Christian Mayer erzählt uns seine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte. Sie soll vor allem Eines: Hoffnung machen und uns verdeutlichen welch Glück wir haben, wenn wir gesund über die Trails dieser Welt jagen dürfen..
(M)Eine kleine Weihnachtsgeschichte
TUMOR – welch schreckliches Wort für eine Anomalie des menschlichen Körpers. Ein Tumor muss nicht unbedingt bösartig sein und trotzdem verbreitet diese Diagnose, auch aufgrund der oftmals notwendigen einschneidenden Therapien, erst einmal Angst und Schrecken.
Wie alles begann
Beim Walser Ultra war noch alles in Ordnung und das war auch vermutlich mein bisher bestes Rennen. In der Woche darauf begann ich auch wieder mit dem Training in dem für mich normalen Umfang (keine Woche unter 100 km und mindestens 2.500 Höhenmeter). Am Sonntag darauf lief ich dann von mir zuhause aus bis zum Kaitersberg und wieder zurück. Hier spürte ich aber schon die ersten Beschwerden in der Sehne oberhalb des linken äußeren Sprunggelenks. Die Schmerzen verstärkten sich und trotz Trainingsreduzierung war keine Besserung in Sicht. Daraufhin setzte ich einen Hilferuf zu meinem mir vertrauten Physiotherapeuten ab, da mit dem Matterhorn Ultraks bereits der nächste Wettkampf wartete. Dieser versuchte sein Bestes, machte mir aber nur sehr wenig Hoffnungen auf den Wettkampf. Meine Sehne war komplett entzündet und so gespannt wie eine Gitarrensaite. Ich fuhr trotzdem in die Schweiz und trat den Wettkampf an. Jedoch an der ersten Verpflegungsstation am Gornergrat wusste ich, dass an diesem Tag für mich nichts mehr zu holen war. Um irgendwelche Spätfolgen zu vermeiden gab ich das Rennen auf, fuhr wieder zurück und begab mich wieder in die Hände meines Physios. Bis Mitte September hatte dieser meinen Fuß soweit, dass die Entzündung draußen war und ich die Sehne wieder vernünftig belasten konnte. Den Arberland Ultra hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits abgehakt, aber zumindest die Kurzdistanz wollte ich laufen. Zwei Tage vorher unternahm ich einen Laufversuch. Doch bereits nach drei Kilometern kamen die Schmerzen in einer Intensität zurück, so dass ich diesen Test abbrechen musste. Mein Physio hatte mich vorher schon immer gewarnt, dass er zwar die Entzündung bekämpft hatte, jedoch nicht die noch nicht bekannte Ursache.
Beginn einer Odyssee
Nun ging ich zu einer Orthopädin in Cham, die anhand einer Röntgenaufnahme einen Ermüdungsbruch diagnostizierte. Zur Bestätigung dieser Diagnose gab sie mir eine Überweisung für eine MRT- Untersuchung. Als ich zur Besprechung der durchgeführten MRT- Untersuchung in das Arztzimmer bestellt wurde, empfing mich dieser mit dem etwas makabren Worten: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen Knochentumor.“ Nachdem ich nun Platz genommen hatte, erklärte mir dieser, dass es sich zu 99% um einen gutartigen Tumor handelt und dieser sehr gut entfernt werden kann. Er erklärte mir hierfür den „goldenen Standard“ der Behandlung. Dabei wird das betroffene Stück Wadenknochen in einer Operation entnommen und durch Beckenkammknochenteile wieder aufgefüllt. Anschließend wird das Ganze mit einer Platte gesichert und verschraubt und nach einem halben Jahr könne ich den Knochen wieder ganz normal belasten. Der Arzt konnte nicht ahnen, dass in diesem Moment eine Welt für mich zusammenbrach. Mit dieser Diagnose schickte er mich wieder zu meiner Orthopädin. Schon beim Verlassen der Praxis war sie da und sie würde in nächster Zeit sehr oft auftreten – diese angstverbreitende Stille gepaart mit dieser gedankenlosen Leere im Kopf. Warum ich? Warum jetzt? WIESO???
Meine behandelnde Orthopädin zeigte sich nun auch ein wenig ratlos und überwies mich nach Regensburg zu einer weiteren Untersuchung. Bei diesem Ganzkörperszintigramm wird eine geringe Menge radioaktiver Lösung gespritzt, so dass man beim anschließenden MRT ein besseres Bildergebnis erhalten kann. Diese Aufnahmen bestätigten nach Meinung dieses Radiologen die vorliegende Diagnose.
Ein Wechselbad der Gefühle
Zwischen den Arztterminen verging immer sehr viel Zeit. Für mich zu viel Zeit. Zeit zwischen Hoffen und Bangen, Zeit zwischen gespielter Euphorie und tiefster Traurigkeit. Obwohl es laut Diagnose ein gutartiger Tumor war, spürte ich diese Angst, die meinen Körper erfüllte und stetig mehr wurde. Ich unternahm keinen Laufversuch mehr, da ich das Bein nicht weiter belasten wollte. Stattdessen erinnerte ich mich an mein Fahrrad und spulte mein Ausdauertraining damit ab. Die Stunden auf dem Drahtesel halfen mir dabei mich auszupowern und meine Gedankenwelt im Kopf wieder einigermaßen zu sortieren. Und dann gab es wieder diese Momente in denen ich auf dem Rad ungebremst weinen konnte und mich meiner Tränen nicht zu schämen brauchte. Ich wollte stark sein, stark für meine Frau, meine Kinder und natürlich für mich. Gefühle zeigte ich nur, wenn ich alleine auf meinem Bock lange Runden drehte.
