Etappe 8: Das Ende einer langen Reise

Christian Mayer und Eric Leidenfrost vom Team GORE WEAR xc-run.de Trailrunning haben es geschafft: Finisher Transalpine Run 2019 © Christian Mayer

Die Wetterkapriolen der vergangenen Tage haben die ursprünglichen Strecken- und Zeitplanungen schon ordentlich durcheinandergewirbelt. Aber nichts ist so beständig wie die Lageänderung und so kam es, dass der Streckenchef Martin Hafenmair auch für die 8. Etappe gravierende Änderungen bekanntgeben musste. Aufgrund des Wintereinbruchs mit Neuschnee bis auf eine Höhenlage von knapp über 2.000 m kann die ursprüngliche Strecke aus Sicherheitsgründen nicht gelaufen werden. Der geplante Aufstieg zum höchsten Punkt der gesamten TAR- Woche, zur 2.868 m hohen Taberattascharte wäre nach Meinung von Hafenmair noch für jedermann zu bewältigen gewesen. Am Abstieg jedoch hätten sich bei einer Neuschneeauflage von ca. 40 cm sogar die trittsichersten Läufer die Zähne ausgebissen. Aus diesem Grund wurde für die letzte Etappe eine Alternativroute erstellt. Diese ist zwar um knapp fünf Kilometer kürzer, aber mit insgesamt 2.200 HM im Anstieg nicht weniger anspruchsvoll. Bei bereits gelaufenen 250 Kilometern sind Eric und ich allerdings wenig traurig über die Streckenkürzung, auch wenn wir die reizvolle Taberattascharte sehr gerne überwunden hätten. Nach dem Briefing geht es sofort zurück ins Hotel, ein letztes Mal die Verpflegung beschriften, Laufrucksack vorbereiten, Dropbag packen und ab ins Bett. Mit der Aussicht auf den letzten Lauf verläuft die Nacht sehr unruhig.

