Es gibt sie diese perfekten Tage und Wochenenden. Bei mir spielen sie sich häufig in den Bergen ab, in diesem Fall im Rahmen des Zugspitz Ultratrail 2017. Einmal im Jahr trifft sich die komplette deutsche Trailszene am Fuße der Zugspitze in Grainau um den Sport zu feiern und sich über mittlerweile fünf verschiedene Distanzen zu messen. 2500 begeisterte Trailrunner tummeln sich in Grainau um bei diesem größten und prestigeträchtigsten Rennen auf deutschem Boden dabei zu sein. Für mich ist es mittlerweile der fünfte Auftritt an der Zugspitze: Hier war ich 2011 bei der Erstaustragung dabei, bin seitdem dieser Sportart verfallen und komme regelmäßig und gerne wieder ins Zugspitzdorf Grainau. Das Besondere in diesem Jahr: Über die Supertrail XL Strecke (81 Kilometer und 4400 Höhenmeter) wird die Deutsche Meisterschaft im Trailrunning ausgetragen, die ich mir als Saisonhöhepunkt im Wettkampfplan gesetzt hatte. Außerdem ist meine komplette Familie dabei und wir verbinden den Zugspitz Ultratrail mit vier Tagen Urlaub in der Region.
Perfekte Vorbereitung
Zum ersten Mal hatte ich keinen Stress am Vortag: Während ich sonst freitags um 13:00 Uhr aus der Schule ins Auto hetze, mich über den obligatorischen Stau durch München und auf der A95 in Richtung Garmisch ärgere, kurz vor Ladenschluss meine Startunterlagen hole und mir spätabends beim Packen der Pflichtausrüstung noch ein paar Nudeln reinschaufle, beginne ich den Freitag mit einem lockeren Läufchen in Richtung Feldernjöchel und sitze Nachmittags entspannt mit meinen Liebsten auf der Ehrwalder Alm beim „Carbo-Loading“.
Akribisch hatte ich den Lauf geplant, die Strecke in Teilabschnitte zerlegt und einen Zeitplan für meine „Betreuer“ erstellt den wir nun gemeinsam durchgehen. Für jede Verpflegungsstation packe ich ein Tütchen mit Aktiv3 Gels, Reisriegeln oder sonstigen „Leckereien“, dass mir meine Liebsten reichen und dessen Inhalt ich bis zur nächsten Verpflegungsstelle verbrauchen wollte um meinen Energiehaushalt aufrecht zu erhalten.
Perfekte Betreuung
Beim Start in Ehrwald schleicht sich doch etwas Nervosität ein: Viele bekannte Gesichter der Szene. Ambitionierte Sportler und starke Trailrunner, die vor allem eins im Sinn haben: Deutscher Meister werden.
Trotz der mörderischen Distanz von 81 Kilometern geht es vom Start weg richtig zur Sache. Das Tempo ist flott aber ich halte mich am ersten Anstieg die 1200 Höhenmeter hoch zum Feldernjöchel (2300m) betont zurück. Ich habe mir eine klare Strategie zurechtgelegt und die heißt: Gut verpflegen und in keiner Phase überziehen. Je länger ein Wettkampf, desto wichtiger ist es mit der zur Verfügung stehenden Energie (in Form von gespeicherten Kohlenhydraten) effizient umzugehen.
Bildlich kann man das vielleicht am Benzinverbrauch eines Autos beschreiben: Bei Tempo 200 benötigt ein Wagen deutlich mehr Sprit als bei 140. Genauso ist es auch beim menschlichen Körper. Die „Effizienzgrenze“ meines „Motors“ liegt bei etwa 300 Watt. Ich kann diese Leistung zwar über einige Zeit laufen, brauche dabei aber unverhältnismäßig viel „Sprit“, was sich im Laufe eines 9-stündigen Wettkampfes irgendwann rächen wird. Also bleibe ich brav unter dieser Marke und laufe „nur“ als Achter über den ersten Berg.
Bereits beim ersten Downhill merke ich, dass es heute mein Tag werden könnte: Ich fühle mich unglaublich leichtfüßig, genieße diesen Streckenabschnitt und merke schnell, dass mir bergab keiner das Wasser reichen kann. Kurz vor dem zweiten Anstieg zum Scharnitzjoch (VP4) stehen Johannes Schmid und seine Freundin Lucia, mit Kuhglocke und Verpflegungstüte bewaffnet, um mich lautstark anzufeuern.
