Teil 3: Status Quo – Bestandsaufnahme beim ersten Test

Leistungsdiagnostik: alle Daten live im Blick © Felgenhauer / xc-run.de

Nun wird es für Anika und Markus ernst und alle Karten kommen offen auf den Tisch. Zumindest bei Oliver zur Leistungsdiagnostik können die beiden wenig verheimlichen. Die gefürchtete Zange beißt gnadenlos zu und die Spiromessung lässt auch das klitzekleine auf der Anreise verzehrte Gummibärchen nicht verleugnen. Nach einem ausführlichen Anamnesegespräch geht es zuerst auf die Waage und dann aufs Laufband. Mit Pulsgurt, Maske und Stryd Powermeter ausgerüstet kann das Spektakel beginnen. Bereits in Ruhe zeigt Anikas Herzfrequenz ein kleines bisschen Aufregung noch bevor der erste Schritt getan ist…

Körperstrukturanalyse

Abbildung 1: Messung der Hautfaltendicke mittels Harpenden Caliper © Oliver Hein

Neben der Größe und dem Gewicht hat die Zusammensetzung des Körpers mit Muskel-, Fett- und Wasseranteil einen wesentlichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Für viele Athleten birgt eine Optimierung der Körperstruktur in Bezug auf die Anforderungen des Wettkampfes ein deutliches Leistungspotenzial. Allein die Reduzierung des Körperfettanteils und das damit einhergehende niedrigere Körpergewicht verringern den Energieverbrauch, verbessern die relative Sauerstoffaufnahme (ml/kg KG) und auch die relative Leistung (Watt/kg KG). Für stundenlange Ultratrail-Wettkämpfe mit vielen zu überwindenden Höhenmetern ein entscheidendes Kriterium. In diesem Zusammenhang erscheint die Gewichtsersparnis hochpreisiger Ausrüstungsgegenstände oftmals lächerlich. Zur Ermittlung der Körperstruktur kamen bei Anika und Markus die Bioelektrische Impedanzanalyse mittels einer Tanita Segment-Körperanalysewaage und die Hautfaltenmessung mit einem Caliper zum Einsatz.

Die Ergebnisse von Markus zeigen nicht wirklich ein Potenzial zur Optimierung auf. Sein Körperfettanteil von 4,2 % ist schon sehr niedrig. Die Zange musste Hunger leiden – da ist nix mehr zu holen. Der Wasseranteil ist mit 69 % sehr gut und die fettfreie Körpermasse von 66 kg bestätigt einen entsprechend hohen Muskelanteil. Damit ist Markus Körper für lange Ultratrails mit Gepäck in anspruchsvollem Gelände perfekt geeignet, für schnelle Uphills schleppt er jedoch zu viel Muskulatur mit sich herum, ist etwas zu schwer. In diesem Zusammenhang ist eine Betrachtung der relativen Leistung (Watt pro kg Körpergewicht) interessant, was auch einen Vergleich mit anderen Athleten ermöglicht. Diese liegt bei Markus an der funktionalen Schwelle bei 4,9 Watt/kg. Das ist schon sehr ordentlich, offenbart aber zur Weltspitze noch gut 1 – 1,5 Watt/kg Differenz.

Ein Blick auf die Normwerte zur Beurteilung der Körperstruktur zeigt, dass der Body-Mass-Index und der Taille-Hüft-Quotient nur zur ersten groben Orientierung dienen können. Diese Berechnungen geben keine Auskunft über die Zusammensetzung des Körpers in Bezug auf Muskelmasse, Körperfett- und Körperwasseranteil. Der BMI von Markus ist mit 22,9 im oberen Normalbereich und der THQ mit 0,89 im Bereich des Untergewichtes einzuordnen. Sein KF-Anteil ist mit 4,2 % als niedrig zu beurteilen, so dass sich der für Läufer relativ hohe BMI aus der Muskelmasse ergibt. Für das Laufen mit Gepäck in anspruchsvollem Gelände insgesamt sehr gute Voraussetzungen.

