Wir sind erst 10 Minuten im Rennen da ist klar: das hier ist kein Rennen wie jedes andere. Das Seven Sisters Skyline will bezwungen werden. Es testet Körper, Willen und Equipment – und es belohnt die, die durchhalten. Nicht erst im Ziel, nach 55 Km und 4200 Hm.
Mai ist eigentlich ein guter Monat in Irland. Es wird wärmer und einigermaßen trocken. Normalerweise. Dieses Jahr ist es nass. Sehr nass. Das merken wir spätestens nach 1,5Km Asphalt: Auf einem hübschen Weg um den örtlichen See reihen wir uns hintereinander – und gleich trennt sich die Spreu vom Weizen: Der Weg steht unter Wasser, teils knöcheltief. Die einen laufen jetzt schon einfach durch alles durch, andere versuchen es noch mit ausweichen. Ich bin froh über die lange Lauftights und die Regenjacke, denn es regnet. Natürlich. Die Locals laufen fast alle in kurzer Hose, manche sogar im Tanktop. Ich friere schon beim Zuschauen.
Unser Track geht über die 7 örtlichen Gipfel. Zumindest für die 30-Km-Strecke, die 2022 auch das Eröffnungsrennen des 22. Weltcup der World Mountain Running Association (WMRA) ist. Wir 55er laufen das Ding in beide Richtungen und machen alle Gipfel 2x. Nur der über allem thronende Errigal kommt nur 1x dran. Immerhin.
Nach den ersten 300 Metern Anstieg biegen wir am Fuß des Errigal ab und das Rennen zeigt sein wahres Gesicht: Es wird eine Falling Competition. Verdammt ist das glatt, matschig, steil. Ich halte lange durch, bevor ich im Dreck liege. Nach 14 Km und der malerischen Burgruine ist die erste Schwester endlich in der Tasche: Aghia More. Beim Aufstieg balllert mir einer der verrückten Locals in lockerer Sommerkleidung entgegen – und isst dabei eine Stulle. What the fuck?!
Die beiden nächsten Schwestern sind relativ easy: Aghia Beg (South) und Aghia Beg. Dafür wird es hier oben brutal windig, es reißt an der Jacke, Der Wind versucht ständig, mir die Stöcke vor die Beine zu drücken. Wir sind 16 Km im Rennen, die erste VP kommt bei 23 Km. Und bis dahin ist es ein harter Weg. Wie kann es hier eigentlich so viel Matsch geben? Immerhin regnet es nicht mehr. Als uns die ersten 30er den schlammigen Weg runter entgegen sprinten, wird es eng. Ganz vorne dabei: die Amerikanerin Olivia Amber und der Ire Ruairí Long, die das Rennen auch gewinnen werden.
Ersehnte VP, supernette Menschen, ein höchst willkommener Kilometer auf Asphalt, das Feld hat sich endgültig auseinander gezogen. Dann der Anstieg hoch zum Muckish. Und als wäre ein Anstieg von bis zu 50% Steigung nicht genug, heult der Wind schon wieder als hätte er sonst keine Hobbies. Oben eine Art Hochplateu, das aber auch nur mit Vorsicht laufbar ist. Überall Steine und keiner zeigt in die gleiche Richtung wie der nächste. Immerhin kommt der Wind von hinten. Aber Moment mal: wir müssen nur noch den schmalen, technischen und – Überraschung: extrem rutschigen – Miners’ Path runter, dann geht es zurück. Hallo Gegenwind!
„Ab hier geht das Rennen erst richtig los,“ hatte mir Race Director Eunan noch mit auf den Weg gegeben. Entsprechend konservativ bin ich bisher gelaufen und sacke jetzt diverse andere wieder ein. In den Downhills sind viele hier beängstigend gut. Aber bergauf geht anscheinend ebenso vielen die Luft aus. Es bleibt sogar noch Energie, um ein wenig herumzuschauen. Matsch hin oder her – es ist verboten schön hier. Nur lange rumgucken darf man nicht. Easy running ist nicht und es braucht wirklich jeder Schritt volle Aufmerksamkeit, um nicht abzurutschen, umzuknicken oder einzusinken. Und tatsächlich ist es der Rückweg, der die Leute bricht. Von den 157 Gestarteten werden 32 ein DNF.
3 Gipfel vor dem Endboss Errigal hole ich eine Engländerin ein. Sie will sich nicht einfach abhängen lassen, überholt wieder. Und sie fragt in schönster britischer Schnoddrigkeit, ob das denn jetzt dann der letzte Anstieg sei. Sorry Darling… Sie läuft wieder vor, der nächste Anstieg zerreibt sie. Dabei kommen noch diverse Hundert steile Höhenmeter.
Der letzte Anstieg. Errigal. Steil, hoch, mit langgezogenem Rücken, der bis zum höchsten Punkt genommen werden muss. Lockeres Geröll, Sand und oben ein schmaler Weg. Danach fast 700Hm Downill. Ich bin im Tunnel, sehe unten die Straße auf die wir kurz müssen und verpasse beinahe meinen Abzweig entlang der rutschigen Graskante. Danke frierende Mountain Rangerin fürs Bescheid sagen!
Der hübsche Waldweg vorbei am Guiness-Anwesen und durch leuchtendes Grün ist eine Freude. Einfach laufen, nur leicht bergauf, alles gut. Die letzten Reserven einsetzen und ein paar weitere Läufer einsammeln. Noch über den nun endgültig vermatschten Weg vorbei am See, über den Damm, und ab ins Ziel, wo Burger, Bier und Partystimmung warten. Und wahnsinnig nette Läuferinnen und Läufer. Es ist alles so unfassbar herzlich hier! Nach kurzer Pause in der Sonne – ja, sie kommt dann kurz mal raus – gehe ich zurück Richtung Unterkunft. Auf dem Weg wohnt ein Schafzüchter, den ich gestern kennengelernt habe. Er lässt mich nicht gehen, ohne dass ich auf einen Tee reinkomme und von seiner Frau Gingerbread und Scones kriege. Dabei bin ich dreckig und stinke. Hach!
Ein paar Dinge habe ich heute gelernt: Das Seven Sister Skyline und die Region Donegal gehören auf jede Trailrunner Bucketlist. In Irland sollte man außerdem immer eine Regenjacke anhaben. Und die bleibt auch an, bis man das Ziel sehen kann.
Wettkampf-Video
Bilder vom Wettkampf