Perfektes Rennen
Auf dem Weg zum Scharnitzjoch (20K) übernehme ich schließlich die Führung, die ich auch bis zum Ende nicht mehr hergeben sollte. Tage wie diese sind der Traum eines jeden Sportlers: Ich fühle mich ungeheuer fit und leichtfüßig, freue mich auf den vor mir liegenden Streckenabschnitt und fliege fast über die Trails. Mit einem regelrechten Hochgefühl komme ich am Hubertushof (33K) an, wo Veronika und mein Sohn Paul auf mich warten. Küsschen, drücken, lächeln, Verpflegungstüte entgegennehmen – nochmal Küsschen. Ich genieße diese Begegnung so sehr genossen, dass ich fast zu lange an der Verpflegungsstelle bleibe und mich Veronika mit „Eitz schau dasd weiderkummst“ endlich weiterschickt.
Nun beginnt der langweiligste Teil der Strecke: 25 Kilometer im eher flachen Gelände mit sehr viel Schotteranteil. Hier kann ich bereits viele Läufer der kürzeren Distanzen überholen, die mich teilweise kennen, anfeuern und das Ganze relativ kurzweilig gestalten. Trotzdem bleibt das ständig mulmige Gefühl: „Bin ich schnell genug unterwegs? Wie weit sind die Konkurrenten hinter mir?“ Vorbei am Ferchensee, mit großem „Hallo“ von der Familie begrüßt, freue ich mich darauf bei der Partnachalm (K60) endlich wieder alpineres Gelände zu erreichen. Ich weiß hier wartet der unermüdliche Johannes auf mich, um mich den letzten Anstieg zum Gipfel zu begleiten.
Trotz der Freude ihn und Lucia zu sehen, beginnt hier der härteste Abschnitt des Tages: Ich war beim ZUT bereits fünf Mal auf unterschiedlichen Distanzen unterwegs. Aber egal ob 25, 40, 60 oder 80 Kilometer – dieses Teilstück hoch zur Längenfelder Talstation ist immer zäh. Schier endlos zieht sich der Weg durch den Wald. Gerade so steil, dass man nicht weiß ob Laufen oder schnelles Gehen besser ist. Ständig beschleicht mich die Angst, viel zu langsam unterwegs zu sein. Aber Johannes bringt mich sprichwörtlich über den Berg. Hervorragend gelaunt treibt er mich an, versichert mir „sauguad unterwegs“ zu sein und dass ich heute „der Stärkste“ bin. Auf seine unnachahmlich charmante Art bittet er auch die Läufer vor uns ihn und „seinen Freund hier“ bitte kurz vorbeizulassen. Auf seinem Rucksack gepinnt prangt eine besondere Überraschung: Ein Bild von mir beim siegreichen Zieleinlauf beim Arberland Ultratrail, versehen mit Motivationssprüchen. Wie ein Muli der Karotte folge ich also meinem eigenen Konterfei bis zur Talstation Längenfelder. Hier wird mir endlich klar: Wenn ich als erster am Osterfelder bin, bringe ich das Ding heim und werde Deutscher Meister.
Voll motiviert laufe ich also dem letzten Gipfel entgegen – weit und breit keine Konkurrenz in Sicht. Oben angelangt gibt mir Johannes noch ein „brings hoam“ mit auf den Weg und genau das mache ich auch. Konzentriert und locker laufe ich den letzten Downhill nach unten mit dem unbeschreiblich geilen Gefühl noch einen Zahn zulegen zu können, sollte es nötig sein. Fünf Kilometer vor dem Ziel bekomme ich endlich die Information etwa 15 Minuten Vorsprung zu haben. Was dann kommt wird ein einziger Triumphlauf: Einige Läufer erkennen mich, feuern mich an, singen, jubeln mir zu und feiern mich bereits als Deutschen Meister. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht genieße ich jeden Meter hinab nach Grainau. Dort angekommen wird mein Grinsen noch breiter. Martin Mühlbauer und Michael Münsterer nehmen mich zwei Kilometer vor dem Ziel in Empfang und eskortieren mich. Auf den letzten 500 Metern erwartet mich Lucia mit der altbekannten Kuhglocke, läuft vor mir her und bimmelt mich lautstark durch die Gassen. Nach 81,6 Kilometern, 4371 Höhenmetern und 9h:02min laufe ich euphorisch und ungeheuer stolz ins Ziel. Perfekter Tag. Perfektes Rennen. Amtierender Deutscher Meister im Ultratrail. Wow! J