Interview: Dr. Volker Busch – Gehirnforschung trifft Trailrunning

Gehirnforschung trifft Trailrunning: Priv.-Doz.Dr.med.habil.Volker Busch © drvolkerbusch.de

Dr. Volker Busch ist Arzt, Hirnforscher und Redner. Er schafft es in seinen Vorträgen und Publikationen Neurowissenschaft und Psychologie für den Alltag begreifbar zu machen und zeigt Menschen auf Vorträgen, wie sie Erkenntnisse der Hirnforschung für sich nutzen können. Dabei geht es hauptsächlich um die vier großen Themen Gesundheit, Leistung, Motivation und Inspiration, die – wie für jeden Menschen – natürlich auch für uns Trailrunner von essentieller Bedeutung sind. Höchste Zeit für einige Fragen an Herrn Priv.-Doz. Dr. med. habil. Volker Busch.

Dr. Busch ist nicht nur weltweit anerkannter und sehr gefragter Vortragsredner, angehender Professor und praktizierender Arzt, sondern auch mein Schwager. Dies erklärt zum einen die Ehre dieses Interviews, als auch das „du“ und die teilweise frech formulierten Fragen, auf die ich seine Meinung zu kennen glaube. Selten habe ich mich so auf ein Interview und die ausstehenden Antworten gefreut – Danke Volker!

Interview: Dr. Volker Busch – Gehirnforschung trifft Trailrunning

Neben großen Unternehmen wie Telekom, Audi AG, Allianz, Daimler oder Medi, wirst du auch immer mehr von Sportorganisationen für gemeinsame Veranstaltungen und Projekte gebucht. Warum braucht die Sportbranche einen „Gehirndoktor“?

Dr. Busch: „Bislang wurde Sport ja eher aus der Sicht der Kardiologie und Orthopädie betrachtet. Die Neurowissenschaften hatten bislang dagegen eher wenig Interesse an dem Thema. Seit einigen Jahren ist das jedoch anders. Die Bewegungsforschung hat nämlich spannende Möglichkeiten entdeckt, durch regemäßige körperliche Betätigung unser zentrales Nervensystem positiv zu beeinflussen und dadurch Denkprozesse, Stimmungszustände und die allgemeine Entwicklung zu verbessern und zu fördern.
Es geht bei Sport in Schulen, Betrieben und im privaten Leben also längst nicht mehr nur um ein starkes Herz und gesunde Knochen. Bewegung ist viel mehr. Kaum ein anderes Organ profitiert so sehr von regelmäßigem Sport wie das Gehirn. Leider wird unser Alltag zunehmend passiver, sei es auf den Schulhöfen oder an den Schreibtischen der Büros. Ich halte es daher für wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse in Schulen und Unternehmen zu tragen, um Kindern, Jugendlichen, Azubis und Kollegen Spaß und Freude an Bewegung zu vermitteln und die Vorteile aus der Sicht unseres Gehirns nahe zu bringen.“

In einem Deiner Artikel vergleichst du bewegungslose Menschen mit einer Seescheide, die beginnt ihr eigenes Gehirn zu verdauen, nachdem sie jegliche Bewegung eingestellt hat. Anschließend verdeutlichst du, wie wichtig Bewegung für Gehirnwachstum ist. Bedeutet das, Ultraläufer sind besonders schlau?

Dr. Busch: „Ein uns allen bekannter Fußballspieler soll einmal gesagt haben, Fußball sei wie Schach, nur ohne Würfel. Und Fußballer laufen viel! Es drängen sich also Zweifel auf.
Aber sagen wir es einmal so: Es ist zumindest ziemlich schlau viel zu laufen! Denn die neurobiologische Grundlage von Intelligenz ist „Vernetzung“. Wir wissen heute aus der Hirnforschung, dass sich akademisch klügere Menschen durch den Grad der synaptischen Kontakte ihrer Nervenzellen von anderen Menschen unterscheiden. Sie haben also nicht die größeren Schädel oder die schwereren Gehirne, sondern die stärker vernetzten Nervenzellen. Je dichter das neuronale Netz, desto intelligenter die allgemeinen Leistungen.
Und genau hier kommt Bewegung ins Spiel: Sportliche Betätigung regt Wachstumsprozesse im Gehirn besonders stark an, viel stärker übrigens als jedes kognitive Training. Die Zusammenhänge sind mittlerweile gut erforscht: Wachstumsfaktoren werden ausgeschüttet, Kapillaren (also kleinste Blutgefäße) entstehen, und synaptische Kontakte zwischen neu entstandenen Nervenzellen formen sich aus. Das erhöht nicht gleich die globale Intelligenz, fördert aber in der Tat verschiedene Einzelleistungen wie Konzentration, Gedächtnis und kreatives Denken. Und ebenfalls gilt als belegt, dass Menschen durch regelmäßige Bewegung im Alltag eine sog. „kognitive Reserve“ aufbauen, die sie im höheren Alter vor den Folgen eines geistigen Verfalls, bspw. im Rahmen einer Demenz, schützt. Sport ist also zusammengefasst eine Investition in die Erhaltung geistiger Gesundheit im Alter, wenn man so will mit hoher Rendite.“

Sport baut Stress ab, soweit bekannt. Aber woran liegt es denn, dass ich mich mental so stark fühle nach einem langen Lauf in der Natur?

