Keine Plastikbecher bei Veranstaltungen, Recycling-Material bei neuen Schuhen, ÖPNV-Tickets für die letzten Kilometer zum Wettkampf – die Trailrunning-Szene wird immer nachhaltiger und grüner. Oder nicht? Sind das vielleicht nur Wohlfühlaktionen, damit wir unser Gewissen erleichtern? Was ihr über Nachhaltigkeit wissen solltet.
Hintergrund: Was heißt Nachhaltigkeit im Trailrunning?
Die Ausgangslage ist so einfach, wie frustrierend: Wir Trailrunnerinnen und Trailrunner lieben es, draußen zu sein, die Berge und Wälder zu genießen, Ruhe und Kraft in der Natur zu finden. Doch genau die siecht dahin – um es mal deutlich zu sagen.
Dass Deutschland schon ab 2035 keinen einzigen Gletscher mehr haben wird, ist längst gewiss. Wer in den letzten Jahren im Harz unterwegs war, sieht kaum noch Wald, sondern apokalyptische Kahlflächen. Dazu kommen immer mehr Überschwemmungen, extreme Hitze, Tornados, Artensterben – diese traurige Liste ließe sich lange weiterführen. Konzepte dagegen gibt es viele, doch wie steht es um die Ausführung?
Nachhaltige Konzepte – Basiswissen
Auch die Klimabilanz der internationalen Sportartikelindustrie ist schlecht: Kunststofftextilien, Überproduktion, Mikroplastik, schlechte Produktionsbedingungen und dergleichen mehr. Dabei steigen Absatz und Gewinne kontinuierlich.
Um dem entgegenzuwirken, arbeiten Produkthersteller und Event-Veranstalter vor allem im Trailrunning-Bereich an diversen Nachhaltigkeitskonzepten. Flankiert wird dies von zahllosen Nachhaltigkeitssiegeln, die zu verstehen einen langen Artikel für sich bräuchte. Dabei sind die Basics erstmal ziemlich einfach.
In der Nachhaltigkeit spricht man seit Ende der 1990er von drei Säulen oder Dimensionen:
- Ökologische Nachhaltigkeit:
Fokus Umwelt – natürliche Ressourcen sollen geschont werden. - Ökonomische Nachhaltigkeit:
Fokus Organisationen – damit ökologische Nachhaltigkeit auch dauerhaft finanzierbar ist. - Soziale Nachhaltigkeit:
Fokus Mensch – menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit Arbeit und Familie, etc.
Es geht also um deutlich mehr als nur das Vermeiden von Plastikmüll bei uns vor Ort. Wenn also ein Event auf lokale Bio-Produkte umstellt, unterstützt es damit die lokalen Betriebe und einen kontrollierbaren ökologischen Anbau. Damit das ökonomisch tragbar ist, könnte sich das Startgeld zwar ein wenig erhöhen, aber es würden gleich mehrere Dimensionen der Nachhaltigkeit angesprochen.
Wenn bei einem Event hingegen möglichst günstig Shirts für alle Startenden ausgegeben werden, diese aber in Bangladesch zu Dumping-Löhnen hergestellt werden, billigste Rohstoffe verwendet werden, die Shirts um die halbe Welt transportiert werden und am Ende noch diverse Shirts im Müll landen, ist das zwar günstiger, aber weder ökologisch noch sozial nachhaltig.
Ähnlich sieht es aus, wenn Schuhhersteller in ihren Schuhen zwar recyceltes Material einsetzen, das allerdings oft nur im Obermaterial oder den Schnürsenkeln verbauen. Dann ist das große Label „recyceltes Material“ kaum mehr wert, als ein kurzes Wohlfühlen, beim Kauf doch irgendwie etwas Gutes getan zu haben. Das nennt man dann „Greenwashing“, denn der ökologische Fußabdruck verbessert sich kaum.
Was sind „Scopes“ in den drei Säulen?
Vor allem im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit wird zusätzlich oft von „Scopes“ gesprochen. Diese stehen für den Bereich, in dem z. B. CO2-Emissionen verursacht werden.
- Scope: alle direkt verursachten Emissionen
- Scope: alle indirekt verursachten Emissionen, z. B. durch die Nutzung von Kohlestrom
- Scope: Alle anderen Emissionen, z. B. Lieferketten, genutzte Produkte, Dienstleistungen, Abfallentsorgung
Drei Säulen und drei Scopes machen es erstmal nicht ganz leicht, bringen in das komplexe Thema aber eine nachvollziehbare und vor allem ziemlich messbare Ordnung.
