Le Puy-en-Velay – Tradition und Moderne, Pilger und Trailrunner
„Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen“, wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. Lange vor den ersten Trailrun-Events. Und geht man in der Geschichte noch weiter zurück, so findet der Jakobsweg bereits 1047 die erste namentliche Erwähnung. Bereits damals machte sich die Avantgarde der Wallfahrer auf, um nach etwas Größerem zu suchen. Nun gibt es nicht mehr nur einen Jakobsweg, sondern ein ganz Europa durchziehendes Wegenetz. Mit dem gemeinsamen Ziel Santiago di Compostela.
Heute ist für viele Trailrunner das Ziel Chamonix. Einmal auf dem Place du Triangle de l’Amitié stehen und um den Mont Blanc zu laufen. Der Weg zur Qualifikation dafür beginnt bei einem der mittlerweile 43 Events der UTMB World Series. Manche finden auf entlegenen Kontinenten statt, andere in unmittelbarer Nähe. Der Trail du Saint-Jacques gehört zu einem der inklusive der Finals fünf französischen Events. Läufer und Läuferinnen auf vier Distanzen vereint der finale Climb zum Finish an der Notre-Dame du Puy-en-Velay Kathedrale, klassifiziert als UNESCO Weltkulturerbe.
Im Schatten des Mont Blanc
Die Anreise aus Deutschland mit dem Auto ist lang. Ich plane daher für Hin- und Rückfahrt einen Zwischenstopp ein. Welcher Ort wäre passender für diese Reise als Chamonix. Den kleinen Umweg dafür nehme ich gerne in Kauf. Es ist schon spät am Abend als ich Chamonix erreiche. Der Weg zu meiner Pasta führt mich über die Zielgerade des UTMB. Selbst bin ich hier noch nie gelaufen. Viermal habe ich Basilia betreut. Die Zeit hat die Emotionen nicht geschmälert. Als ich die Augen schließe, höre ich das Trommeln auf den Banden. Die Hymne zum Start. Das rhythmische Klatschen. Dieses Jahr wollte ich starten. Doch ich hatte kein Losglück. Macht nichts. Nach dem Finish beim Saint-Jacques gehe ich für das kommende Jahr mit doppelt soviel Running Stones in die Tombola. Ein kurzer Lauf am nächsten Morgen, ein Blick hinüber zum in majestätisch glänzendes Weiß verhüllten König der Berge. Dann geht die Fahrt weiter zum diesjährigen Saisonhöhepunkt.
Le Puy-en-Velay
Die Berge werden niedriger, die Wellen dafür enger. In stetem Auf und Ab bewegt sich die Straße auf Le Puy-en-Velay, die berühmte Kleinstadt im Südosten der Auvergne zu. Und schon an der Stadtgrenze zieht die Statue Notre–Dame de la France meinen Blick auf sich. Sechzehn Meter hoch ragt die heilige Maria auf einem der beiden höheren Vulkankegel in den Himmel. Auf dem anderen thront die Kirche Saint-Michel d’Aiguilhe. Diese umfasst die gesamte Gipfelfläche und passt sich mit ihrem Umriss der natürlichen Formation des Felsens an. Als ich mich später zu Fuß dem Statuenberg nähere, entdecke ich am Ansatz der Basaltkuppe nun auch die berühmte Kathedrale. Erhaben steht sie oberhalb steiler Stufen am Fuße des Hügels. Wuchtig, majestätisch, in klassischer, romanischer Bauweise. Noch erhabener wirkt sie am Ende meines Laufs, als ich mich mit letzter Kraft diese Stufen zum Finish hinauf kämpfe.
Tradition und Moderne
Knapp drei Kilometer sind es einmal um die Altstadt herum, die quasi als tiefer gelegener Ring die höhere, heilige Stadt umschließt. Tradition und Moderne reichen sich architektonisch die Hand. Streetart und bemalte Fassaden harmonieren mit den antiken Bauwerken und dem ursprünglichen Kopfsteinpflaster. Fachgeschäfte für Schmuck, Skulpturen, Gemälde und ähnliches säumen die kleinen Straßenzüge. Und an jeder Straßenecke laden kleine Cafés zum Verweilen ein. Dem antiken Ort merkt man sein Alter nicht an. Le Puy-en-Velay hat sich die Lebensfreude bewahrt. Auf dem Weg zu meinem Hotel bewundere ich noch die Wasserkunst des Brunnens La Grande Fontaine Crozatier. Durchquere einen malerischen Park und genieße später die Aussicht auf das die Stadt umgebende Grün von meinem Fenster. Ich bin gespannt auf dieses Umland. 135 Kilometer darf ich mir auf der Langdistanz davon ansehen.
Die Landschaft der Haute-Loire
Freitagabend um 22 Uhr startet mein Lauf in Saugues, um das Département Haute-Loire zu durchqueren. Die Nacht im Regen lässt keinen Blick für Details zu. Dafür entschädigt uns der sich aus herab prasselndem Regen und Nebelschwaden ergebende mystische Grundton. Gegen Mitternacht repräsentiert die im Allier-Tal gelegene Kapelle Les Chazes erstmals die kulturellen Schätze der Region. Knapp hundert Meter hohe Basaltfelsen säumen diesen Fluss zwanzig Kilometer später und bezeugen anschaulich den vulkanischen Ursprung der Gegend. Bei Monistrol-d’Allier grenzt sich diese Vulkanlandschaft des östlichen Velay gegen die westliche Hochebene der Margerite ab. Die Schluchtquerung im Morgengrauen ist gleichermaßen fordernd und eindrucksvoll. Kapellen und Überreste antiker Festungen begleiten den Weiterweg hinauf nach Saint Jean Lachalm. Auch hier erwartet uns eine Kirche aus dem zwölften Jahrhundert. Im morgendlichen Sonnenlicht breitet sich nun die Schlucht in ihrer ganzen Schönheit unter uns aus. Die Landschaft verändert sich nun und wie zum Beweis erwartet uns nach fast genau hundert Kilometern der inmitten eines Mischwaldes gelegene Lac du Bouchet. Das klare Wasser würde unter Normalbedingungen zum Baden und Verweilen einladen. Doch heute muss ich weiter. Hinauf auf den Mont Devès. Die meisten Höhenmeter sind geschafft. Von Bains nach Saint Christophe sur Dolaizon geht es flach durch eine sonnige Steppe. Ein Pilger mit schwerem Gepäck kommt entgegen und erinnert an die ursprüngliche Fortbewegung. Ein letzter Blick zum Les Chibottes bevor es zurück nach Le Puy-en-Velay geht.
Von den Pilgern lernen
Nach einem emotionalen Finish genieße ich kurz nach Mitternacht das Abendessen auf der Terrasse inmitten der mächtigen Steinmauern. Die Straßenbeleuchtung ist bereits abgeschaltet und auch die gegenüberliegende Kirche zu Ehren des heiligen Michaels liegt nun im Dunkeln. Nach einem letzten Stadtrundgang am Sonntagmorgen mit Café-Besuch mache ich mich auf den Heimweg mit Stopp in Chamonix. Ich bin meinem Start nun deutlich näher gekommen. Gleichzeitig bin ich jedoch froh, in der Lotterie dieses Jahr noch nicht zum Zug gekommen zu sein. Sonst hätte ich vielleicht nie die Schönheit der Haute-Loire bewundern können. Jetzt verstehe ich, warum viele Pilger soweit entfernt von ihrem Ziel Santiago di Compostela beginnen. Und freue mich auf viele weitere Erlebnisse auf der UTMB World Series Tour.