Beim nächsten Termin bei der Orthopädin wollte diese mich direkt zur Entfernung des betroffenen Teilstückes meines Wadenbeins schicken. Jedoch hatte ich mich mittlerweile im Internet kundig gemacht und in der Uniklinik Passau eine Möglichkeit entdeckt, bei der ein Knochentumor minimalinvasiv behandelt wird und die notwendige Belastungsfreie Zeit sich auf ca. 8 Wochen beschränkt. Dies war eine für mich akzeptable Lösung und so fuhr ich kurze Zeit später nach Passau um mich beim behandelnden Professor vorzustellen. Dieser ließ noch am gleichen Tag weitere Bilder anfertigen und brachte Zweifel an, ob es sich hierbei wirklich um einen Tumor handelt. Er wolle aber für mich soweit alles vorbereiten und in der Zwischenzeit alle meine vorliegenden Unterlagen sichten. Ein Operationstermin wurde für den 06.12. vereinbart.
Mittlerweile war Oktober und das Salzburg Trailfestival stand an. Das sollte für mich der Abschluss einer erfolgreichen Laufsaison sein. Da eine Stornierung meines Hotels nicht möglich war, fuhr ich gemeinsam mit meiner Familie nach Salzburg um ein paar erholsame Tage genießen zu können. Dem Festival blieb ich trotz der räumlichen Nähe fern. Zu tief war der Schmerz darüber nicht laufen zu können. Stattdessen trafen wir uns kurzfristig mit meinem Kumpel und Lauffreund Eric und machten eine traumhafte Wanderung zum Jenner. Das waren die kleinen unbeschwerten Momente die so wichtig für meine Familie und mich waren. Auch wenn ich mein Verhalten nicht bewusst änderte, so wirkte sich dennoch die Ungewissheit und die daraus resultierende psychische Belastung sehr negativ auf das gesamte Familienleben aus. Leider war diese Verschnaufpause nur von kurzer Dauer und schon fuhren wir wieder zurück in den Alltag, in eine ungewisse Zukunft. Auf der Rückfahrt erhielt ich einen Anruf aus Passau, mein OP- Termin wurde abgesagt. Nach Prüfung meiner Unterlagen und meiner vorliegenden Angaben (Läufer Ultradistanzen, hohe Trainingsumfänge etc.) ging der Professor von einem Ermüdungsbruch aus. Innerlich jubelte ich, da seit meinem letzten Laufversuch viel Zeit vergangen und ich derzeit absolut beschwerdefrei war. Normalerweise muss doch dieser doofe Knochen nun verheilt sein! Ich freute mich und machte mit dieser Diagnose wiederum einen Termin bei meiner behandelnden Orthopädin in Cham aus. Und trotz dieser tollen Neuigkeiten klopfte die Ungewissheit wieder an und ließ mich zweifelnd zurück.
Meine Orthopädin zeigte sich aber leider nicht von der Meinung des Kollegen aus Passau überzeugt und holte noch einen weiteren behandelnden Orthopäden zu Rate. Gemeinsam kamen sie zu dem Entschluss, dass die Bilder meines Wadenknochens keinen Bruchspalt aufweisen und es sich somit auch um keinen Ermüdungsbruch handeln könne. Nun wurde für Dienstag, 27.11.18 der nächste Termin bei einem Spezialisten für Tumorerkrankungen im Klinikum Großhadern ausgemacht. Mit hängenden Kopf verließ ich die Praxis und zeitgleich schossen mir so viele Gedanken durch mein Unterbewusstsein. Ich wollte doch einfach nur laufen und ich hatte einfach nur Angst vor dessen Diagnose! Mir war bewusst, dass es weitaus schlimmeres auf diesem Erdkreis gibt als einen gutartigen Tumor, aber mir bedeutet Laufen wesentlich mehr als nur den Spaß an der Bewegung. Ich brauche das Laufen zum seelischen Ausgleich und genau diese Möglichkeit wurde mir jetzt genommen! Obwohl ich es nie zugegeben hätte, rein psychisch stand ich mittlerweile kurz vorm Abgrund. Und um diesen bildlich gesprochen zu entkommen, musste ich einfach noch einmal raus aus meinem Alltag, weg von meinen Sorgen. Kurzerhand packte ich meine Ausrüstung und nach Absprache mit meiner Familie machte ich mich auf den Weg in den Nationalpark Berchtesgadener Land. Bei einer Wanderung zum Hochkalter durfte ich noch einmal einen unvergesslichen Tag in den Bergen verbringen. Dabei erlebte ich wieder ein Wechselbad der Gefühle. Während ich tiefste Dankbarkeit für dieses Naturerlebnis empfand, schossen mir fast gleichzeitig wieder die Tränen aufgrund der ungewissen Zukunft in die Augen. Werde ich zukünftig noch dazu in der Lage sein, vergleichbare Bergwanderungen zu machen? Würde ich wieder unbeschwert über Felder und Wiesen laufen können? Was würde geschehen, wenn nun doch etwas entdeckt und dann das Gewebe doch nicht so gutartig ist?
