Rennbericht von Basilia Förster
Zugspitz Ultratrail oder kurz ZUT, dieses Event war in meinem Rennkalender von Anfang an nicht verhandelbar. An einem Mangel an Alternativen lag es sicher nicht – Mozart 100, Livigno-Sky- oder Stelvio-Marathon sind nur 3 mögliche Läufe am gleichen Tag. Doch da ist der Blick aus unserem Wohnzimmerfenster in Krün – hier dominiert das raue Wettersteinmassiv gegenüber der davor eher lieblichen Landschaft. Mein Rennkalender erlebt die Dominanz der Zugspitze somit unmittelbar.
Und da ist noch etwas. Lange bevor ich an Ultratrails auch nur dachte, bereitete ich mich insgeheim schon darauf vor. Mein Mann Michael schlug damals eine Wanderung durchs Reintal auf den Gipfel vor. Statt der versprochenen Talfahrt verlängerte er die Tour über die Wiener Neustädter Hütte nach Ehrwald. Nach einer kurzen Nacht in einer Ehrwalder Pension ging es dann über den Eibsee zurück nach Partenkirchen. Das war schon mal ein kleiner ZUT-Vorgeschmack. Es war daher nur konsequent, dass ich nach zwei Läufen über die 100 KM-Distanz letztes Jahr dann auch beim ZUT an den Start ging. Ich erlebte viele Überraschungen wie Schneefelder, Matsch, ständig wechselndes Wetter und endlose Höhenmeter. Die traumhafte Landschaft entschädigte alle Strapazen und mit Platz 4 verfehlte ich das Stockerl im Gesamt-Klassement nur knapp. Kein Wunder also, dass ich dem ZUT-Ruf auch dieses Jahr folgte. Samstagmorgens stand ich mit über 500 Teilnehmern dichtgedrängt in der Start-Area in Grainau. Die überdimensionale Anzeige über dem Startbogen zeigte die aktuelle Uhrzeit an. Nur noch wenige Minuten bis zum Startschuss um 7:15 Uhr. 101 KM mit über 5.400 Höhenmetern einmal rund um das Wettersteinmassiv erwarteten uns. Da war sie – die typische Aufregung kurz vor dem Wettkampf. Gedanken schossen mir durch den Kopf.
- Wird sich die gute Wetterprognose bewahrheiten?
- Habe ich mich richtig vorbereitet? Waren die Kilometerumfänge der letzten Wochen mit 120 KM too much? Zu wenig Höhenmeter? Hält der Grip meiner Trailschuhe in den kniffligen Downhillpassagen?
- Vor allem aber: Welche Zielzeit wird über dem Torbogen am Ende stehen? Dunkel dürfte es in jedem Fall schon sein, aber wird es noch Samstag oder schon Sonntag sein?
Der Startschuss riss mich aus meinen Gedanken. Die ersten 100 Meter marschierten wir noch den Musikanten in Tracht hinterher, bevor es gleich ansteigend durch den idyllischen Ort Grainau ging. Die aufgeregte Stimmung inmitten der vielen Läufer, angetrieben durch zahlreiche Zuschauer am Wegesrand ließen mich viel zu schnell loslaufen. Auf den ersten 15 Kilometern geht es gleich einmal inklusive einiger kleiner Gegenanstiege 1.000 Höhenmetern zur deutsch-österreichischen Grenze hinauf. Ich setzte meine Stöcke ein und versuchte so ökonomisch wie möglich diesen ersten Anstieg zu meistern. Dann die Schrecksekunde – ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und schon lag ich auf dem Trail, das Knie blutig aufgeschlagen. Ein kurzer Check – alles noch dran, weiter geht’s. Die ersten beiden Verpflegungsposten lief ich zügig durch – 1,5 Liter Flüssigkeit hatte ich in meinen Trinkflaschen. Nun ging es mit einigem auf-und-ab zur Pestkapelle oberhalb der Ehrwalder Alm. Hier erwartete mich Michael, der mich als „rasender Reporter“ betreute. Der Trinkflaschenwechsel klappte super. Schnell ließ ich mir mein Knie behandeln, nebenbei kaute ich den ersten Energieriegel und weiter ging’s hinauf zum Feldernjöchl, nun das erste Mal die 2.000er-Grenze überschreitend. Ich lag gut im Rennen auf Platz 2 hinter der Favoritin Lisa Mehl, die nun bereits außer Sichtweite war, dicht verfolgt von Lada Stalzerova und Denise Zimmermann. Nun ging es in schroffes Gelände. Singletrails querten Geröllfelder, ein Kar folgte dem vorherigen, bis es schließlich hinab zur Hämmermoosalm oberhalb von Leutasch ging. Michael rief mir zu: „Super, Platz 2, schaut gut aus, weiter so!“. Ich dachte mir „Wie soll ich das Tempo nur halten, meine Beine brennen, ich fühle mich gar nicht mehr gut.“ Trotzdem halfen die aufmunternden Worte. Jochen Hauser, ein guter Bekannter auf den Ultratrails schoss Fotos und feuerte mich ebenfalls an. Also entschied ich mich fürs Lächeln, schnappte mir die neu aufgefüllten Trinkflaschen, zwei Riegel und startete den nächsten Anstieg hinauf zum Scharnitzjoch. Dies ist für mich der erste Meilenstein des ZUT. Über 10% Steigung auf 600 Höhenmeter, bevor es 900 Höhenmeter steil bergab zum Hubertushof geht. Die Downhillpassagen fordern volle Konzentration, jede Unachtsamkeit kann einen Sturz, im Worst Case sogar das Aus bedeuten. Hier konnte ich das Tempo meiner Verfolgerinnen nicht mitgehen, sodass ich auf dem vierten Platz unten ankam. Die Hälfte des Rennens war geschafft.
