Walser Trail Challenge: Laufen in der schönsten Sackgasse der Welt

Walser Trail Challenge 2018 © Christian Mayer

Laufen in der schönsten Sackgasse der Welt – Aufgrund der geographischen Lage könnte man das Kleinwalsertal nicht besser umschreiben. Zum österreichischen Bundesland Vorarlberg gehörend wird das Kleinwalsertal zu drei Seiten durch die Berge Kanzelwand, Widderstein, Walmedinger Horn und den Hohen Ifen abgegrenzt und ist nur durch eine Zugangsstraße vom bayerischen Oberstdorf erreichbar. Bereits seit vier Jahren wird vom Triathlon Team Kleinwalsertal die Walser Trail Challenge organisiert und durchgeführt. Da ich in den vergangenen Jahren mit der Familie schon mehrmals Urlaub in diesem liebenswerten Tal gemacht habe, wurde es für mich nun endlich Zeit, dort auch zu laufen. Um das Wochenende komplett ausnutzen zu können, entschied ich mich für die Trail Challenge Pro, bestehend aus dem Widderstein Trail am Samstag und dem Walser Ultra am Sonntag.

 

Freitag, 27.07.18 – Anreise und Einstimmung

Nach einer ruhigen Anreise und dem Check In im Hotel hole ich meine Startunterlagen im Gemeindezentrum in Riezlern ab. Die Abholung ist gut organisiert und so kann ich den restlichen Nachmittag auf der Kanzelwand verbringen. Von dort oben aus hat man einen guten Ausblick auf das „Walser U“. Zum ersten Mal verspüre ich doch einen gewissen Respekt vor der Ultra- Strecke am Sonntag. Auf diesen 65 Kilometern werde ich alle markanten Gipfel des Tals abkommen und dabei 4.200 Höhenmeter im Anstieg bewältigen. Bei einer süßen Stärkung gehe ich im Kopf abermals die komplette Strecke durch und mache mir Gedanken zu einer möglichen Renntaktik. Aber bei aller Theorie dürfte jedem Ultraläufer bewusst sein, dass dieser Idealfall nur sehr selten verwirklicht werden kann und es meist anders kommt, als man es sich selbst auslegt. Anschließend geht es wieder zurück ins Hotel und nun wird die Zeit doch etwas knapp, da ich mich zur Einstimmung auf das ganze Wochenende zur Filmvorführung „Einen Sommer lang“ im Casino Riezlern angemeldet habe. In diesem Film von und mit Denis Wischniewski, Herausgeber des Trail Magazins, geht es um seinen Lauf im Sommer 2016 von München nach Istanbul. Unterstützt wird er dabei von seinem Vater der ihn mit dem Auto begleitet. Als Low-Budget Produktion und mit der Genre einer Dokumentation eines Laufes wird dieser Film niemals mit Fernsehpreisen überschüttet werden. Dies ist sehr schade, da dieser Film von absolut surrealen Momenten und tragikomischen Dialogen zwischen Vater und Sohn lebt. Die Kommentare beider die das schwierige Verhältnis untereinander in der Vergangenheit näher beleuchten kommen teilweise sehr trocken  rüber und haben die Spontanität anspruchsvoller Stand-Up Comedy. Dieser Film ist alles andere als ein langweiliger, öder Lauffilm und sehr empfehlenswert.