Wenn eine Veranstaltung also mit dem örtlichen ÖPNV organisiert wird, dass im Bereich des Events Busse und Züge umsonst genutzt werden können, zahlt das auf die ökologische Nachhaltigkeit im Scope 1 und 2 ein – wenn die Organisierenden selber das Angebot nutzen und die Teilnehmenden auch. Denn beide stoßen dann weniger CO2 aus als im Individualverkehr.
Hebelwirkung und Eigenverantwortung
„Als Einzelperson können wir ja doch nichts ausrichten“, hört man immer wieder. Und doch haben wir vielen Einzelpersonen die größte Hebelwirkung beim Thema Nachhaltigkeit im Trailrunning.
Was ist nun unsere Verantwortung als Trailrunnerinnen und Trailrunner? Wir können uns selber ja mal ein paar einfache Fragen stellen:
- Müssen wir an Wettkämpfen teilnehmen, die nur per Flugzeug zu erreichen sind?
- Müssen wir allein oder nur zu zweit im Auto zu Events anreisen?
- Müssen wir 5 Paar Schuhe haben, die doch wieder viel zu oft unter unwürdigen Bedingungen und mit schlechter Ökobilanz hergestellt wurden?
- Müssen wir ein Finisher-Shirt haben?
- Müssen wir unsere eigene Verpflegung in kleinsten Plastikpackungen nutzen?
Damit nachhaltige Konzepte tatsächlich eine Hebelwirkung erhalten, müssen wir alle mitziehen.
Es gibt keine komplett CO2-neutralen Schuhe. Es gibt keine CO2-neutralen Veranstaltungen. Es gibt keine CO2-neutralen Flugreisen. Es gibt lediglich Kompensationen für bereits verursachte Emissionen. Diese so gering wie möglich zu halten, ist auch unsere Verantwortung. Die Industrie kann – und muss! – uns dabei natürlich unterstützen. Sie könnte damit anfangen, die negativen Folgen der Produktionen zu messen und im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit die CO2-Emmissionen zu kompensieren. Und wir können bei Firmen einkaufen, die genau das schon machen.
Reichweite nutzen: Kilian Jornet, Jasmin Paris und Damian Hall
Diese Wirklogik unterstützen auch Initiativen wie die Stiftung von Kilian Jornet oder die Green Runners Initiative der britischen Trailrunning-Profis Damian Hall und Jasmin Paris.
Kilians Stiftung fördert Austausch von Erfahrungen sowie praktischem und theoretischem Wissen zu den Folgen und Hintergründen von Klimawandel und Umweltveränderung. Klingt sperrig, wird aber z. B. in Videos und Podcasts sehr verständlich erklärt. Die Logik: Je mehr wir wissen, desto einfacher können wir nachhaltig agieren. Schaut mal rein.
Die Green Runners sind eine internationale Community, die unter anderem sehr direkte und sehr einfache Fragen an uns Laufende stellt. Wie viel Equipment brauchst du eigentlich? Kannst du ungenutzte Kleidung spenden? Welchen Einfluss hat deine Ernährung auf den Klimawandel? Musst du wirklich per Flugzeug anreisen? Die Logik: Wir können sehr viel selber machen. Und es ist nicht schwer. Schaut mal rein.
Von Nachhaltigkeit zu Regeneration
Der bisher erklärte Umfang von Nachhaltigkeit bedeutet letztlich, dass einem System nur so viel entnommen werden darf, wie das System selber regenerieren kann. Über den Punkt, dass sich unsere Umwelt oder die globale Arbeitswelt selber wieder regenerieren, wenn wir nur unseren negativen Einfluss etwas zurückfahren, sind wir leider schon lange hinaus. Weder die Natur noch soziale Systeme werden sich durch „etwas weniger vom Schlechten“ erholen.
Aus diesem Gedanken heraus wird immer klarer, dass wir aktiv bei der Regeneration unterstützen müssen. Das nennt man dann „regenerative Wirtschaft“. Einige Organisationen sind z. B. über Modelle der Kreislaufwirtschaft auf dem Weg dahin – hier ein Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum.
Wir hoffen, dass die internationale Sportindustrie sich nicht nur mit den Themen „Nachhaltigkeit“ und „Regeneration“ auseinandersetzt, sondern auch entsprechend handeln wird. Und das möglichst bald. Etwas weniger Plastik in den eigenen Produkten reicht da nicht aus.
Die Trailrunning-Branche und Community sind da schon auf einem guten Weg: Das Thema ist platziert, Wissen wächst, Aktionen finden statt, Selbstverständnisse verändern sich. Angekommen sind aber auch wir noch lange nicht. Nicht bei Nachhaltigkeit in auch nur einer der drei Säulen – und erst recht nicht beim langen Weg zu regenerativen Systemen.
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Viele Artikel, Produktbesprechungen und Interviews findet ihr in der Übersichtsrubrik „Nachhaltigkeit.
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