehr bedeutet als ein bloßes Antreten.

Blick nach vorn

Alexandre richtet seinen Blick jedoch nach vorne: Mit klaren Zielen für die kommenden Jahre und dem festen Willen, stärker zurückzukehren, bleibt er ein Athlet, der inspiriert – sowohl auf als auch neben den Trails.


Interview mit Pierre-Emmanuel Alexandre

WM-Absage & Gesundheit

Pierre, deine Absage für die WM in Canfranc hat viele bewegt. Wie schwer ist dir die Entscheidung gefallen?

Pierre-Emmanuel Alexandre: Titelverteidigung beim ZUT 2025 © Jan Lenfert

Es war zunächst sehr schwer. In den ersten drei Wochen nach der Operation am 22.08. habe ich fest an eine Teilnahme geglaubt. Doch Tag für Tag musste ich Rückschläge verkraften – unter anderem durch eine Komplikation infolge einer Wundinfektion.

Am schwierigsten war es mental. Mittlerweile kann ich mit der Entscheidung gut umgehen. Ich weiß, dass es nicht vernünftig wäre, bei der WM und insbesondere beim Trail Long (80 km, +5.400 Höhenmeter) zu starten. Das gehört eben auch zum Sport.

Ich glaube, ich hatte bisher keine größeren Rückschläge in meiner noch jungen Karriere – aber jeder muss mindestens einmal da durch. Ich bin erst 32 Jahre alt. Mein Hauptziel bleibt es, langfristig durchzuhalten und mit zunehmendem Alter gesund zu bleiben.

Du hast offen über die Komplikationen nach deiner Operation gesprochen. Wie hast du diese Wochen körperlich und mental erlebt?
Zunächst fiel es mir schwer, die Veränderungen meines Körpers zu akzeptieren. Nach der Infektion nahm der Chirurg einen kleinen Schnitt vor – doch erst einige Tage später wurde mir bewusst, dass ich ein tiefes Loch im Bauch hatte: etwa 1 cm tief und breit. Das musste erst einmal heilen.

Körperlich ging es mir grundsätzlich gut – ich glaube, ich war in der Form meines Lebens. Das Höhentraining hatte einen positiven Effekt, den ich jedoch nicht nutzen konnte. Das war frustrierend. Ich hatte keine Schmerzen, meine Beine und mein Herz-Kreislauf-System waren topfit – aber wegen der Infektion war Sport verboten.

Besonders belastend waren die täglichen Arztbesuche: schmerzhafte Verbandswechsel oder Einschätzungen zur Wundheilung – immer in der Hoffnung, doch noch an der WM teilnehmen zu können.

Mental war es ein ständiges Auf und Ab. Jeder Tag brachte neue Emotionen, Hoffnungen – und Enttäuschungen.

Was hat letztlich den Ausschlag gegeben, zu sagen: „Nein, dieses Mal geht es nicht“?
Es wäre nicht vernünftig – das Risiko schwerwiegender gesundheitlicher Probleme ist einfach zu hoch. Ich habe in den letzten drei Wochen nicht trainiert und bin mittlerweile nicht mehr in der Form, die ich für meine eigenen Ansprüche brauche.

Eine „Pseudo-Teilnahme“ kam für mich nie infrage. Ich möchte nicht einfach nur dabei sein und dann vielleicht schon nach der ersten Verpflegungsstation aussteigen müssen.

Außerdem heiratet mein Schwager genau an dem Wochenende, an dem die WM stattfindet. Jetzt freut sich die ganze Familie, dass ich bei der Hochzeit dabei sein kann – und ich mich auch.

Wie blickst du auf das deutsche Team und die WM-Strecken in Canfranc – welche Herausforderungen erwarten die Läuferinnen und Läufer?
Die Strecke ist unglaublich anspruchsvoll – auch wenn ich sie selbst nicht gesehen habe. Vom französischen Team habe ich erfahren, dass es eine der schwierigsten Strecken ist, die sie je gelaufen sind. Und das sagen viele.

Die Pyrenäen sind wunderschön und zugleich sehr wild. Es gibt dort keinen Massentourismus wie in den Alpen, was die Region besonders macht. Ich hatte mich sehr auf die Strecke gefreut – sie sieht einfach grandios aus.

Ich bin gespannt, wie sich das deutsche Team schlägt. Wir haben starke Läufer, aber dieses Jahr sind wirklich die Besten der Welt am Start – das darf man nicht unterschätzen.

Meiner Meinung nach werden die besten Downhill-Läufer gewinnen. Ich hoffe sehr, dass wir mit einer oder mehreren Medaillen nach Hause kommen.

Welche Chancen siehst du für die deutschen Starterinnen und Starter?
Wir haben einige Ausnahmeathletinnen und -athleten auf allen Distanzen im deutschen Team – darunter Lukas Ehrle, Nina Engelhard, Laura Hottenrott, Katharina Hartmuth und Rosanna Buchauer. Jede und jeder von ihnen hat aus meiner Sicht echte Medaillenchancen.

Natürlich kann alles passieren, und wir hoffen, dass auch die anderen Athletinnen und Athleten sich gut schlagen. Beispiele dafür haben wir zuletzt bei der Leichtathletik-WM in Tokio gesehen.

