Shades of Speed: Interview mit Marcus Burghardt – über den Tellerrand geschaut

Shades of Speed © Shades of Speed

In der Artikelserie „Über den Tellerrand geschaut“ geht es um die facettenreiche Welt des Ausdauersports neben dem Trailrunning. In diesem Jahr nimmt euch XC-RUN.DE Team Athlet Christian Mayer mit auf eine spannende Reise per Rad, in Laufschuhen und mit klassischer Wanderausrüstung. Nicht nur als Ausgleichssport ist das ein Vergnügen, sondern kann auch ganz neue Blickwinkel eröffnen.

Teil 1 – Rennrad: Shades of Speed

Am 20. und 21.07.2024 findet in Kolbermoor (Rosenheim, Bayern) das Radevent Shades of Speed statt. Hinter dieser Veranstaltung steht Marcus Burghardt, ein ehemaliger Profirennradfahrer, der neben dem Gewinn der deutschen Meisterschaft auch insgesamt 11 mal die Tour de France bestritten hat. Dabei fuhr er viele Jahre für die Mannschaften T-Mobile, BMC und Bora-Hansgrohe. Er unterstützte seinen Teamleader und konnte im Jahr 2018 eine Etappe für sich entscheiden.

Bei Shades of Speed steht aber weniger der Wettkampfcharakter im Vordergrund, sondern das Erlebnis eines gemeinsamen Tages im Sattel. Dabei werden unterschiedliche Strecken mit einer Länge von 70 km bis 288 km angeboten. Das Event startet bereits am Samstag mit den beiden 130 km langen Warm-up-Strecken für Road oder Gravel und findet am Sonntag mit weiteren Strecken seinen Abschluss.

Das Organisationsteam steckt schon tief in den Vorbereitungen, als sich Marcus Burghardt für unser Interview Zeit nimmt und gemeinsam über den Tellerrand schaut.

Interview mit Marcus Burghardt © shades of speed

Interview mit Marcus Burghardt

Hallo Marcus! Gleich zu Beginn würde mich interessieren wie Du auf die Idee für dieses Event gekommen bist?

Ich hatte mir 2021 bei einem schweren Sturz während der Auftaktetappe zur Polen-Rundfahrt mehrfach das rechte Handgelenk gebrochen. Es folgten zwei Operationen und eine lange Reha. Diese Zeit war für mich psychisch sehr belastend, da ich auch kurz vor dem Wechsel in ein neues Team stand und somit von einem Tag auf den nächsten alles in Frage gestellt wurde. Im Frühjahr 2022 musste ich schlussendlich aufgrund anhaltender Probleme meine aktive Karriere beenden. Bereits während meiner aktiven Zeit erhielt ich viele Anfragen von verschiedenen Seiten, ob ich nicht gemeinsame Ausfahrten organisieren könnte. Natürlich war dies aufgrund meines eng gestrickten Zeitplans nie möglich. Und so reifte in mir der Gedanke an eine gemeinsame Ausfahrt mit interessierten Rennradenthusiasten. Bereits am 18. September 2022 war es soweit und mit über 1.000 Anmeldungen übertraf die Nachfrage alle Erwartungen. Trotz des widrigen Wetters wurde diese Veranstaltung ein voller Erfolg.

Ein ganzes Wochenende vollgepackt mit sehr schönen und teilweise extrem anspruchsvollen Strecken, ein umfangreiches Rahmenprogramm und auch der kulinarische Genuss kommt nicht zu kurz. Dieser Event hat es in sich und es steckt sehr viel Arbeit dahinter.

Ja, das stimmt. Ich hatte immer das Ziel eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, an der ich auch teilnehmen möchte. Es musste ein cooler Event mit einer spitzenmäßigen Organisation werden. Natürlich hätte ich diesen persönlichen Qualitätsanspruch nie ohne mein Team und unsere Partner geschafft. Ich denke, dass uns dieses Ziel sehr gut gelungen ist und sich jeder Teilnehmer auf ein unvergessliches Wochenende freuen darf.

