Wenn das Leben ein Trail wäre, dann wäre es hoffentlich der Holy Trail vom U.TLW: Unglaublich schön, aber auch fordernd und anstrengend, dabei belohnend und derbe begeisternd. Er steht am Ende der Strecke und ist gleichzeitig der Höhepunkt der Veranstaltung, die nicht weniger als das Benchmark ist, an dem andere Rennen sich messen lassen müssen.
Zum 5. Jubiläum des U.TLW gibt es 2023 endlich wieder Start und Ziel auf dem Marktplatz in Lam. Schon morgens um 7:30 ist es voll. Zuschauer*innen, riesiger Torbogen, filmreife Startmusik um 7:59 – und kollektiver Marsch hinter der Thürnsteiner Blaskapelle zum Ausgang des Markplatzes um Punkt 8:00. Erstes wow, bevor gleich über einen Feldweg bergab geballert werden kann. Tempo galore. Das Feld zerschiebt sich sofort, ich positioniere mich im vorderen Viertel und schon beginnt der Aufstieg in Richtung der umgebenden 1.000er.
Bevor wir dort ankommen, steht auch schon das erste emotionale Highlight an: VP1 am Eck. Ich erinnere mich ans letzte Mal U.TLW, als ich hier dachte, dass wir eine Party crashen – auch wenn es noch früh am Morgen ist. Das ganze Dorf und alle umgebenden Gemeinden scheinen hier zu sein, um uns zu begrüßen, zu feiern und wieder auf die Strecke zu verabschieden. Wer etwas über Stimmung am Trail oder auf VPs wissen will: so geht das. Dieses Jahr noch mehr als sonst, da ich mit Team-Kollegin Bine in die VP einlaufe. Da tost die Stimmung gleich doppelt hoch, denn hier kennt sie gefühlt jeder und begrüßt sie. Leider liegt unser gemeinsamer Lauf nicht an meinem exorbitanten Tempo, sondern an ihrer Verletzung… Mehr dazu weiter unten.
Angriff auf den König
Frisch gepusht schieben wir über den Mühlriegel auf 1079 Metern und den Ödriegel auf 1154 Metern Richtung des Königs vom Bayerwald: dem Großen Arber mit 1456 Metern Höhe. Es muss am Enzian auf 1287 Metern sein, wo „dank“ vieler abgeholzter Bäume ein freier Rundumblick möglich ist, dass ich den Großen Arber mit seinen ikonischen Türmen das erste Mal heute sehe. Der bisherige Aufstieg steckt mir schon in den Beinen und so richtig nah sieht der Gipfel nicht aus. „Ich schaue da gar nicht hin, dafür ist der Weg hier auch gerade viel zu schön,“ kommentiert ein Läufer. Recht hat er. Und so ziehen wir weiter. Über Felsen und Wurzeln, Aufstiege und Abstiege, vorbei an Panoramablicken und über schmale Pfade.
Nach dem Kleinen Arber greifen wir den Chef an, wo sich nach VP2 das Feld erneut weiter auseinander zieht. Der Abstieg zum Kleinen Arbersee ist endlich mal einfach zu Laufen. Was für eine Wohltat – zumal der See ein Panorama wie aus einem Achtsamkeitsbuch ist. Fast schon eklig schön. Dazu Ausflügler*innen auf Picknickdecken, die uns anfeuern und auf die zweite Hälfte der Strecke entlassen. Die Beine sind zwar müde, das Herz aber hüpft.
Was für ein Arschloch
Aus Hüpfen wird allerdings schnell wieder hartes Schlagen. Wie fordernd die Strecke ist, zeigt sich für viele spätestens beim Aufstieg zum Großen Osser. „Ich liebe den Osser, aber der Aufstieg dahin ist ein Arschloch,“ hatte mir Sam am Abend vorher noch gesagt, während er am Markplatz den Aufbau der Startgasse organisierte. „Ich werde an dich denken, wenn ich da morgen hochmache,“ versichere ich ihm – und muss fast drüber lachen, als ich mich den steilen, verblockten Anstieg hochwuchte. In der Tat denken hier einige: Was für ein Arschloch. Ich komme zwar gut durch, aber der steile Pfad zieht an vielen Steckern.
Wir teilen uns die Route mittlerweile mit den Startenden des 24km langen Osser-Riesen, so dass es insgesamt etwas voller ist. Es wird gestöhnt, viele Läufer*innen legen auf die Stöcke gelehnt Zwangspausen sein – diverse Teilnehmende sind tatsächlich vorher schon ausgestiegen, wie ich später erfahre. Sehr schade, dass das Startfeld damit um so starke Läufer wie Martin Gsödel, Adrian Niski oder André Purschke reduziert wurde (hier die Details). Wer aber bis oben durchhält, bekommt einen verblockten Abstieg vom Feinsten serviert, gefolgt vom Highspeed-Downhill über eine Forststraße zum Parkplatz „Sattel“. Wer zum ersten Mal den U.TLW läuft, wird ab hier nun ungläubig schauen.
