Trailrunner im Interview: Philipp Reiter

Philipp Reiter © http://www.philipp-reiter.de

Kein deutscher Trailrunner hat unsere Sportart so nachhaltig geprägt wie Philipp Reiter. Mittlerweile ist der „Zauberlehrling“ erwachsen geworden und für den Bergsport viel mehr als ein 18-jähriges Jahrhunderttalent. Er ist Fotograf, Projektmanager, Alpinist, Skibergsteiger und zugleich immer noch ambitionierter Trailrunner. Christian Mayer hat das bekannteste Gesicht der deutschen Trailszene zum Interview gebeten:

Christian: Hallo Philipp, zum 30- jährigen Jubiläum des Mauerfalls bist Du im November vergangenen Jahres Teile der innerdeutschen Grenze abgelaufen. Neben der sportlichen Herausforderung stand bei diesem Projekt die symbolische Wirkungskraft des freundschaftlichen Zusammenwachsens von Ost und West im Vordergrund. Passend zum Nebelgrau des Novembers, wie waren Deine Empfindungen am ehemaligen Todesstreifen zu laufen? Ist diese Jahrzehntelange Trennung heute noch spürbar?

Philipp: Der „Wall-Run“ ist auf jeden Fall eines meiner bisher bewegensten Läufe die ich jemals gemacht habe. Die höchst emotionalen Geschichten über Fluchtversuche, die grausam-perfekten Grenzanlagen, der Irrsinn von gefälschten Karten, Agententunneln und in der Mitte geteilten Dörfern. Wenn dir jemand direkt am Ort des damaligen Geschehens erzählt wie auf ihn geschossen wurde, er gerade noch durch den Zaun schlüpfen konnte, um Haaresbreite den Kugeln entkommen ist und sich vorher – in dem Wissen dass er sie wohl nie wieder sehen wird – von seiner gesamten Familie verabschieden musste, da kommen einem wirklich die Tränen. So viele brutale und grausame Einzelschicksale lassen einen einfach nur fragen: Warum?
Als Kontrast dazu hatten wir ein super lustiges Team aus 8 Läuferinnen und Läufern und haben uns im Staffelmodus permanent abgewechselt um den kleinen symbolischen Holz-Grenzpfosten über die gesamte Länge von fast 1400km weiterzutransportieren. Laufen (und 10 Tage gemeinsam im Wohnmobil) verbindet und das hat sich wirklich bestätigt – wortwörtlich!
Nur einen Wermutstropfen gab es leider: das Live-Tracking hat nicht recht funktioniert und deshalb war es für „spontane Mitläufer“ aus der Community kaum möglich uns zu finden und einen Teil der Reise mit uns zu erleben.

Christian: Mit einem anderem Mammutprojekt hast Du Dir vor knapp zwei Jahren einen Namen gemacht. Gemeinsam mit Bernhard Hug, David Wallmann und dem Ehepaar Smiley hast Du in nur 36 Tagen die Alpen von Wien bis nach Nizza überquert. Wie kam es zu diesem Abenteuer?

Philipp: Hehe, das war eigentlich ganz einfach: Ich saß Nachts noch am PC um mir ein paar Infos zu Skitourenrennen zusammenzusuchen und dann bin ich zufällig auf die Ausschreibung vom „Langen Weg“ gestoßen. Einmal die gesamten Alpen von Ost nach West mit den Skiern zu durchschreiten, auf den Spuren der Pioniere von 1971, als Team von Wien nach Nizza. Das hört sich nach einem extrem spannenden Abenteuer an! Zack habe ich einen Mail an die hinterlegte Adresse geschrieben. Dass ich schon 5min später, kurz vor Mitternacht, eine Zusage bekommen habe, hätte ich allerdings auch nicht gedacht…genauso wussten wir alle 7 im Grunde genommen auch nicht auf was wir uns wirklich einlassen würden.

Christian: Eine der größten Herausforderungen auf diesem Weg war mit Sicherheit das Wetter. Wie bereitest Du Dich auf diese Extreme vor?

Philipp: Ja, in der Tat war das Wetter die ersten 3 Wochen echt mies. Wir wollten ja nicht nur Heil in Nizza ankommen, sondern auch die entlegenen Winkel der Alpen entdecken, aber wenn du immer nur im Whiteout rumrennst, der GPX-Track dein einziger Anhaltspunkt ist und es fast immer regnet, schneit oder nebelig ist, zehrt das extrem am Gemüt. Und auf den hohen Bergen haben uns die orkanartigen Stürme noch mehr zugesetzt, „vom Winde verweht“ trifft es exakt.
Freilich wusste ich, dass solche Wetterextreme auftreten werden – wenn auch nicht in diesem Umfang. Um mich darauf vorzubereiten bin ich auch viel in „schlechtem“ Wetter unterwegs gewesen, 5h Skitour bei Schneeregen um die 0 Grad oder stundenlanges Radfahren im Regen ohne Handschuhe um mich an die Kälte zu gewöhnen, härten wirklich ab. Es ist schon spannenden zu sehen zu welchen Torturen man alles bereit ist wenn man ein Ziel vor Augen hat.

Christian: Hast Du schon Pläne für weitere große Projekte bei denen wir Dich zumindest visuell begleiten können?

Philipp: Hehe, ja, sogar noch diesen Winter in den österreichischen Bergen. Es wird nicht so lange wie der „Lange Weg“, aber auch eine Herausforderung die es erstmal zu schaffen gilt – stay tuned 😉

Christian: Du warst einer der jungen Hoffnungsträger beim Trailrunning und hast viele, darunter auch mich, zum Laufen abseits befestigter Wege inspiriert. Dann wurde es zumindest Wettkampftechnisch ab 2017 ruhiger um Dich. Was ist der Grund für diese Wettkampfabstinenz?