Samstag, 28.07.18 – Widderstein Trail

Da der Start zum Widderstein Trail erst um 10:00 Uhr erfolgt, kann ich ausschlafen und anschließend in aller Ruhe frühstücken. Das Kleinwalsertal ist durch den öffentlichen Nahverkehr hervorragend erschlossen, so dass ich an diesen Tag mein Auto stehen lassen kann und mit dem Walserbus in das 13 km entfernte Baad fahre. Dort ist mit verschiedenen Zelten für die Läufer und die Gastronomie, einer Nachmeldemöglichkeit und einer kleinen Expo alles vorbereitet und es herrscht bereits reges Treiben. Um dieser Hektik zu entkommen, gehe ich auf einen etwas abseits liegenden Hang und beobachte diese Szenerie von außerhalb. Kurz vor zehn begebe ich mich in die Startaufstellung und reihe mich relativ weit vorne ein. Der erste Teil der Strecke verläuft auf der leicht fallenden Zufahrtsstraße. Dementsprechend hoch wird das Tempo sein, wenn man beim Einstieg in den Trail nicht ausgebremst werden will. Mit diesem Blick auf diesen ersten Streckenteil fühlt man sich wie bei einem Motorsportrennen. Ein  langes gerades Stück Asphalt das gesäumt wird durch die zahlreichen Zuschauer. Gerade für die Challenge Pro- Teilnehmer wird es heute wichtig sein, die richtige Balance zwischen einem schnellen Rennen und der Schonung der Muskulatur zu finden.

Nun erfolgt der Countdown – 10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 – mit einem Schuss wird der Widderstein Trail gestartet und wie zu erwarten ist das Tempo zu Beginn mörderisch. Ich kann einigermaßen gut mithalten und laufe den ersten km in 3:37 und den zweiten in 3:45 ehe ich in den rettenden Trail einbiege und es ab jetzt endlich in den Uphill geht. Nun folgen auf sechs Kilometer Länge insgesamt 900 Höhenmeter auf abwechslungsreichen Pfaden. Das Wetter ist schwül-heiß, aber außer ein paar Schönwetterwolken ist nichts zu sehen. Das ändert sich aber schlagartig, als wir über die Höhenstufe beim Gemstelpass kommen. Aus Richtung Süden zieht eine gewaltige, schwarze Gewitterfront heran. Die kleine Hoffnung zumindest einigermaßen trocken wieder ins Ziel zu kommen, wird innerhalb weniger Minuten jäh zerstört. Mit heftigen Wind und Starkregen vermischt mit schmerzhaften Hagelkörnern zeigt uns dieser Gewittersturm wie schnell das Wetter in den Bergen umschlagen kann. Die lehmigen Pfade verwandeln sich in glitschige Rutschbahnen und viele Trails werden zu knöchelhohen Bächen. Da der Downhill eh nicht zu meinen Stärken zählt, muss ich Tempo herausnehmen und verliere Position um Position. Das ist zwar ärgerlich, aber angesichts des tags darauf folgenden Ultras die vernünftige Entscheidung. Gerade im Ziel sieht man einige die ihren Mut gepaart mit teilweiser Selbstüberschätzung mit starken Blessuren bezahlen mussten. Ich hab mich heil aus dieser Situation gerettet und bei 444 Finishern den 36. Platz belegt. Gerade im Hinblick auf die Gesamtwertung der Challenge hält sich mein Rückstand glücklicherweise in Grenzen.

 