Die Lust aufs Laufen entsteht in der Mischung aus verschiedenen Gründen: Bei kürzeren und mittleren Laufleistungen werden sog. Vorläuferaminosäuren im Gehirn zu Serotonin verstoffwechselt. Das Hormon gleicht Affekte aus und stimmt zufrieden. Längere Laufleistungen führen darüber hinaus zur Ausschüttung von Endorphinen, die neben einer geringeren Schmerzempfindung rauschähnliche Zustände auslösen können. Und die Zielerreichung oder gar der Gewinn eines Wettkampfes löst schließlich euphorisierende Glücksgefühle aus, indem in Strukturen des Belohnungssystems Dopamin sezerniert wird. Also egal ob zufrieden, glücklich oder bekifft: Selbstbestimmte Bewegung fördert in der Regel die Ausschüttung positiv wirkender Hormone. Das beeinflusst wiederum Gefühls- und Stresszentren und reduziert Anspannung und negative Gedanken oder Gefühle.

Ein weiterer positiver Effekt von Sport auf unser Befinden betrifft den Abbau der Stresshormone: Ärger und Frust im Alltag führt nämlich zur Steigerung von Noradrenalin und Kortisol im Blutserum. Der Sinn dieser Reaktion war es, unsere Vorfahren optimal auf die feindliche Umgebung vorzubereiten. Beim Kampf oder auf der Flucht haben wir die Hormone durch die erhöhte Muskeltätigkeit wieder abgebaut. Da wir uns heute oftmals vor dem PC ärgern oder auf der heimischen Couch sorgen, ohne die Wirkstoffe abbauen zu können, entfaltet Noradrenalin und Kortisol oftmals eine lang anhaltende, negative Wirkung: Muskeln verspannen, der Puls bleibt beschleunigt, der Appetit erhöht sich, der Schlaf gelingt schlechter. Sport hilft hier den Stress zu beenden. Die aktivierten Muskeln nehmen die Botenstoffe auf, bauen sie ab und das Stresssystem beruhigt sich. Man kann dem Stress also im wahrsten Sinn des Wortes davonlaufen.

Ist Laufen gleich Laufen? Wo ist der Unterschied zwischen Trailrunning in der Natur und dem Laufen auf einem Band im Fitnessstudio?

Welche Sportarten für das Wachstum der Gehirnzellen tatsächlich am effektivsten sind, ist unter den Wissenschaftlern noch strittig. Aber das Laufen steht nach allem was wir wissen ganz weit vorne. Das hat verschiedene Gründe, wesentlich ist folgender:

Laufen in der Natur bedeutet neben einer anhaltenden Ausdauerleistung eine ständige Anpassung an neue Umweltbedingungen. Plötzliche Anstiege, unwegsames Gelände, Wechsel zwischen Asphalt und Unterholz mit völlig unterschiedlichen Anforderungen an Propriozeption und Gleichgewicht. Das alles hat immense Auswirkung auf unser Gehirn. In der Neurobiologie gibt es einen Satz, der lautet: Nichts stimuliert das Gehirn so sehr wie die Überraschung! Das gilt auch und insbesondere für die Motorik: Ständig wechselnde afferente Signale, die vom Körper ins Gehirn getragen werden (verschiedene Laufbelastungen, Untergrund und Geländebedingungen, etc.) erfordern permanente Reaktion und Anpassung unseres Gehirns. Wechselnde Bewegungsabläufe sind wie motorische Lernleistungen. Das fördert das Wachstum der Nervenzellen und deren synaptische Vernetzung besonders effektiv.

Was unser Gehirn fordert, das fördert es auch. Laufen in der Natur ist aus der Sicht der Neurowissenschaft also effektiver als auf einem Laufband im Studio. Ähnlich verhält es sich bei anderen Sportarten: Klettern ist wertvoller als eine geführte Bewegung auf einem Crosstrainer. Für manche Männer eine niederschmetternde Nachricht: Tanzen gilt als wachstumsfördernder als ein Workout auf einem Cycler. Gott sei Dank gibt es alternativ ja auch das Trailrunning 😉 …

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Mehr über Dr. Volker Busch, sein Vortragsrepertoire und einige mehr als lesenswerte Artikel unter https://www.drvolkerbusch.de/