Der große Tag

Früh klingelt der Wecker. Da wir unsere letzte Unterkunft bereits am Zielort gewählt haben, geht es direkt nach dem Frühstück mit dem Shuttle zum Startort Prad am Stilfserjoch. Dort wartet der erste emotionale Abschied für uns. Im Laufe der Woche haben wir die Jungs und Mädels von Outdoor Physio zu schätzen gelernt, da sie sich immer liebevoll um unsere kleinen und größeren Wehwehchen gekümmert haben und es mit ihnen nie langweilig geworden ist. Ein letztes Mal lasse ich eine in Mitleidenschaft gezogene Sehne tapen und nach einem letzten gemeinsamen Erinnerungsfoto machen wir uns auf zur Ausrüstungskontrolle und betreten den Startblock A. Auch die Blicke der anderen Läufer zeigen eine Mischung zwischen Freude und Melancholie über das bevorstehende Ende dieses großartigen Events. Der Countdown läuft, ein letztes Mal Schulter klopfen und Glück wünschen und schon geht es los. Trotz der relativ flachen Strecke durch Prad ist im Vergleich zu den letzten Starts das Anfangstempo relativ niedrig. Die vergangenen Tage waren hart und das ist auch an den Spitzenläufern nicht spurlos vorbei gegangen. Mit diesem ruhigen Tempo geht es in den ersten gleichmäßig steigenden Anstieg, so dass Eric und ich Tuchfühlung zur Spitzengruppe halten können. Die in Serpentinen angelegte Strecke bietet die Möglichkeit auch auf den hinteren Teil des Läuferfeldes zu blicken. Wie ein langer Lindwurm zieht sich das Feld den Berg hinauf. Aufgrund der kurzfristigen Streckenänderung hatten wir keine Möglichkeit mehr, uns intensiver mit der Streckenführung zu befassen, so dass diese für uns absolutes Neuland ist. Endlich biegen wir in den ersten Singletrail ab. Durch die extreme Steigung reißt das Feld sehr schnell auseinander. Eric und ich rammen unsere Stöcke in den weichen Waldboden und drücken uns nach oben. Sehr schnell gewinnen wir an Höhe und bringen die ersten 1.200 Höhenmeter hinter uns. Da wir uns in einem weitläufigen Waldgebiet direkt an der Grenze zum Stilfserjoch-Nationalpark befinden, bekommen wir von dieser gewaltigen Bergregion nicht viel mit. Als das Gelände etwas offener wird, wartet bereits der erste lange Downhill- Abschnitt auf uns. Eric ist durch eine alte Verletzung gehandicapt und ich bin auch nicht als Downhill- Spezialist bekannt, so dass wir hier das Tempo drosseln müssen und dadurch viele Positionen einbüßen.  Hätte es mich in den letzten Tagen noch vor Ehrgeiz zerrissen, so nehme ich diesen Umstand jetzt etwas gelassener. Auch das ist der TAR – man wird gelassener und ruhiger. Unser Primärziel ist glücklich und gesund im Ziel anzukommen. Endlich haben wir die Talsohle erreicht und mit dem Anstieg zeigen wir den anderen Teams nochmal, was eigentlich möglich gewesen wäre, wenn wir beide vollkommen beschwerdefrei antreten hätten können. Es ist für mich immer wieder ein Glücksgefühl, wenn ich den Berg Stück für Stück erobere und dabei in die ungläubigen Gesichter meiner Konkurrenten blicke, an denen ich mich vorbeidrücke. Harte und steile Anstiege sind unser Element und hier können wir ganz vorne mitkämpfen. Eine unüberhörbare Kuhglocke zeigt es uns wie bei den vergangenen Tagen an. Wir sind kurz vor dem höchsten Punkt der Strecke und dort wartet der Streckenchef persönlich und feuert uns lautstark an. Und genau so ist es auch diesmal. Mit einem breiten Grinsen steht an einem Absatz Martin Hafenmair und klopft uns ein letztes Mal auf die Schultern: „super schaut`s noch aus Männer, auf geht`s, weiter so“ Wir quittieren diese Aufforderung mit einem Lächeln und einem gedämpften „Danke Martin“. An dieser Stelle ist das Geländer wieder etwas offener und die mittlerweile höher hängenden Wolken geben zumindest einen kleinen Blick frei auf das gegenüberliegende atemberaubende Ortlermassiv. Da wir trotz aller Schwierigkeiten dieses letzte Rennen mit Anstand zu Ende bringen wollen, halten wir uns hier nicht länger auf und stürzen, oder besser gesagt quälen uns in den vorletzten Downhill. Dieser endet an der V2 am Ortsende von Sulden. Das man das Ziel bereits vor Augen hat und man aber trotzdem nochmals in einen steilen Uphill und darauf folgenden Downhill geschickt wird, ist das „gemeine“ an dieser Streckenführung. Wir nehmen das Ganze mit Fassung. Zum einen führt der Weg direkt an einem ungezähmten und reißenden Gebirgsbach entlang und zum einen sind das die letzten Kilometer dieser langen Reise. Während des Aufstiegs fühle ich mich aufgrund der Szenerie aus Schneebedeckten Bergen, saftig grünen Wiesen und Nebelgetränkter Umgebung in Tolkien`s Roman „Herr der Ringe“ versetzt. Ich bin ein sehr emotionsgeladener Mensch und je näher wir dem Ziel kommen, umso öfter muss ich meine feuchten Augen abwischen. Schlussendlich kommt es so wie es kommen musste. Der Pfad wird etwas flacher und nach einer kleinen Kuppe geht es den letzten Downhill hinab. Die letzten Tage waren nicht nur Anstrengung für mich, sondern auch das tägliche Sammeln von Erfahrung. Und so bereitet mir dieser enge und teilweise steil abfallende Wurzeltrail richtig Freude und ich stürze mich vergleichsweise schnell hinab. Trotz des relativ schlechten Wetters wird dieser Weg bereits von Einheimischen und Touristen gesäumt, die uns Beifall klatschen und auf den letzten Metern anfeuern. Im Tal angekommen liegen noch knapp eineinhalb Kilometer vor Eric und mir. Die Tennishalle von Sulden ist bereits erkennbar und ich versuche absichtlich das Tempo zu verringern. Die letzten Meter vergehen wie in Trance und ich kämpfe ganz deutlich mit den Tränen. Die Halle ist bereits gut besucht, der Moderator kündigt uns lautstark an und Eric und ich schreiten die letzten Meter in den Zielbereich. Wir haben es gemeinsam geschafft, sind durch Höhen und Tiefen gegangen und haben unglaubliche 277 km und 16.338 HM hinter uns gebracht.