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„Jetzt kommt Dein Abschnitt“ rief Michael mir zu. Er spielte dabei auf meine Stärke in den Flachpassagen an. Und tatsächlich konnte ich schnell wieder Platz 3 einnehmen und lief einigermaßen locker das Leutaschtal hinaus. In Mittenwald lag ich nur 2 Minuten hinter Denise Zimmermann, kämpfte nun aber mit starken Magenproblemen. Irgendwie schleppte ich mich den leichten Anstieg zum Ferchensee hinauf. Die Lockerheit war dahin. Technik, ökonomischer Laufstil, Renntaktik, das alles gab es nur noch in meiner Erinnerung an die ersten Rennkilometer. Nun war Kampfgeist gefragt. Meine Konkurrenz bestand nicht mehr aus Lisa, Denise und Lada, mein Gegner hieß nun DNF. Noch nie musste ich einen Utratrail abbrechen und später das gefürchtete Akronym Did Not Finish in der Ergebnisliste lesen. Ich habe doch schon so viel gegeben, schoss es mir durch den Kopf. Also weiter, Basilia! DNF, das sollte nun als Imperativ gelten: Do Not Forfeit! Gib nicht auf! Weiter geht’s. Meine Euphorie hielt nur kurz. Die einfach zu bewältigende Forststraße nach Schloss Elmau zog sich endlos hin. Michael munterte mich erneut auf und machte sich auf den Weg zur Partnachalm. Kurz darauf ging gar nichts mehr. Ich zog mein Smartphone aus dem Rucksack und rief Michael an. „Ich kann nicht mehr.“ Er tat das einzig Richtige und zeigte kein Verständnis. „Du bist auf einem Stockerlplatz. Du bist näher an 2 als 4 an Dir. Ich fahre zur Partnachalm und dann schauen wir weiter.“ Da entschied ich mich für eine neue Strategie. „Du fährst jetzt ins Ziel und wartest auf mich. Dann habe ich wenigstens ein Ziel, einen Grund warum ich da hin soll“ entgegnete ich. Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark der Kopf über unseren Körper bestimmt. Ich hatte noch zwei Würgeattacken, doch dann ging es besser. Ich kämpfte mich durch die Partnachklamm, hinauf zur Alm, weiter zur Talstation am Längenfelder und schließlich zur Bergstation der Alpspitzbahn. Das waren noch mal 1.200 Höhenmeter auf 10 Kilometer. Wieder runter wurde es kurz vorm Längenfelder dunkel. Ich setzte meine Stirnlampe auf. Weder Denise noch Lada waren in Sichtweite. Betreuer hatte ich nun auch keinen mehr. Allein ging es nun die 1.200 Höhenmeter auf endlosen Trails steil nach Grainau hinunter. Auf dem einsamen Weg im Dunkeln saß ein großer Frosch, sichtlich erschrocken von meiner Stirnlampe. Als ich versuchte, ihn in die Sicherheit am Wegesrand zu bringen, sprang er auf meinen Fuß, ließ sich dann aber doch helfen. Ein Glücksfrosch dachte ich mir, nun wird alles gut. Nur noch das Ziel vor Augen lief ich durch den Wald, die Straße von Hammersbach hinab und hörte schon von weitem den Lärm aus der Ziel-Area.
„Dritte Frau auf der Ultrastrecke, Basilia Förster ist im Ziel“ hörte ich den Moderator rufen. Es war kurz vor 23 Uhr, also noch Samstag, als ich nach knapp 15:40 Stunden im Ziel einlief. Trotz der späten Uhrzeit waren noch viele Zuschauer und Athleten versammelt und bescherten mir einen großartigen Zieleinlauf. Michael nahm mich in den Arm und flüsterte mir ins Ohr „Das war Dein härtester Fight!“ Ich glaube, er hatte Recht. Nach einer kurzen Nacht durfte ich als dritte Frau am Sonntagmorgen an der grandiosen Siegerehrung teilnehmen. Mein Respekt gilt Lisa Mehl, die heute in einer anderen Liga lief und in ganz besonderer Weise Denise Zimmermann, die eine Woche nach dem Scenic Trail und ihren gesundheitlichen Herausforderungen mehr als verdient Zweite wurde. Mein Fazit nach etwas Erholung: Die Strecke entschädigt alle Strapazen. Aber sie fordert dem Athleten alles ab – physisch wie mental. Die ersten 50 KM bin ich mit den Beinen gelaufen, die zweiten 50 mit dem Kopf.