Nuuksio70 Trail Ultra 2022: Böser Wolf im schönen Schafspelz - xc-run.de Trailrunning

Nuuksio70 Trail Ultra 2022: Böser Wolf im schönen Schafspelz

Nuuksio70 Trail Ultra 2022 - ein Traum voll technischer Singletrails © Rami Valonen

Ich versuche wirklich, mich auf den Trail zu konzentrieren, aber immer und immer wieder muss ich an Herr der Ringe denken: Wir laufen in einer kleinen Gruppe hintereinander über Felsen, zwischen eng stehenden Bäumen hindurch, über von Gletschern geformte Steinrücken – und ich warte nur auf die Nazgûl von oben. Da die Ringgeister aber auch nach einer Stunde noch nicht da sind, ist der Fokus dann doch wieder auf dem Weg. Und das ist auch gut so, wenn ich nicht zu den final doch etlichen Finishern mit blutigen Knien, Händen, teilweise sogar Gesichtern gehören möchte.

Vorab dachte ich ja noch, der Nuuksio70 Trail Ultra im rund 40 Kilometer westlich von Helsinki gelegenen Nuuksio Nationalpark könnte recht easy durchgelaufen werden. Ein finnischer Rennsteig mit etwas schmaleren Wegen sozusagen. Die Werte sind vergleichbar: 72 Kilometer mit rund 1.600 Höhenmetern. Der Weg hingegen… Nachdem wir morgens um 6:00 bei 2 Grad in den Wald starten und ich schon nach 10 Minuten auf dem ersten Felsplateau meinen mentalen Herr der Ringe schiebe, ist noch alles fein. Wir werden 14 Kilometer des Selbstversorgerrennens auf der gleichen Strecke laufen, wie später der Marathon. Es ist traumhaft schön, recht abwechslungsreich und eine Mischung aus Singletrails, Waldwegen, breiten Felsen, vielen kleinen Felsen und vor allem endlosen Wurzeln.

Das ändert sich nach Kilometer 14.

Die Ultra-Strecke bringt 2 zusätzliche Loops und die haben es in sich. Der Weg ist plötzlich nur noch zu erahnen, von beiden Seiten zugewuchert und zeigt, was man in Finnland meint, wenn man von Wurzeln und Steinen spricht. Mit Laufen ist da nicht mehr viel. Schlimmer ist aber, dass ich die unfassbar schöne Landschaft nur peripher genießen kann: Seen, aus denen leichter Nebel aufsteigt, lieblich hellgrüne Haine zwischen all dem rauen Gestein und manchmal sogar sowas wie ein Ausblick, wenn wieder einer der unzähligen Hügel bezwungen wurde.

Nuuksio70 Trail Ultra 2022 - ein Traum voll technischer Singletrails © Rami Valonen

Noch krasser wird aber der 2. Loop. Es ist der langsamste Teil dieses anspruchsvollen Rennens. Wir umrunden einen See – was auch sonst – und haben nach rechts eine fast senkrechte Felswand, unter uns einen 10cm breiten Pfaden, neben dem links der See wartet. Damit das nicht zu einfach wird, geht es mal die Felswand hoch, mal stehen Bäume und Gestrüpp im Weg. Wie zum Teufel konnten die hier eigentlich markieren? Und markiert ist weltmeisterlich. Selten bin ich einen so hervorragend zu findenden Weg oder auch Nichtweg gelaufen.

Die Markierungen bleiben nicht die einzige offene Frage: Warum sind alle anstehenden Getränkestellen immer 3-4 Kilometer weit weg? Warum sind diese 3-4 Kilometer immer so lang? Wie kommt der halbverrottete Bus auf den Singletrail im Nirgendwo? Wieso sind wir plötzliche von einem Rudel Haskys umgeben, die angeleint an Touristen diese über den Waldweg ziehen? Warum sind hier eigentlich alle so wahnsinnig nett? Und ist es sicher, dass die Nazgûl nicht doch noch kommen?

Nach 64 Kilometern teilen wir uns wieder die Strecke mit den Marathonläufer*innen. Hatte ich vorher noch die Sorge, dass die vom mühseligen Track ziemlich geschundene Ausdauer noch einen mentalen Knacks bekommt, wenn all die fixen Jungs und Mädels an uns vorbeiziehen, passiert genau das Gegenteil. Es ist Einsammelzeit. Alle paar Minuten werden einzelne oder mehrere Läufer*innen überholt. Das gibt Energie, die auf dem nun auch wieder laufbaren Trail verfeuert werden kann.

Nuuksio70 Trail Ultra 2022 - ein Traum voll technischer Singletrails © Rami Valonen

Dass am Ende alle derbe ko sind, überrascht niemanden. Der Nuuksio70 Trail Ultra ist mit unseren zentraleuropäischen Wettkämpfen kaum zu vergleichen. Es gibt keine technischen Downhills und trotzdem ist die Strecke höchst fordernd. Der Fokus liegt komplett auf dem Rennen, nicht auf Goodie-Bags, Urkunden oder Medaillen. Und außer ein paar Gravel Roads gibt es keine Spur von Dörfern, bewirtschafteten Hütten oder sonstiger, urbaner Infrastruktur.

Was mich final allerdings überrascht ist, wie viel Blut ich sehe. Schon auf der Strecke gab es einzelne Sturzopfer mit Schürfwunden – zum Glück nichts schlimmes – aber im Ziel sammelt es sich. Immerhin ist es ein prima Eisbrecher, denn über Trail-Wunden erzählen wir Deppen doch alle gern. Sogar die sonst so wortkargen Finnen.

Tobias Gerber

Impressionen vom Nuuksio70 Trail Ultra 2022:

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