Wettkampfalternativen für Trailrunner: Wings for Life World Run

Markus Mingo beim Wings for life world run 2020 © xc-run.de

In Zeiten der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Beschränkungen sind sportliche Herausforderungen mit Wettkampfflair rar geworden. Strava-Segmente, persönliche Bestzeiten, Fastest Known Times oder auch eigene Bergprojekte sind im Moment gefragt bei Trailrunnern und äußerst populär. Wir stellen euch in den nächsten Wochen Möglichkeiten vor, euch auf Wettkampfniveau auszutoben ohne offizielle Wettkämpfe und ohne dabei gegen staatliche Auflagen zu verstoßen. Den Anfang erledigte Markus Mingo vergangenen Sonntag im Selbstversuch beim „Wings for Life World Run“ 2020.

Wings for Life Run: Rennbericht

Die Chance sich mit einigen der besten (Straßen-)Ultraläufern der Welt zu messen und dabei noch Spenden für einen guten Zweck zu sammeln war zwar nicht geplant und aus sportlicher Sicht eher unvernünftig – aber in der derzeitigen Situation ein reizvoller Formcheck und durchaus ein willkommener Motivationskick.

Asphalt ist nicht meine Lieblingsdisziplin und so sollte zumindest die Strecke etwas Besonderes sein: Start am Fuße des Großen Arbers, Trail und Natur pur am Kleinen Arbersee, von hier über Radwege durch den Lamer Winkel bis zum Wohnort nach Bad Kötzting und weiter in Richtung Elternhaus nach Cham. Das Wettkampfformat durchaus ungewöhnlich: Je schneller man läuft, desto länger ist man unterwegs, bis man vom sogenannten „Catcher-Car“ geschnappt wird. Um dem (virtuellen) Auto 50 Kilometer davonzulaufen müsste ich einen Kilometerschnitt von 4:08 Minuten halten, den ich mir durchaus zutraute und mir als persönliches Minimalziel setzte. Zudem sollte mir die Strecke mit einigen negativen Höhenmetern zu Gute kommen.

Technische Probleme beim Start

Punkt 13:00 Uhr starte ich zusammen mit Laufpartner Tobi und fast 80.000 weltweiten Startern die App. 3-2-1-wir laufen los, die App leider nicht. Bei Tobi klappt es gar nicht – bei mir zeitverzögert nach 800 Metern. Mit diesem Rückstand verabschiede ich mich gleich zu Beginn von allen Wettkampfambitionen und lege den Fokus auf mein Hauptziel: 50 Kilometer in ansprechender Zeit abzuspulen.

Keiner hat gesagt, dass Asphalt nicht auch Spaß machen darf

Am Kleinen Arbersee kommt erstmals in dieser Saison so etwas wie Wettkampfatmosphäre auf: Marco schießt Fotos, der Rest der Familie Felgenhauer jubelt mir lautstark zu. OK – „one for the show“! Entgegen dem Plan laufe ich eine Ehrenrunde um den See und lasse mich noch ein zweites Mal feiern. Für die Durchschnittsgeschwindigkeit sind die zwei Kilometer über Wurzeln mit ständigem Auf und Ab zwar Gift, aber niemand hat gesagt, dass das Ganze nicht auch Spaß machen darf.  Nach diesem Warm-Up auf Trails biege ich in Richtung „Lamer-Winkel-Arberradweg“ ab, passiere nach knapp 40 Minuten die zehn Kilometermarke und erreiche genau nach einer Stunde und 15 Kilometern Lam. Ausgerechnet in meiner zweiten Heimat verlaufe ich mich: Anstatt auf dem Radweg lande ich am EDEKA Parkplatz und schließlich in einer Hofeinfahrt. Umdrehen, Böschung runter, andere Seite hoch, Zaun übersprungen, Zwischensprint, weiter geht’s. Nach 1:24h knacke ich in Arrach die Halbmarathonmarke und sehe Tobi in 50 Metern Abstand winken – Abschied in Zeiten von Social Distancing.

