Silvrettarun 3000: Ein Selbstversuch

Silvretta Run 3000 © Michael Förster

Basilia Förster läuft und läuft und läuft. Nur wenige Tage nach ihrem Finish beim Gran Trail Courmayeur (zum Artikel) steht die Team xc-run.de Athletin an der Startlinie zur letzten Version des Silvrettarun 3000 und macht innige Bekanntschaft mit dem Mann mit dem Hammer. Ob sie ihn bezwingt lest ihr in ihrem Rennbericht:

Silvrettarun 3000 – ein Selbstversuch

Meine Beine sind schwer. Das Tempo langsam. Die Frequenz niedrig, Immerhin komme ich vorwärts. Das war es aber auch schon. Reicht aber auch für einen Trainingslauf von der Arbeit nach Hause. Vor 72 Stunden finishte ich den Gran Trail Courmayeur (zum Artikel) mit 107 Kilometern und 7.000 Höhenmetern. Da darf ich auch mal erschöpft sein. Obwohl ich eigentlich schon wieder fit sein will. Schließlich ist da was am Wochenende. Zwei Tage später laufe ich wieder. Mit etwas leichteren Beinen, schon etwas schneller, aber noch weit entfernt vom Normalzustand. Michael geht es genauso. Wir diskutieren über die Theorie der Superkompensation. Ich habe natürlich einen Hintergedanken. Manche Läufer berichten davon, dass eine Woche nach dem Marathon bei entsprechendem Tapering der ideale Zeitpunkt für eine 10-Kilometer-Bestzeit ist. Ich überlege, ob man diese Erkenntnis auch auf die Ultradistanz anwenden kann. Hier gibt es noch nicht so viele Theorien. Vielleicht sollte ich es mal ausprobieren. Und was würde sich dafür besser eignen, als die letzte Auflage des Silvrettaruns 3000. Hier wollte ich doch so gerne nochmal laufen. Die Erinnerungen an 2021 sind noch präsent. Traumhafte Berge, laufbare Strecke und zum Schluss Platz zwei auf dem Podium. Das will ich unbedingt nochmal erleben.

Start ins Ungewisse

Silvretta Run 3000 © Michael Förster

Unsicher, ob meine Theorie aufgeht, stehe ich am Start in Ischgl. Mir fehlen Erfahrungswerte. Bald werde ich wissen, ob der Test funktioniert. Vernünftig ist es wahrscheinlich nicht. Aber das war auch noch nie mein Ziel. Die Stimmung im Starterfeld ist hervorragend. Der positive Spirit überträgt sich auf mich. Zumindest mental bin ich in bester Rennlaune. Die Sonne schiebt sich langsam über die Bergkette. Ein heißer Tag steht uns bevor.

Der Silvrettarun 3000 ist ein Marathon durch die Berge. Nur wenige technische Stellen – dafür sehr runable. So war es zumindest vor zwei Jahren bei meinem letzten Start. Mit meinen Stöcken bin ich hier Exot. Doch die neue Streckenführung verspricht über 2.000 Höhenmeter. Sicher ist sicher.

Der Startschuss fällt. Ohne flache Eingewöhnung geht es direkt in den Anstieg. Es läuft erstaunlich gut. Nach der ersten steilen Rampe zur Mittelstation der Silvrettabahn wird der Anstieg flacher. Ich finde mein Tempo. Leicht unter meinem normalen Racespeed. Erstaunlich leicht fühlen sich meine Beine an. Weiter geht es über die Heidelberger Hütte zum Ritzenjoch, mit knapp 2.700m dem höchsten Punkt der Strecke.