Sonntag, 29.07.2018 – Walser Ultra

Früh geht es für mich heute aus den Federn, da der Start zum Ultra bereits um sechs Uhr erfolgt. Noch schläfrig mache ich mich auf den Weg zur Ausrüstungskontrolle und in den Startbereich. Dort treffe ich ein paar bekannte Gesichter und so vergeht die restliche Zeit bis zum Start wie im Flug. Nach den ersten paar hundert Metern durch Riezlern geht es zunächst über eine Hängebrücke. Ich kann auch heute gerade zu Beginn das hohe Tempo der Führungsgruppe mitgehen und komme so problemlos durch dieses Nadelöhr. Nach weiteren gut laufbaren Kilometern geht es nun in den ersten Anstieg hoch zum großen Ifen über das Gottesackerplateau. Die ca. 1.100 Höhenmeter verteilt auf neun Kilometer sind für mich problemlos zu bewältigen, die größten Schwierigkeiten habe ich mit dem Untergrund. Gerade das Gottesackerplateau und der Weg dahin besteht aus tief ausgewaschen Karstgestein, das unterschiedlich schmale und tiefe Furchen ausgebildet hat. Durch Unachtsamkeit rutsche ich mehrmals in diese Spalten ab oder stoße mit dem Längsgewölbe des rechten Fußes auf spitziges Karstgestein. Je mehr ich auf das Aufsetzen des Fußes achte, umso häufiger passiert mir dieses Missgeschick. Zwischen Kilometer 5 und 6 bin ich mittlerweile soweit, dass ich schon absolut keinen Bock mehr aufs Laufen habe und am liebsten aussteigen würde. Der Fuss schmerzt mittlerweile richtig heftig und mit jedem falschen Schritt wird mein Fluchen lauter. Ich nehme es gleichgültig hin, dass ich nach hinten durchgereicht werde. Die aufmunternden Worte eines Streckenpostens auf dem Plateau nehme ich schon nicht mehr war. Mein Entschluss steht fest, durchziehen bis zur Auenhütte bei Kilometer 22 und dann mit dem Bus zurück ins Hotel. Auf die in Aussicht gestellten 4 ITRA- Punkte kann ich auch gut und gerne verzichten. Ich bin genervt, gefrustet und auch ein bisschen enttäuscht über meine eigene Leistung. Endlich hab ich das besch… Gottesackerplateau hinter mich gelassen und über ein paar Steilstufen mit Drahtseilsicherungen geht es über den Hohen Ifen. Der Abstieg auf der anderen Seite ist ebenfalls mit Drahtseilen gesichert, ehe ich eine Art Hochalm erreiche, auf der ich wieder einigermaßen einen Laufrhythmus  finde. Die Schmerzen werden weniger und schön langsam erwacht wieder mein Kämpfergeist und schon beim Erreichen der Auenhütte hab ich alle meine Pläne umgeschmissen. Bis nach Baad bei Kilometer 36 komme ich schon noch und dann kann ich immer noch aussteigen. Für die ersten 22 Kilometer habe ich nun knapp über 3h benötigt. Meine eigene Zielzeit von ungefähr 10h kann ich nach derzeitiger Lage sowieso vergessen. Aber aufgegeben wird am Schluss und bereits beim Anstieg zum Walmendinger Horn bin ich fast wieder der Alte. Auf 4 Kilometer warten nun schöne 600 Höhenmeter. Obwohl die Sonne mittlerweile schon richtig hoch steht und die Hitze spürbar steigt, kenne ich nur noch eine Richtung – vorwärts. Ich ramme die Stöcke in den Boden, drücke mich gleichmäßig nach oben und mach nun sogar wieder Positionen gut. Nach dem Walmendinger Horn bleibt nicht viel Zeit zum Entspannen, da nun der Aufstieg zum Grünhorn auf mich wartet. Dort oben angekommen, werde ich vom Streckenposten sensibilisiert, dass ich mir auf den nun folgenden Streckenabschnitt etwas Zeit lassen soll. Ich nehme diese Warnung halbherzig zu Kenntnis, verfalle aber sehr bald der Schönheit dieser Teilstrecke, die auf dem nächsten Kilometer direkt am Grat verläuft. Bei diesen trockenen Bedingungen ist das der Traum eines jeden Trailrunners! Viel zu kurz ist dieser Abschnitt und schon geht es bergab nach Baad. Mittlerweile sind fünf Stunden vergangen, ich habe aber auch mit 36 Kilometern und knapp 2.200 Höhenmeter mehr als die Hälfte des Ultras geschafft. Wenn alles gut läuft, dann könnte ich vielleicht ja doch noch meine Zeit schaffen, vom Aufgeben will ich jetzt absolut nichts mehr hören. Nach einer kurzen Stärkung mache ich mich lächelnd auf zum zweiten Streckenabschnitt. Dieser Weg führt zur Widdersteinhütte auf dem gleichen Trail nach oben, denn ich tags zuvor ins Tal gestolpert bin. Mittlerweile sind diese Pfade sehr gut abgetrocknet und ich komme trotz der mörderischen Mittagshitze gut voran. Das offene Gelände bietet keinerlei Schatten und jeder kleine Luftzug wird dankend angenommen. An der Geländestufe, die gestern diesen Wetterumschwung brachte, angekommen, führt nun der Weg an diesem Bergmassiv in einem ständigen bergab- und bergauf vorbei. Mittlerweile habe ich die langsameren Läufer des Walser Trails eingeholt und ich mache immer wieder vorsichtig darauf aufmerksam, dass ich gerne überholen würde. Hier an dieser Stelle möchte ich die Fairness der Walser Trail Starter betonen, da diese teilweise sogar schon von weitem Platz machten, als sie mich bemerkten. Diese faire Geste verdient absolute Hochachtung!