Die Erlösung
Die Ungewissheit wuchs von Tag zu Tag und am Morgen des 27.11. wachte ich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend auf. Ich verabschiedete mich von meinen Kindern und machte mich gemeinsam mit meiner Frau auf den Weg nach München. Nach einer schier endlosen Anfahrt mit vielen Verkehrsbehinderungen erreichten wir schließlich das Klinikum Großhadern. Bereits beim Betreten dieses menschenunfreundlich wirkenden Gebäudes ging es mir nochmals wesentlich schlechter. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut und hätte alles dafür gegeben dieser Situation entfliehen zu können. Hier fühlte ich mich so fremd. Scheinbar endlos lange Gänge mit vielen gehetzt wirkenden Menschen. Kein freundlich gesinntes Wort war zu vernehmen, Menschen gingen an mir vorbei als wären es Maschinen. Halb in Trance sagte ich zu meiner Frau, dass ich unabhängig vom Untersuchungsergebnis hier nicht bleiben werde. Irgendwann erreichten wir dann den Bereich für Tumorerkrankungen. Dort gab ich meine bisherigen Untersuchungsergebnisse ab und wir setzten uns in den Wartebereich. Die Minuten wurden zu Stunden und endlich wurde ich aufgerufen. Nochmals durfte ich einer Ärztin meine komplette Vorgeschichte erzählen. Diese hörte aufmerksam zu, stellte ein paar Verständnisfragen und machte dazu Notizen. Nach einer kurzen Wartezeit erschien dann auch der Professor, der von der Ärztin in meinen Fall eingewiesen wurde. Der Professor betrachtete meine letzten MRT- Aufnahmen, drehte den Bildschirm und zeigte mit einem Stift auf einzelne markante Stellen auf den Bildern meines Wadenbeines: „Schauen Sie her Herr Mayer, hier sehen Sie den Bruchspalt des Wadenbeins. Das Wadenbein zeigt zwei Risse auf, wobei der bedeutendere der Längsbruch des Wadenbeins ist. Meistens bricht ein Knochen quer. Das war jetzt bei Ihnen nicht der Fall, aber hier kann man das ganz deutlich erkennen. Ein Tumor oder dergleichen ist definitiv nicht vorhanden. Sie bekommen von uns jetzt noch einen Arztbrief und alles Weitere bespricht dann Ihr Orthopäde mit Ihnen.“ Nachdem ich anschließend sämtliche Unterlagen erhalten hatte, verließen wir die Klinik und machten uns auf den Rückweg. Ich sollte mich nun eigentlich freuen, aber ich empfand nach wie vor nur Leere. Zu kraftraubend und nervenzerrend waren die letzten Wochen und Monate und diese Ungewissheit hat ihren Tribut gefordert.
Der Blick nach vorne
Mittlerweile hatte ich genügend Zeit meine Gedanken zu sortieren und mir ist deutlich geworden, welches Geschenk ich mit dieser Diagnose am 27.11. bekommen habe. Diese Ungewissheit hat tiefe Spuren hinterlassen und es fällt mir noch heute schwer diese psychische Belastung in klare Worte zu fassen. Und auch jetzt beim schreiben dieser Zeilen muss ich mir die eine oder andere Träne verdrücken. Auch wenn ich auf diese Erfahrung sehr gut verzichten hätte können, so empfinde ich jetzt wieder große Dankbarkeit für jede noch so geringe Kleinigkeit. Für mich fand Weihnachten in diesem Jahr an diesem grauen und tristen Tag im November 2018 statt.
Gesundheitlich geht es nun wieder bergauf und ich blicke nach einem Arztwechsel wieder voller Zuversicht in die Zukunft. Mit dem Lauftraining habe ich wieder begonnen – noch nicht weit und auch nicht schnell, aber ich bin glücklich darüber überhaupt wieder schmerzfrei laufen zu dürfen! Natürlich habe ich trotz der verschiedenen Diagnosen meine Lehren für die Zukunft gezogen und so werde ich versuchen mein Ausdauertraining 2019 mehr auf das Rad zu verlagern um die große Belastung durch die großen Umfänge zu minimieren. Außerdem werde ich für jeden einzelnen Tag dankbar sein, an dem ich ohne Probleme laufen darf!
Nicht vergessen darf ich natürlich meine Familie, die alle Höhen und Tiefen mitbekommen hat und meine Launen tapfer erduldet hat. Danke für Eure Unterstützung!
Ich wünsche Euch allen ein frohes Fest und erholsame Weihnachtsfeiertage und denkt daran, die Gesundheit ist das größte Gut des Menschen!!!