Nun aber zurück zu Dir und Deiner Geschichte. Wann und wo hast Du mit dem Radsport begonnen? Wer waren Deine Idole?

Idole hatte ich eigentlich nie, da ich mich in meiner Kindheit nicht mit den Profis beschäftigt habe. Für mich stand beim Radfahren immer der Spaß im Vordergrund. Begonnen hat bei mir alles im Jahr 1993 beim Radsportverein 54 Venusberg im Erzgebirge. Als 10- Jähriger war das Radfahren vor allem eine sportliche Freizeitbeschäftigung bei der ich meine überschüssige Energie unter Kontrolle bringen konnte. Ab 1997 besuchte ich dann das Sportinternat in Chemnitz und durchlief dort eine klassische Ausdauerausbildung mit Bahntraining und Crosslauf. Daneben fuhr ich beim Chemnitzer Polizeisportverein e.V. für die Radsportabteilung. Ab 2002 fuhr ich dann in der U23 Mannschaft beim Team Wiesenhof und im Jahr 2005 wechselte ich zum Team T- Mobile.

An welches Rennen neben der Tour hast Du die schönsten Erinnerungen?

Während der zwölf Jahre als Profifahrer konnte ich an sehr vielen und unvergesslichen Rennen teilnehmen. Aber besonders die Flandern-Rundfahrten oder der Klassiker Paris – Roubaix waren meine persönlichen Lieblingsstrecken. Entgegen der Meinung vieler Fans ist aber die Flandern-Rundfahrt wesentlich schwerer zu fahren als Roubaix, das gerade zu Beginn über sehr breite Straßen gefahren wird.

Du wurdest während der goldenen Jahre des Rennradsports Profi. Gerade Jan Ulrich und Lance Armstrong verhalfen diesem Sport zu einem bis heute einmaligen Aufschwung. Dann kam eine Reihe von Doping-Skandalen und damit verbunden eine große Delle bei der Beliebtheit dieses Sports. Mittlerweile kehrt diese Begeisterung mit Stars wie Pogacar, Vingegaard oder van Aert allmählich wieder zurück. Werden wir Deiner Meinung nach wieder so einen Hype wie im Zeitraum 1996 bis 2004 erleben?

Das ist schwer zu sagen. Wir brauchen dafür schon einen deutschen Fahrer der zumindest das Potential hat, die Tour zu gewinnen. Gerade wir Deutschen kennen bei der Unterstützung unserer Athleten nur die Extreme. Entweder hypen wir diesen Fahrer bis zum Olymp, oder aber wir lassen diesen fallen wie eine heiße Kartoffel. Beispiele dafür gibt es im Sport leider jede Menge.

Hat Lennard Kämna das Zeug zum nächsten deutschen Helden? Oder hast Du unter den jungen Fahrern einen Geheimtipp für uns?

Lennard hatte leider im Frühjahr einen schweren Trainingsunfall auf Teneriffa. Mittlerweile befindet er sich auf dem Weg der Besserung. Ob wir in dieses Jahr noch sehen dürfen, kommt ganz auf den Genesungsfortschritt an. Lennard ist ein sehr starker Fahrer von dem wir uns noch einiges erwarten dürfen. Aber vielleicht überrascht uns ja auch Georg Steinhauser der nun beim Giro d´Italia die 17. Etappe für sich entscheiden konnte.

Auch das Trailrunning hat mittlerweile Doping-Verdachtsfälle und einige sportliche Extremleistungen werden so unweigerlich kritisch hinterfragt. Denkst Du, dass der Rennradsport mittlerweile sauber verläuft?

Ich denke das man gerade im Radsport die Lektion gelernt hat und zumindest die meisten Fahrer sauber fahren. Ganz ausschließen kann man das natürlich nie. Aber die Kontrollen wurden engmaschiger und auch die Technologie der Tests wurden verfeinert.