Besonders gespannt bin ich auf die Leistungen meiner Teamkollegen im Trail Long. Die Strecke ist extrem anspruchsvoll – und ich bin überzeugt, dass sie alles geben werden.

Sport & Familie

Pierre-Emmanuel Alexandre als Thule Pilot

Du bist zweifacher Vater – wie gelingt dir die Balance zwischen Familie und Spitzensport?
Es funktioniert gut – vor allem, weil meine Frau ebenfalls eine sehr ambitionierte und talentierte Läuferin ist. Natürlich erfordert das viel Organisation, aber genau darin liegt unsere Stärke.

Jede Woche erstellen wir gemeinsam einen Plan, wer die Kinder bringt und abholt und wann jede*r von uns trainieren kann. Wir arbeiten beide zu 80 % und versuchen, die Aufgaben zu Hause so fair wie möglich zu verteilen.

Seit diesem Jahr habe ich freitags frei – so kann ich meine Long Runs unter der Woche absolvieren und wir haben am Wochenende mehr gemeinsame Familienzeit.

Welche Rolle spielt deine Familie in schwierigen Zeiten wie jetzt nach der Verletzungspause?
Familie und Sport sind zwei der zentralen Säulen meines Lebens. Ehrlich gesagt waren die letzten Wochen mit unseren Kindern (4½ und 3 Jahre alt) jedoch alles andere als erholsam – sie fordern viel Aufmerksamkeit.

In dieser Phase bin ich besonders dankbar für die Unterstützung meiner Frau Sophie. Ich habe gemerkt, dass ich mehr Zeit für mich gebraucht habe, um mit der Situation zurechtzukommen.

Auf den ersten Blick mag das egozentrisch wirken – Spitzensport ist es oft auch. Aber wenn ich körperlich fit bin, habe ich bessere Laune und mehr Energie – und verbringe dadurch auch mehr qualitative Zeit mit meinen Kindern.

Bist du als Vater auch Vorbild für deine Kinder im Sport – oder umgekehrt?
Ich glaube nicht, dass ich für sie schon ein Vorbild bin – dafür sind sie noch zu jung.

Als ich Deutscher Meister geworden bin, haben sie mich allerdings eine Woche lang „Meister“ genannt – das war sehr süß. Für sie ist es ganz normal, dass wir trainieren. Wenn Mama oder Papa nicht da sind, sagen sie einfach: „Sie sind laufen gegangen“ – auch wenn das nicht immer stimmt.

Sie haben ein erstaunlich gutes Verständnis dafür, dass wir Zeit für uns brauchen und trainieren möchten. Dafür sind wir sehr dankbar.

Mein Ziel ist es vor allem, später gemeinsam mit ihnen Sport zu treiben oder Abenteuer zu erleben – wenn sie älter sind und Lust dazu haben.

Zukünftige Ziele & Motivation

Du hast deine Ziele für die kommenden zwei Jahre klar vor Augen. Welche Stationen dürfen wir erwarten?

  • DM-Titel verteidigen

  • EM 2026

  • ZUT-Sieg verteidigen

  • Festival des Templiers (80 km) 2026

  • WM 2027

Südafrika 2027 ist ein Fixpunkt – was reizt dich an diesem Ziel besonders?
Für mich sind und bleiben Meisterschaften in jeder Sportart der Höhepunkt des Leistungssports. Dort werden Titel und Medaillen vergeben – das ist der Moment, auf den alles hinarbeitet.

Ich wünsche mir, dass auch im Trailrunning dieser Stellenwert weiterwächst. Deshalb werde ich solchen Wettkämpfen immer den Vorzug geben.

Ich war noch nie in Afrika, und es würde mich sehr freuen, in zwei Jahren dort laufen zu können. Die Strecke scheint mir gut zu liegen, da es dort keine extrem hohen Berge gibt.

Nach diesem Rückschlag: Woher ziehst du deine Motivation, wieder anzugreifen?
Den Sport und die damit verbundenen Emotionen wieder zu erleben – das ist für mich etwas ganz Besonderes. Sport weckt Gefühle, egal ob man selbst aktiv ist oder zuschaut. Genau diese Emotionen möchte ich wieder spüren.

Das begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Ich habe damals mit meinem großen Bruder immer Sport geschaut und mitgefiebert – das hat uns verbunden.

Es macht mich einfach glücklich. Und ja, manchmal muss ich dabei sogar weinen – aber aus purer Freude.

Was bedeutet Trailrunning für dich persönlich – jenseits von Medaillen und Wettkämpfen?
Zum Trailrunning bin ich gekommen, weil ich meine Umgebung entdecken und Zeit in der Natur verbringen wollte. Ich bin einfach immer weitergelaufen – getrieben von der Neugier, was sich hinter dem nächsten Hügel verbirgt.

Trailrunning ist für mich eine Quelle neuer Energie. Ich liebe es, allein im Wald zu sein und zu beobachten, wie sich die Natur im Laufe der Jahreszeiten verändert.

Es ist nicht nur eine Möglichkeit, körperlich fit zu bleiben – sondern auch mental zur Ruhe zu kommen.