Laufbandtest – Spiroergometrie

Bei dem Test auf dem Laufband wurde bei einem rampenförmig ansteigenden Belastungsprotokoll die aerobe und anaerobe Schwelle ermittelt sowie die maximale Sauerstoffaufnahme gemessen. Neben der erfassten Leistung, Geschwindigkeit und Herzfrequenz erfolgte für jeden Atemzug eine Atemgasanalyse. Über die Sauerstoffaufnahme und die Kohlendioxidabgabe kann sowohl der intensitätsabhängige Energieverbrauch berechnet als auch der jeweilige Anteil an Fett- und Kohlenhydratverbrennung ermittelt werden.

Abbildung 3: Spiroergometrie, Anika absolviert den Test auf dem Laufband © Marco Felgenhauer

Die Grafik zeigt einen Screenshot von Anikas Test aus dem Diagnostikprogramm MetaSoft Studio. Im oberen Bild sind folgende Parameter dargestellt:

  • die Laufgeschwindigkeit (km/h)
  • die Leistung (Watt)
  • der Energieverbrauch (kcal/h)
Intensitätsabhängiger Energieverbrauch, ScreenShot MetaSoft Studio

Die beiden Marker bei Minute 10 und 12 stellen die aerobe und anaerobe Schwelle dar, welche Anika bei 13,3 km/h mit einer Leistung von 225 Watt bzw. 15,6 km/h mit 264 Watt erreicht hat. Bei Testende ist Anika 18,5 km/h schnell gelaufen, wofür sie eine Leistung von 313 Watt erbringen musste. Über dieses Testverfahren lässt sich der Energieverbrauch für die unterschiedlichen Geschwindigkeits- und Leistungsbereiche ermitteln. Das ist nicht nur für die Versorgung bei mehrstündigen Trainingsläufen oder Wettkämpfen interessant. Wer seine tägliche Energiebilanz noch etwas aufpolieren möchte, kann so den zusätzlichen Energieverbrauch durch das Lauftraining berechnen.

Kohlenhydrat- und Fettverbrennung im Belastungsverlauf, Screenshot MetaSoft Studio

In der zweiten Grafik sind als blaue Linie der Kohlenhydratverbrauch und als gelbe Linie die Fettverbrennung jeweils in g/h dargestellt. Im Grundlagenausdauerbereich bis zur aeroben Schwelle funktioniert Anikas Fettstoffwechsel sehr gut und erreicht ein Plateau bei ca. 33 g/h. Der Kohlenhydratverbrauch liegt in diesem Intensitätsbereich unter 76 g/h und damit bei einer Menge, die auch im Wettkampf gut über Gel und Getränke aufgenommen werden kann. Für Ultraläufe schon eine sehr gute Basis. Mit der Temposteigerung reduziert sich im weiteren Testverlauf die Fettverbrennung sehr stark und Anika ist mit dominantem Kohlenhydratstoffwechsel unterwegs. Der Verbrauch von 141 g/h an der anaeroben Schwelle liegt hier schon deutlich über der Aufnahmekapazität von 60-90 g/h. Bei entleerten KH Speichern kann dieses Tempo dann nicht mehr aufrechterhalten werden – was viele Läufer sicher schon in dem einen oder anderen längeren Wettkampf am eigenen Leibe erfahren haben. Auch liegen Anikas Schwellen sehr nahe beieinander, wodurch sich nur ein kleiner Übergangsbereich ergibt. Hier lässt sich Anikas Trainingsschwerpunkt der letzten Wochen eindeutig erkennen: viele lockere Grundlagenläufe zur Verbesserung der aeroben Ausdauerleistungsfähigkeit und wenig Training dort wo es unangenehm wird. Auf diesem ordentlichen Niveau kann Anika aufbauen und mit gezieltem Training im Bereich der anaeroben Schwelle und darüber auch noch an ihrer Tempohärte feilen. Markus und Oliver haben ihr versprochen, sie bei den nächsten Tests im Gelände sanft an diese Belastungsintensitäten heranzuführen 😉

Hier nochmal Anikas Ergebnisse vom Laufbandtest im Überblick:

Ausblick

Wie sich aus diesen Werten dann eine individuelle Belastungssteuerung für Training und Wettkampf ableiten lässt und welche Trainingsbereiche man festlegen kann, zeigen wir euch im nächsten Beitrag. Außerdem gehen wir näher auf das Laufen mit Wattmesser ein und präsentieren die Testergebnisse von den Feldtests auf der Bahn und im Gelände.

(Teil 4): Belastungssteuerung im Trailrunning (Erscheinungsdatum: KW29)

Text: Oliver Hein