Verletzungen gehören leider genauso wie Erfolge zum Leben eines Sportlers. Nur bekommen wir davon viel weniger mit. Es ist einfach, über Erfolge zu sprechen und damit im Mittelpunkt zu stehen. Viel schwieriger ist es, sich selbst und erst recht anderen einzugestehen, dass man nicht alles im Griff hat. Verletzungen offenbaren unsere Verwundbarkeit. Wir sind dankbar, dass Basilia nach ihrer Bandscheiben-Operation uns an ihrem schwierigen Weg zurück teilhaben lässt.
Von dunklen Wolken und schwachen Sonnenstrahlen
Unberührte Oberflächen aus glitzerndem Schnee, nur durchbrochen von den Spuren der Langlaufloipen. Verschneite Wintertrails. Dahinter steile Skipisten. Sonntagnachmittag in Seefeld in Tirol. Im Winter verbringen Michael und ich jede freie Minute hier zum Training. Langlauf, Tourenski oder Trailrun. Diese Frage stellt sich heute nicht für mich. Eine Wolke verdunkelt die letzten Strahlen der früh untergehenden Wintersonne. Acht Kilometer bin ich gewalkt. Immerhin doppelt so viel wie noch vor zwei Wochen. Ein Sonnenstrahl blitzt noch einmal an der dunklen Wolke vorbei. Kleine Lichtblicke, Reflexionen im Schnee, Erinnerungen in mir.
Vom Gipfel direttissima ins Tal
Mein Finish in den Top 15 des UTMB ist noch nicht lange her. Im Herbst schmiedete ich Pläne für die kommende Saison. Die Grundlage würde ich dafür im Winter legen. Doch schon John Lennon wusste,“Life is what happens to you while you’re busy making other plans“. Eine lange Einheit auf Ski. Plötzlich Rückenschmerzen. Diagnose nach MRT. Bandscheibenvorfall L4-L5. Das hatte ich schon mehrmals. Und immer wieder in den Griff bekommen. Doch dann. Einige Wochen später ein Rezidiv. Die Schmerzen übertrafen alles was ich bis dato kannte. Und dazu kam eine neurologisch bedingte Muskelschwäche im linken Bein. Es folgten drei Wochen Odyssee von Arzt zu Arzt, aus der Klinik nach Hause und wieder zurück. Am Tag nach Weihnachten wurde ich endlich operiert. Eine allergische Entzündung verzögerte die Regeneration noch einige Wochen. Die Schmerzen waren weg, die Muskelschwäche noch nicht. Viele Gedanken kreisen in meinem Kopf. Sollte ich nicht viel dankbarer sein, wieder schmerzfrei zu sein. Vielen geht es schließlich deutlich schlechter. Ich bin dankbar dafür. Doch wer einmal erlebt hat, wie der Körper eins mit dem Untergrund wird, sich locker und leicht fortbewegt und einfach immer weiter laufen will, der möchte dies immer wieder tun. Und nicht nur in Erinnerungen.
Genug gegrübelt
Dick eingemummelt setze mich auf eine Bank. Ich warte auf Michael. In zwei Stunden bin ich wieder da, habe ich ihm gesagt. Ganz so lange habe ich noch nicht geschafft. Doch zumindest kann ich wieder mit rausgehen. Das bedeutet uns beiden viel. Noch vor einigen Wochen schaffte ich es nur unter extremen Schmerzen vom Schlafzimmer zur Couch. Michael erzählte nichts mehr von seinen Erlebnissen draußen. Ich sah es ihm an. Er spulte die Kilometer diszipliniert ab. Aber die Freude in seinem Gesicht fehlte. Er litt mit mir. Manchmal schaute ich auf Strava seine Einheiten an. Würde ich mich jemals wieder schmerzfrei bewegen? Der Spaziergang heute war schon ein großer Fortschritt. Wie würde es weitergehen? Michael entdeckte mich. Genug für heute, meinte er. Genug gegrübelt, dachte ich.
Ultra mit ungewissem Ziel
Einige Wochen später. Aus Spaziergängen wurden Wanderungen. Aus Wanderungen Läufe. Aus flachen Läufen hügelige Läufe. Langsam und mit Pausen, aber immerhin wieder laufen. Mein linkes Bein reagiert noch immer nicht wie früher. Zehen- und Fußheber sind deutlich geschwächt. Der innervierende Nerv wurde stark geschädigt. Ich bin gewohnt, zu kämpfen. Auch lange. Das haben Ultras mich gelehrt. Doch diesmal weiß ich nicht, ob ich die Ziellinie erreiche. Es liegt nicht in meiner Hand. Der Nerv muss sich regenerieren. Niemand kann mir hierzu eine Gewissheit geben. Ich muss kämpfen in der Ungewissheit. Darüber ob es überhaupt eine Ziellinie gibt. Das ist hart. Ich muss wieder an die untergehende Sonne bei meinem Spaziergang in Seefeld denken. Ist sie nur von der dunklen Wolke verdeckt oder bereits untergegangen? Oder gar nicht mehr da? Wird sie wieder aufgehen. Wieder am Himmel strahlen? Michael würde sagen, bis jetzt ist sie immer wieder aufgegangen. Zumindest für den Moment bin ich optimistisch. Mal schauen, wie’s weitergeht. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Wie hart und wie stark du bist liebe Basilia. Wir kennen uns nicht. Dein Bericht erinnert mich sehr an Gela Allmann. Ihre Bücher hab ich kürzlich gelesen. Ich wünsch dir, dass du wieder ganz gesund wirst. LG Annette