Philipp: Ich war recht lange verletzt (chronische Plantarsehenentzündung aus der sich dann in der Regel ein Fersensporn entwickelt) weil ich es einfach übertrieben hatte. Weil ich aber dennoch sehr gerne draußen in der Natur unterwegs bin und die „frische Luft“ einfach brauche, habe ich mir eine kleine Kamera gekauft und bin radelnd und wandernd umhergezogen um ein bisschen rumzuknipsen – der Start meiner Passion zum Fotografieren und Filmen! Irgendwie bin ich da jetzt hängengeblieben und es macht mir extrem viel Spaß Momente auf SD Karte einzufrieren. Mit meiner Fotoausrüstung im alpinen Gelände schnell und flexibel zu sein, Emotionen und Stimmungen am Ort des Geschehens festzuhalten, ein Stück mit den Athleten mitzulaufen, sie bei ihren Projekten in unwegsamen Terrain zu begleiten, Geschichten real und digital zu erzählen – nach fast 10 Jahren Wettkampfgeschehen eine andere, neue Art der Herausforderung.

Christian: Vermisst Du nicht hin und wieder dieses Wettkampfgeschehen? Welches Rennen würde Dich spontan am meisten reizen?

Philipp: Doch, klar, ich weis ja genau wie sich die Sportler fühlen wenn sie (scheinbar) nicht mehr können, den Flow des letzten Kilometers vor der Ziellinie, das Glücksgefühl beim Ankommen im Ziel spüren, das Leiden am Tag danach das Fortbewegen zur Qual macht aber man so unendlich stolz darauf ist. Und ich vermisse das schon auch, aber wer weis, vielleicht gibt es ja ein „Comeback“ in welcher Form auch immer 😉
Spontan würde ich gerne den Hardrock100 mitmachen. Die Schönheit der San Juan Mountains in Colorado, die Passion der Läufer, das irre Engagement der Organisation – nur leider bekommt man da nicht so leicht einen Startplatz…

Christian: Trailrunning ist derzeit in aller Munde. Events schießen wie die Pilze aus dem Boden und viele ehemalige Straßenläufer haben mittlerweile den Gefallen an dieser Nischensportart gefunden. Allerdings erscheint das ganze Gebilde noch extrem ungeplant und konfus. Wie siehst Du die Zukunft des Trailrunnings?

Philipp: Ich hoffe unser Sport kann seine Ursprünglichkeit bewahren, wird nicht so sehr kommerzialisiert wie die meisten anderen Sportarten die den „Sprung nach oben“ in Fernsehen und auf die Weltbühne schaffen. Immer wo viel Geld im Spiel ist, ist die Veränderung in der Regel nicht positiv, die Sportler werden verbissener, Rennstrecken werden angepasst um TV-gerechter zu werden, usw.
Das was Trailrunning ausmacht ist doch das „Draußen-Erlebnis“ und bei Wettkämpfen ist das primäre Ziel das Ankommen mit dem Unterschied, dass der mit den schnellsten Beinen hat als erster die Ziellinie überquert. Oder? Im Endeffekt geht es doch um die goldenen Ananas…

Christian: Bei den Skibergsteigern haben wir mit Stefan Knopf und Anton Palzer zwei gute Athleten, die auch immer wieder beim Berglauf für gute Ergebnisse sorgen. Bei den Ultradistanzen ist das Athletenfeld im internationalen Vergleich noch dünner gesät. Welche Grundlagen müssten Deiner Meinung nach, geschaffen werden, um auch in diesem Bereich zumindest halbwegs konkurrenzfähig zu werden?

Philipp: Trailrunning hat in Deutschland im Vergleich zu den großen Sportarten wie Fußball kaum Relevanz, die Förderungen für junge Talente ist nicht wirklich vorhanden, es gibt keine Vereine die sich verantwortlich fühlen das zu übernehmen. International hast sich das Level jedoch extrem professionalisiert, man kann kaum mehr Vollzeit arbeiten und da aufs Podium laufen. Und was ist der Anreiz „Ultrarunner“ zu werden? Hohe Trainingsumfänge, viel alleine in den Bergen und um Wald umherlaufen, viel schlechtes Wetter, viel Mühsal dafür dass man außerhalb der Community als „verrückt“ abgestempelt wird. Und diese Diskrepanz führt meiner Meinung dazu, dass wir international nicht mitspielen können. Aber die grundsätzliche Frage ist: wollen wir „professionelles Trailrunning“ wirklich?

Christian: Deine Heimat ist die Bergwelt der Berchtesgadener Alpen. Diese sind bekannt für Ihre raue Schönheit. Wäre es nicht an der Zeit für einen harten, knackigen Ultratrail mit der Handschrift von Philipp Reiter?

Philipp: Haha, das ist in der Tat nicht das erste Mal, dass ich so etwas höre 😉 Aktuell veranstalten wir heuer zum 3. Mal den Trail-Raid (16.-18.10. in Maria Alm), ein Community-Run mit optionalem Wettkampf für denjenigen der will. Aber ich habe auch schon Ideen für etwas längeres….

http://trail-raid.com

Christian: Vielen Dank, dass Du Dir für uns die Zeit genommen hast. Ich wünsche Dir alles Gute für die Zukunft und freue mich bereits jetzt schon wieder auf neue spektakuläre Projekte von Dir.

Danke euch!!