Florian Grasel beim Tor des Géants: „Ich kam mit einem Messer zum Pistolenduell" - xc-run.de Trailrunning

Florian Grasel beim Tor des Géants: „Ich kam mit einem Messer zum Pistolenduell“

Demut, Freude, Selbstkritik nach einem wilden Trailrun über 335 Kilometer und 24.000 Höhenmeter im Aostatal in Norditalien:

„Ich kam mit einem Messer zum Pistolenduell und schaffte es nicht, meine Ziele zu realisieren.“

 

Ein nüchterner Blick nach dem Zieleinlauf

COURMAYEUR, 18. September. Einen Tag nach seinem Zieleinlauf beim Tor des Géants – 78:24:51 Stunden nach dem Start am Sonntag (14.9.) – zieht Florian Grasel eine bemerkenswert gelassene, fast nüchterne Bilanz seiner Extremleistung.

Der Mann aus Bad Erlach, CEO einer eigenen IT-Firma und zweifacher Familienvater (#lifeworktrailbalance), ist große Unternehmungen gewohnt. Bereits 2018 wurde er Neunter beim UTMB, 2022 gewann er gemeinsam mit Laufpartner Tom Wagner ein 250-Kilometer-Rennen rund um den Eiger, und 2024 wurde das Duo erneut Zweiter beim PTL rund um den Mont Blanc. Beim TOR hatte Grasel das Podest im Visier – und wurde überrascht.


„Ein Rennen in einer Härte, die ich noch nie erlebt habe“

„Schon nach den ersten 50 Kilometern hatte ich das Gefühl, mit einem Messer in einen Kampf gegen Faustwaffen-Träger gezogen zu sein. Ich bin viel gelaufen, auch den PTL – aber das war etwas völlig anderes: Dort geht es mehr um Abenteuer und Bergsteigen. Der TOR ist ein echter Lauf – mit viel Powerhiking, aber eben auch mit konstantem, hartem Laufen. Ein Rennen in dieser Form und Härte habe ich noch nie erlebt.“


Ein zehntes Platz, eine österreichische Premiere

Wer das Podest anpeilt, empfindet Rang zehn zunächst als Enttäuschung. Dennoch: Grasel ist der erste Österreicher, der es überhaupt in diesen Bereich der Ergebnisliste schaffte – ein bemerkenswerter Meilenstein.

Der Niederösterreicher bleibt selbstkritisch. Als IT-Manager ist er mit Fehleranalysen vertraut:

„Mit Sicherheit habe ich das Reglement nicht zur Genüge studiert. Der TOR folgt ganz eigenen Regeln. Ich dachte, Support sei nur bei den großen Verpflegungsstellen – den sogenannten Life Bases – erlaubt. Stattdessen hatten viele Läufer ihre Crew an jeder Hütte, an jedem kleinen Verpflegungspunkt. Meine Strategie war aber auf Abschnitte von 50 Kilometern und acht bis zwölf Stunden ausgelegt. Ich hatte alles bei mir, habe meine Trinkflaschen selbst gemischt, während andere sofort neue Flasks bekamen und weiterrannten. Das hat mich komplett aus dem Konzept gebracht.“


Kleine Fehler mit großer Wirkung

Der Versuch, die Strategie während des Rennens umzustellen, wurde fast zum Verhängnis – trotz der Unterstützung seines Vaters Johann. In den Bergen ist es nicht einfach, Ausrüstung wegzulassen oder hinzuzufügen.

So summierten sich kleine Fehler:

  • An einem heißen Tag zu stark pushen, um nicht nachts im technischen Gelände zu sein

  • Auf Zusatzkleidung verzichten und in der Nacht frieren

  • Keine Ohrstöpsel dabei haben und deshalb keine Ruhe finden

„Diese Kleinigkeiten haben mich beinahe aus dem Rennen geworfen“, so Grasel.


„Ich habe den Drachen getroffen – und viel gelernt“

„Der TOR ist brutal, weil er nicht nur aus Laufen besteht – es geht um Logistik, Strategie, Ausrüstung, Erfahrung und mentale Stärke. Die Spitzenläufer haben alles auf 10–12-Kilometer-Abschnitte abgestimmt, haben sogar überlegt, wann sie die Stöcke weglassen. Das ist ein anderes Level an Vorbereitung. Am Ende habe ich mich trotzdem durchgebissen, meinen Rhythmus wiedergefunden und das Ziel erreicht. Ich habe den Drachen getroffen – und ich habe viel gelernt. Beim nächsten Mal komme ich mit einer richtigen Waffe.“

Mit einem Lächeln fügt er hinzu:

„Ich verlasse den TOR mit Demut, Zufriedenheit und Stolz – ich hatte nur ein Messer dabei, aber die Flinte nicht ins Korn geworfen.“

Text: Egon Theiner

Bilder: BOA/Roast Media/Florentin Haunold

Zum Rennbericht und den Ergebnissen

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