Mit Spannung erwarte ich nun die Fiderescharte. Bereits im Vorfeld wurde mehrfach betont, dass dieser Anstieg noch einmal richtig kräftezerrend werden würde. Und so kommt es nun auch. Diese 400 Höhenmeter die sich auf nur 2 Kilometer verteilen, wollen gerade in dieser Hitze überhaupt nicht enden. Da ich die „Kurzstreckler“ auf dem Serpentinenweg nicht immer aus ihren Rhythmus bringen will, entscheide ich mich dazu den direkten Weg zu wählen und drücke mich immer weiter nach oben. Aber nachdem ich an diesem Tag bereits mehrere Krisen überstanden habe, lasse ich mich von diesem Berg nicht mehr aufhalten! Die letzten zehn Kilometer bestehen nun nur noch aus einem sehr steilen Downhill, einen den Umständen entsprechend fordernden Anstieg zur Kuhgärenalpe und dem Schlussdownhill zurück nach Riezlern. Aber gerade dieses Teilstück hat es nochmal in sich. Ich überhole eine Handvoll Läufer, die abseits des Trails stehen und mit Krämpfen zu kämpfen haben. Ich wurde bis hier hin verschont. Allerdings sind meine Salztablettenvorräte mittlerweile zur Neige gegangen und genau beim letzten Gegenanstieg verspüre ich ein leichtes Verkrampfen beider Oberschenkel. Nein, das darf doch jetzt nicht wahr sein, so kurz vor dem Ziel. Ich reduziere das Tempo und kratze das letzte Salz aus meiner kleinen Flasche zusammen. Nun hilft nur noch sich mit Bedacht zu bewegen. Aber irgendwie hab ich nochmal die Kurve bekommen und mit den letzten Körnern kämpfe ich mich zurück nach Riezlern und durchschreite mit einem lauten Schrei der Erleichterung das rettende Ziel. Mit meiner Zeit von 10h 12min bin ich absolut zufrieden. Damit hab ich beim Ultra gesamt den 11. Platz errungen und lande bei der Challenge Wertung sogar auf dem 4. Rang.

 

Fazit:

Der Walser Ultra ist mit seinen 65 km und 4.200 HM ein fordernder Ultratrail, der aber gerade bei schönem Wetter den Läufern sehr viel zurückgibt. Die Strecke zählt nicht umsonst zu einer der anspruchsvollsten im deutschsprachigen Alpenraum.

Wem der Ultra aber noch nicht genügt, dem sei die Challenge Pro ans Herz gelegt. Mit dem Widderstein Trail kann man zusätzlich einen reinrassigen Skyrun laufen.

Die Organisation ist komplett durchdacht und geplant. Alleine das Streckenbriefing, durchgeführt durch den Organisationsleiter Erich Pühringer, ist informativ und abwechslungsreich gestaltet. Auch das Rahmenprogramm lässt keine Wünsche offen. Für die Walser Trail Challenge kann man ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, eine Weiterempfehlung geben.

Christian Mayer