Wie daheim – nur größer
Der Osser wird wegen seiner markanten Form im Volksmund auch „das Matterhorn des Bayerischen Waldes“ genannt und das Bergsteigerdorf Zermatt weist durchaus einige Gemeinsamkeiten mit unserer wunderschönen Heimat im Lamer Winkel auf – nur eben vier Nummern größer: Während sich bei uns die Tausendergipfel aneinanderreihen, ist Zermatt umringt von 4000ern und das Matterhorn (4.478 m) ist der markanteste davon. Beim UTLW starteten im letzten Jahr 500 Läufer, hier sind es über 2000. Im Waidlerhaus in Lam kostet die Pizza 7 €, in Zermatt eben 28 €. Trotz dieser Dimensionen ist Zermatt ein beschauliches, wildromantisches und wunderschönes Bergsteigerdorf mit viel Charme geblieben. Hier versammeln sich Alpinisten aus aller Welt um die höchsten Gipfel der Alpen zu bezwingen, Skiläufer die im Sommer am Gletscher trainieren und zum inzwischen 33. Mal die Trailrunner um sich beim Matterhorn Ultraks (früher Internationaler Matterhornlauf) zu messen. Ein autofreies Dorf voller Bergsportenthusiasten also, indem wir uns sofort pudelwohl fühlen.
Während es in Lam das Osserbad, die „Osserbuam“ oder das Osserbier gibt ist in Zermatt das imposante Matterhorn omnipräsent. In unserem Hotel Parnass haben wir auch noch das Glück, den Berg vom Bett oder dem Frühstücksraum aus zu bestaunen.
Bei der 46k Strecke des Matterhorn Ultraks steht die Weltelite der Trailrunner an der Startlinie, mit über 50 % internationaler Athleten. Das hier ist ganz klar die Championsleague der Trailszene und mir geht es zwischen den ganzen Topstars ähnlich einem jungen Verteidiger, der zum ersten Mal gegen Lionel Messi antritt: Ich weiß nicht so recht, ob ich meine Gegner nun umgrätschen, oder doch lieber um ein Autogramm bitten sollte. Egal, mit dem Startschuss ist jede Aufregung verflogen und nach 2 Kilometer durch Zermatt geht es bereits ans Eingemachte: Es folgen 1800 Höhenmeter im Anstieg über den Sunegga (2260m) bis zum höchsten Punkt des Rennens, dem Gornergrat (3130m). Ab einer Höhe von 2700m spüre ich deutlich, dass die Luft dünner wird, der Atem schneller geht und die Beine schwerer werden. Am Wegrand steht die Berglauflegende Marco de Gasperi, der mich anfeuert und mir einen aufmunternden Klapps gibt. Um beim Fußballvergleich zu bleiben wäre das in etwa dasselbe, wie wenn sich ein Christiano Ronaldo herablassen würde, den Jahn Regensburg zu unterstützen. Aber die Trailrunner sind eine große Gemeinschaft – hier gibt es keine Überheblichkeiten. Etwa 100m unter dem Gipfel schallen mir laute Anfeuerungsrufe entgegen: Ich weiß, dass Wolfgang da oben auf mich wartet, aber die anderen beiden Stimmen geben mir zu denken. Hat mir die dünne Luft doch mehr zugesetzt als ich dachte? Der war doch vor zwei Tagen noch in Indien beim Bergsteigen schießt es mir durch den Kopf. Am Gipfel merke ich dann, dass ich doch nicht halluziniere: Da stehen neben Wolfgang Hochholzer noch Ben Seidl und Johannes Schmid, die weder Kosten noch Mühen gescheut haben um Maria und mich heute zu unterstützen. Hocherfreut und immer noch völlig perplex laufe ich einen wunderschönen Downhill über die Riffelalp bis nach Furi (1880m) immer das Matterhorn und diese gigantische Gebirgslandschaft im Blick. Hier wartet mit Veronika und Katrin der nächste lautstarke Support. Ich muss schmunzeln: Auch wenn wir nicht gewinnen, mehr Fans als Maria und ich hat wohl sonst niemand auf der Strecke. Der Anstieg zum Schwarzsee (2583m) vergeht wie im Fluge und nach einem kurzen Bergabstück steht der letzte lange Anstieg zur Trift (2780m) auf dem Programm. Oben angekommen passiert das, was Trailrunning so einzigartig macht: Die Muskeln brennen, der Körper ist müde, aber diese wundervollen Pfade in dieser atemberaubenden Landschaft schreien geradezu danach belaufen zu werden. Es ist einfach gigantisch: Ein langgezogener Höhenweg auf über 2500m mit freier Sicht auf endlose, schneebedeckte 4000er Gipfel. Das minutenlange Bild mit der Monte Rosa (Dufourspitze: 4634m) vor Augen, während ich hoch über Zermatt über ellenbreite Pfade schwebe, wird sich wohl für immer in mein Gedächtnis brennen. Die letzten zehn Kilometer nehme ich an Tempo raus und genieße einfach nur. Ich weiß, ich bin ein gutes Rennen gelaufen aber bis zum Anschlag um einen 23. oder 24. Platz zu kämpfen sehe ich nun doch nicht ein. Nach 5h:55min (49 Kilometer, 3800 Höhenmeter) laufe ich als 22. der Gesamtwertung in Zermatt ein. Maria kommt eine gute Stunde später nach 7h:05min als 19. Frau ins Ziel. Damit sind wir bei diesem stark besetzten Event immerhin die besten deutschen Läufer.
Es war ein tolles Wochenende in Zermatt: Organisation, Strecke und Landschaft waren der Wahnsinn und suchen Ihresgleichen. Die Walliser entpuppten sich als perfekte Gastgeber, die uns mit ihrer zuvorkommenden, hilfsbereiten und sehr herzlichen Art beeindruckten. Nur bei der Zielverpflegung haben sie etwas geschlampt: Hier sollten sie vielleicht mal während des UTLW den Lamer Winkel besuchen, um zu sehen, wie ein Kuchenbuffet auszusehen hat.