Das Beste kommt zum Schluss
Wir passieren die „5km to go“ Marke, umrunden den Parkplatz – und müssen am Kletterseil einen 3 Meter hohen Felsen erklimmen, um dann oben den teilweise nur 20 Zentimeter breiten „Tromsø“ betitelten Mini-Grat zu laufen. Wohl wissend was da kommt, habe ich noch 5 Läufer*innen im Downhill eingesammelt, aber der Tromsø-Stau ist trotzdem unvermeidbar. Etwas schade, aber wirklich schnell ist man hier eh nie. Ganz anders im sofort anschließenden „Holy Trail“. Ein Läufer versucht, mich zu überholen. Wir setzen gemeinsam zum Spurt an. Freundlich gefragt, lassen uns die Leute vor uns immer durch und so erlebe ich rund 4 Kilometer vor dem Finish meinen Tages-Höhepunkt: Die vorher arg dichten Waden geben nochmal jedes Körnchen Energie frei für scharfe Kehren, schmale Passagen, Sprünge nach oben und unten, um dort den sich windenden Trail fortzusetzen – ein Traum. Mein Kompagnon muss mich ziehen lassen, auch wenn es nur noch um Minuten in der Gesamtzeit geht. Hier Gas zu geben, bringt im Rennen bei meiner Position nichts mehr – außer grandiosen Spaß!
Genau diesen Spaß trage ich den letzten, einfachen Kilometer nach Lam, wo wir nach nur wenigen hundert Metern Asphalt auf die Zielgasse am Markplatz einbiegen. Begrüßt vom Ansager, vielen Zuschauenden und noch mehr Applaus geht ein Rennen zu Ende, das seinem Ruf als Benchmark-Rennen wieder voll gerecht wurde. Wow.
Überwältigender Erfolg für das xc-run.de-Team
„Wow“ trifft es noch umso mehr, als ich mich im Ziel umschaue. Team-Kollege Christian wartet lässig auf einer Bank sitzend mit einem Ganzkörpergrinsen. Er ist ein fantastisches Rennen gelaufen, das ihm Platz 17 der Männer und Platz 6 in seiner AK einbrachte. Dann lässt er die Bombe platzen: Unser Team-Kollege Thomas Wanninger hat den Osser-Riesen gewonnen und damit Hannes Namberger geschlagen. Was geht?! Dass Thomas Nominierung für die Trailrun-WM absolut gerechtfertigt ist (hier die Details), ist somit erneut bewiesen. Ganz nebenbei ist er auch die erste Person, die sowohl den König vom Bayerwald, als auch den Osser-Riesen gewonnen hat.
Geht nicht besser? Geht es doch. Barbara Poxleitner hat den Osser-Riesen bei den Frauen – erneut! – gewonnen. Ach ja: Auch Team xc-run.de. BAM!
Voller Stolz im Team-Herzen schaue ich mir die Ergebnisliste an und stelle fest, dass das zweite Herz kaum weniger stolz ist: Auf der 54km langen König vom Bayerwald-Strecke sind meine Berliner Homies Felix Kuschmierz und Lisa Risch auf dem Treppchen. Platz 2 und Platz 3. BAM AGAIN!
Nach etlichen Kuchen und Sieger*innen-Ehrung machen sich Stolz, Freude, Müdigkeit und Postrace-Hoch breit. Ein wunderbarer Tag geht zu Ende. Und während auf dem Marktplatz noch mit Live-Musik gefeiert wird, lege ich den strapazierten Körper ins Bett. Wann findet nochmal der 6. U.TLW statt? Ach ja … 2025 erst. Zwei-Jahres-Turnus. Letztlich aber auch gut. So bleibt noch etwas mehr Vorfreude.
Das sagt das xc-run.de Team
„Das Team Gamsbock hat sich wieder selbst übertroffen und der Trailrunning-Gemeinde ein unglaubliches Fest bereitet! Mit meiner Leistung beim Osser-Riesen bin ich mehr als zufrieden. Der Fight mit Hannes kitzelte das ein oder andere Prozent mehr aus mir heraus. Ein guter letzter Test für die WM.“
Thomas Wanninger„Titel verteidigt – vollkommen unerwartet aufgrund mangelnder spezifischer Wettkampfvorbereitung. Es war ein absolutes Highlight, mit ausreichend Vorsprung im Zielbereich anzukommen. So viele wunderschöne Eindrücke, strahlende Gesichter, Anfeuerungsrufe – Emotionen pur. Da vergisst man jeden Schmerz.“
Barbara Poxleitner„Eigentlich hätte alles gepasst: Perfektes Wetter, mein Lauf in der Heimat, Family und Freunde überall. Nach einem gelungenen Start war ich bei den Vorderen mit dabei, aber leider machte mir meine Verletzung am linken Oberschenkel früh wieder zu schaffen. Und irgendwann wollte dann auch der Kopf nicht mehr. So musste ich mich leider nach ca. 15km geschlagen geben und das Rennen beenden. Auch wenn ich daran ziemlich zu knabbern habe: Gesundheit geht vor und das nächste Rennen kommt bestimmt.“
Sabine Wurmsam„Ein nahezu perfekter Tag. Nach einer Durststrecke von fast zwei Jahren mit Verletzungen und Selbstzweifeln konnte ich zum ersten Mal wieder komplett befreit laufen. Die Platzierung ist für mich absolut traumhaft und so freue ich mich auf eine schöne Saison 2023.“
Christian Mayer
Bildergallerie vom U.TLW 2023