Basilia berichtet von ihrem Wettkampf-Comeback im schönen Ötztal. Ohne Erwartungen gestartet, einzig mit dem Ziel zu finishen, schafft sie es als zweite Frau wieder aufs Podium.
Stuiben Trailrun – Laufen im Zeichen des Wasserfalls
Stuiben. Nun erschließt sich mir auch der Name. Das Wasser staubt. In einer harten Rechtskurve laufe ich durch den Wassernebel. Aus dem Augenwinkel blicke ich in die tosende Gischt. „My rainbow calling me. Through the misty breeze“, sang Jimi Hendrix.
Ich bin erst wenige Minuten im Rennen. Und doch liegen bereits die meisten der 728 Stufen hinter mir. Nach moderatem Beginn durch Umhausen, dem lieblich anmutenden Waalweg durch den Wald, konfrontiert uns unmittelbar der über eine unterbrochene Felswand 159 Meter hinabstürzende Wasserfall. Eine gestufte Hängebrücke überwindet das Tal. Die hinaufstampfende Meute überträgt ihre Bewegung auf die Brücke. Das Schwanken bringt mich aus meinem Rhythmus. Ich fühle mich unsicher. Eigentlich schon länger. Dieses Gefühl war schon zum Start präsent. Um ehrlich zu sein schon bei der Anmeldung.
Schwierige Monate liegen hinter mir. Als ich vor knapp fünf Monaten aus der Narkose meiner Bandscheibenoperation erwachte, war mein größter Wunsch, wieder schmerzfrei zu sein. Nach den ersten Schritten, wollte ich zumindest wieder traben. Dann laufen. Irgendwann wieder rennen. Und genau das kann ich heute wieder. Noch längst nicht so wie früher. Das war auch der Grund für mein Zögern. Doch sollte ich mich deswegen verstecken?
Aus der Deckung zurück ins Licht
Könnte ich doch hinter dem Wasserfall laufen. Wie unter einem Schutzschirm. Vor drei Tagen bin ich 43 Kilometer gelaufen. Nicht gerade clever so kurz vor dem Rennen. Aber es war so schön. Und es gab mir Sicherheit. Durchkommen werde ich. Und im Moment liege ich sogar ganz gut im Rennen. Im flacheren Zwischenstück kann ich sogar kurz an der führenden Melina Vollmer vorbeiziehen. Es folgt ein steiler Singletrail. Erst rauf, dann wieder runter. Im technischen Abschnitt verliere ich. Melina überholt mich. Mein linker Fuß ist unsicher. Ich laufe mein Tempo. Auf dem Bergmahderweg spüre ich die muskuläre Erschöpfung durch den Singletrail. Kurz nach der zweiten Verpflegung dreht der Weg wieder nach unten. Es liegt noch viel Schnee auf den Bergen. Die Strecke musste deshalb etwas gekürzt werden. Keine spektakulären Gipfeleroberungen und Gratquerungen. Keine Extreme. Dafür harmonische Hochtäler vor alpiner Kulisse. Flowige, laufbare Trails. Auch herausfordernde, technische Passagen. Immer wieder unterbrochen von flacheren Stücken auf Forststraßen oder sogar Asphalt. Abwechslungsreich. Ideal für den Saisonbeginn. 2.300 Höhenmeter verteilen sich auf knapp 40 Kilometer.
Erst im Rennen angekommen, dann im Ziel
Im zweiten Downhill verliere ich wieder einen Platz. Doch diesen kann ich mir im folgenden steilen Anstieg wieder zurückholen. Lag es am Red Bull an der Verpflegung? Auf jeden Fall komme ich besser im Rennen zurecht. Ich bin darin angekommen. Nach einer Bachquerung geht es nun ganz hinunter ins Tal. Ein kurzes Stück an der Straße. Dann wieder steil hinauf nach Niederthai. Noch einmal fordert der steile Grashang des ersten Uphills. Meine Nase berührt fast das Gras, so steil ist es. Das gespannte Tau verhindert ein Hinunterrutschen. Der finale Downhill läuft sich deutlich besser. Oberhalb von Umhausen führt ein Pfad nochmal flach dahin. Eineinhalb Kilometer vor dem Ziel biegen wir auf einen leicht abschüssigen Fahrweg. Fast eine 4er-Pace laufe ich dem Ziel entgegen. Mit 15 Minuten Rückstnd komme ich als zweite Frau an. Ich freue mich. Und doch kann ich die Gedanken nicht unterdrücken. Was wäre unter normalen Umständen drin gewesen? Egal. Hauptsache ich kann wieder die Freude beim Laufen spüren. Die nassen Socken auswinden. Den Schmutz von den Beinen waschen. Und die schönen Erinnerungen behalten. An Sonnenstrahlen, die über den Gipfelgrat blinzeln. An kleine Bäche, die sich ihren Weg durch das Gelände bahnen. Und meinen Wasserfall. „Don’t ever change your ways. Fall with me for a million days.“
Schritt für Schritt nach vorne, aber noch einmal zurück
Die Zeit bis zur Siegerehrung vertreiben Michael und ich uns in der Ötztalerei bei fantastischen, veganen Burgern. Michael erzählt mir von seinen Irrwegen durch die Ötztaler Berge. Zweimal ist er falsch abgebogen. Normalerweise ist das ja mein Part. Wir treffen viele Freunde und Bekannte. Oft werde ich nach meinen nächsten Plänen gefragt. Ich weiß es nicht. Ich werde einfach einen Schritt nach dem anderen machen. Etwas mutiger bin ich heute wieder geworden. Und doch ist noch vieles unsicher. Nicht nur mein linker Fuß. Aber einen Plan habe ich schon geschmiedet. Nächstes Jahr will ich hier wieder laufen. Auf der Originalstrecke. Ganz hinauf. Dort gibt es bestimmt noch viel Schönes zu entdecken.
Ich blicke nochmal hinüber Richtung Stuibenfall. „Nothing can harm me at all. My worries seem so very small.“