In einem Team kämpfen alle gemeinsam für den Sieg des Leaders. Individualisten haben es im Gegensatz zum Laufsport schwer. Wie kann man sich hier durchsetzen? Wer legt die Rangordnung fest?

Das geschieht bereits nach Abschluss der alten Saison, wenn das Team für die neue Saison zusammengestellt wird. Der Teamleiter legt dabei die Rangfolge in der Mannschaft fest. Natürlich kann es dann auch in der direkten Vorbereitung noch zu Änderungen kommen, aber in der Regel unterstützt dann das Team den vorher festgelegten Leader.

Nun ein paar trainings- und rennspezifische Fragen an den Profi. Wir Läufer meistern gerade die Ultratrails häufig mit dem Kopf. Gerade die Läufer aus dem ambitionierten Hobbybereich haben oftmals ein Problem mit der Wettkampfernährung. Viele müssen sich selbst dazu zwingen auf Gels zurückzugreifen bzw. genügend zu trinken. Im Gegensatz zum Laufen gibt es beim Radfahren keine Vorwarnung vor einem Hungerast. Wie kann man diese Situation am besten vermeiden?

Essen, essen, essen – wir Radsportler essen eigentlich immer. Gerade in den ersten Stunden nehmen wir die Kohlenhydrate durch feste Nahrung zu uns und zum Ende hin wechseln die meisten dann auf Gels. Das Wichtigste beim Thema Ernährung ist es nicht zu einem Hungerast kommen zu lassen. Was beim Laufen vielleicht noch ganz gut funktioniert ist beim Radfahren absolut tödlich. Erst einmal in einen Hungerast gefahren wird es sehr schwer. Darum ist die regelmäßige und gleichmäßige Kohlenhydrataufnahme so wichtig. Alle 20 Minuten essen und trinken ist eine gute Faustregel um über die Runden zu kommen.

Gerade beim Ausdauersport lautet mein Motto „nicht kleckern, klotzen“ und so habe ich mich natürlich auch für die längste Distanz angemeldet. Welchen Radtrainingsumfang würdest Du mir raten und wie lange sollten die sonntäglichen langen Ausfahrten dauern? Worauf würdest Du den Schwerpunkt legen – Umfang oder Höhenmeter?

Das Wichtigste ist über eine sehr gute Grundlagenausdauer zu verfügen. Ist diese aber vorhanden, dann geht es darum die langen Anstiege zu trainieren. Gerade diese Fähigkeit ist bei der Auffahrt über die Rossfeld Panoramastraße, bei der knapp 800 HM im Anstieg überwunden werden, notwendig. Man darf natürlich nicht vergessen, dass man hier erst die Hälfte der gesamten Distanz geschafft hat und man noch einen weiten Weg vor sich hat.

Viele Läufer nutzen das Rennrad als Trainingsalternative. Welchen Alternativsport betreiben Rennradprofis? Welche Regenerationsmethoden sind bei Radsportlern beliebt?

Im Sommer ist es tatsächlich so, dass wir einen Großteil der Tage im Sattel verbringen. Im Gegensatz zum Laufsport entfällt bei uns die körperliche Belastung durch Stöße und so ist auch das Verletzungsrisiko des Sehnen- und Bandapparats niedriger. Im Winter trainieren die meisten entweder klassisch auf der Rolle oder nutzen den Langlaufsport oder das Tourengehen als Alternative.

Vielen Dank Marcus für die Zeit die Du uns geschenkt hast. Ich freue mich schon sehr auf die Veranstaltung, wir sehen uns am 20.07.2024 in Kolbermoor bei Shades of Speed!

Strecke Das Monument © shades of speed

Weitere Infos zum Event: Dieses Event startet bereits am Samstag mit den beiden 130 km langen Warm Up-Strecken für Road oder Gravel und findet am Sonntag mit den weiteren Strecken seinen krönenden Abschluss. Ich habe mich für die 288 km lange Strecke mit 4.130 HM am Sonntag entschieden, um auch im Sattel eines Rennrads meine persönlichen Grenzen ausloten zu können.