Der Mann mit dem Hammer schlägt zu

Auch bergab läuft es gut. Über die Larein Alpe geht es hinab nach Tschafein. Das Tal zieht sich. Die Sonne brennt. Selbst hier oben ist es fast zu heiß zum laufen. Endlich treffe ich Michael. Betreuung brauche ich keine. Es gibt so viele Verpflegungsposten. Bestens ausgestattet mit Gel und Riegel. „Platz 2“ ruft er mir zu. Nun habe ich Gewissheit. Die ersten zwei Drittel der Strecke laufen wir gemeinsam mit den Läufern der Medium-Distanz. Deshalb ist es für mich nicht ganz einfach, den Überblick über die Platzierung zu behalten. Es kann nicht mehr weit bis ins Tal sein, als wir in einen steilen Singletrail abbiegen. Plötzlich verkrampfen die Muskeln meines linken Beins. Ich verliere den Halt. Mein Stock durchbohrt mein T-Shirt knapp unter meinem Schlüsselbein und bewahrt mich vor einem Sturz. Ich versuche, langsam weiter zu laufen. Die gesamte Muskelkette von Hüfte bis Fuß macht immer wieder zu. Irgendwie schaffe ich es trotzdem nach unten zur Verpflegung. Die 30 Kilometer-Distanz wäre jetzt verlockend. Da könnte ich direkt ins Ziel abbiegen. Doch ich habe keine Wahl. Ich muss auf die lange Schleife. Im Vergleich zur Originalstrecke sind das einige Höhenmeter mehr. Dafür lerne ich nun auch die gegenüberliegende Bergwelt kennen.

Spannung zum Schluss

Silvretta Run 3000 © Michael Förster

Das letzte Drittel beginnt auf einer moderaten Forststraße. Schon bald verengt sich der Weg zum Singletrail. Die Sonne brennt erbarmungslos. Der Schweiß rinnt. Ich habe das Gefühl, alle wichtigen Mineralien fließen aus meinem Körper heraus. Wie zur Antwort reagiert mein linkes Bein mit wiederkehrenden Krampfattacken. Ich schaffe es, mich trotzdem weiter zu bewegen. Nur die Geschwindigkeit muss ich etwas reduzieren. Und Platz 2 aufgeben. Egal wie sehr ich dranbleiben möchte, es geht nicht. Über Sonnenkogel und Adamsberg laufen wir hinab zur Friedrichshafener Hütte. Der Downhill ist überraschend technisch. Meine Stöcke helfen mir, die Oberschenkel zu entlasten. Ich freue mich, trotz aller Strapazen über Stock und Stein zu hüpfen. Im Tal angekommen, queren wir die Hauptstraße und münden in die Ursprungsstrecke ein. Ich habe noch zwei Kilometer bis ins Ziel, als plötzlich die vierte Frau auf mich aufläuft. Vor lauter Freude über den Lauf und etwas zu viel Vorsicht, habe ich vielleicht etwas getrödelt.

Happy End in Galtür

Die Schlussetappe führt leicht ansteigend nach Galtür. Das gefällt mir. Ich mache Tempo – so gut es geht. Alles tut mir weh. Die Krämpfe bleiben zum Glück aus. Nach so vielen Rennen weiß mein Körper wahrscheinlich, dass ich ich mich jetzt nicht mehr bremsen lasse. Ich drehe mich um. Mein Abstand ist groß genug. Nur passieren darf nichts mehr. Tut es auch nicht. Glücklich laufe ich als dritte Frau ins Ziel. Projekt geglückt. Gerade noch. Auf jeden Fall habe ich viel gelernt. Die Superkompensationstheorie von Marathon auf zehn Kilometer ist nicht unbegrenzt skalierbar. Von 100K auf Halbmarathon hätte wahrscheinlich am besten geklappt. Abseits aller Theorie bin ich froh, heute durch die wunderschöne Bergwelt gelaufen zu sein. Nächstes Jahr wartet dann anstelle des Silvretta Runs der Paznaun Ischgl Ultra Trail. Das wird um einiges länger und trailiger. Noch mehr schöne Berge, reißende Bäche, grüne Täler. Ich freue mich schon darauf. Und dann gehe ich auch ganz ausgeruht an den Start.