„Audio“, ja – „experience“, naja

Auf den folgenden, zähen 14 Kilometern werde ich nur vom Gegenwind und der „Audio Experience“ der App begleitet, die mir nach jedem abgeschlossenen Kilometer sinnfreie Motivationssprüche wie „Muskelkater fürchtet sich vor dir“ oder „du bist ja der nächste Usain Bolt“ um die Ohren haut. Aus Angst versehentlich das Programm zu stoppen, traue ich mich nicht den Ton auszuschalten. In Bad Kötzting zeigt sich wie wichtig der Kopf bei langen Läufen ist. Freund und Trainingspartner Martin erwartet mich, um mich auf den letzten 20 Kilometern zu begleiten. Wie oft haben wir auf diesem Streckenabschnitt schon Intervalle gebolzt? Uns im Fahrtspiel gebattelt? Heute habe ich 35 Kilometer Vorbelastung in den Beinen und bin froh über meinen „Pacer“. Distanz und Zeit verfliegen, bis meine Uhr verkündet, dass ich gerade Marathon gelaufen bin. Die App erledigt das nochmal – gut 500m später. 2:49h – wie ein Uhrwerk schießt es mir durch den Kopf.

#lifeisbetterontrails

Ab Kilometer 47 wird es dann doch zäh: Paradoxerweise fliegen mir ausgerechnet der Trailanteil und der Downhill vom Kleinen Arbersee um die Ohren: Die vorderen Oberschenkel weinen. Eigentlich keine typische „Straßenlaufproblemzone“. Nach 50 Kilometern habe ich mein Ziel erreicht und blicke zurück, wo ich am Horizont die Natotürme des Großen Arbers erkenne. Ich bin glücklich und zufrieden mit meiner Leistung: 50 Kilometer, 3:20h, 4er Pace. Nun zeigt sich doch der große Unterschied zum „wirklichen Wettkampf“: Anstatt die letzten drei bis vier Kilometer durchzuziehen, gebe ich mich mit dem Erreichen des persönlichen Ziels zufrieden und gönne mir erst einmal die lang ersehnte Pinkelpause. Zwei Kilometer vor einer Ziellinie mit schäumender Konkurrenz im Genick würde ich das wohl eher vermeiden. Es folgt ein lockeres Stretching und Austraben, bis ich zehn Minuten später vom virtuellen Catcher-Car in Chamerau „überrollt“ werde.

Fazit zur „Wettkampfaffinität“

Bisher kam kein „Ersatzwettkampf“ der Realität so nahe wie es hier beim Wings For Life Run der Fall war. Der Grund: Es gibt nur diesen einen Termin und diesen einen gemeinsamen Start – leichte Anspannung und Bauchkribbeln inklusive. Die Möglichkeit sich zeitgleich mit 80.000 anderen Läufern zu messen und das Ganze auch noch per Livestream und anschließenden Ergebnislisten verfolgen zu können tun ihr Übriges. Auch unterwegs läuft die Uhr unbarmherzig weiter und es kann, wie beim realen Wettkampf, weder Pinkelpause, noch Fotostopp oder falsche Abzweigung „rausgestoppt“ werden. Sprich: Es gibt keine Ausreden!

Was natürlich fehlte war der Endorphinausstoß, den man nach hartem Kampf beim Überlaufen einer Ziellinie verspürt. Ich wusste zu keiner Zeit wie ich „im Rennen“ lag und gab mich mit dem Erreichen des persönlichen Zieles zufrieden. Mit zwei bis drei direkten Konkurrenten im Nacken und einem Kampf um die Platzierungen wäre ich noch mehr an meine Grenzen gegangen.

Naja, und dass liebe Menschen an, um, auf, nach der Strecke fehlen, die einen Anfassen, Drücken, Küssen, Tätscheln, Streicheln muss ich ja niemandem erzählen…

Wings for life run 2020: Galerie