Der ungeschminkte Rennbericht des Mitorganisators und Drittplatzierten, Markus Mingo, beim 1. U. Trail Lamer Winkel:
Niemals hätte ich es im Vorfeld offen zugegeben, aber ich wollte ihn haben, diesen Sieg beim 1. Ultra Trail Lamer Winkel. Es war mein Heimspiel, auf meiner Strecke, bei einem Event in das ich so viel Herzblut investiert hatte und ich würde nun alles geben um den Titel „König vom Bayerwald“ nach Hause zu fahren.
Topmotiviert stand ich an der Startlinie im Seepark Arrach, mächtig stolz auf den bisher reibungslosen Verlauf des Events und noch stolzer darauf die Startnummer 1 tragen zu dürfen. Die Emotionen sind schwer zu beschreiben: Das Alles hatten wir auf die Beine gestellt und es lief wie geplant – die Blasmusik, die Böllerschützen, die Ehrenrunde um den Seepark – beim Blick zurück auf das gigantische Starterfeld mit dem Hohen Bogen im Hintergrund bekam ich zum ersten (und nicht zum letzten Mal an diesem Tag) feuchte Augen.
Von Beginn an ging Matthias Baur (Team Salomon) ein hohes Tempo und ich versuchte zu folgen. Beim Anstieg zum Eck wechselten wir uns in der Führung ab und erreichten nach 45 Minuten die erste Verpflegungsstelle. Hier herrschte bereits Volksfeststimmung: Gepusht von über 120 Zuschauern machten wir uns an den Anstieg zum Mühlriegel und folgten dem Goldsteig in Richtung Großer Arber. Das Tempo war höllisch, aber noch hatte ich alles im Griff. Immer wieder angefeuert von bekannten Gesichtern blieb ich in Sichtweite zum Führenden, wohlwissend, dass meine Stärken im technischen Downhill liegen – und davon sollte es noch genügend geben. Das Wetter wurde schlechter: Nebel, Regen, Wind und Hagel machten es uns nicht leichter. Typisches Arberwetter halt. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, der Mann von der Memme und der Trailrunner vom Schönwetterjogger. Aber genau das löst wohl diese gewaltigen Emotionen beim Zieleinlauf aus: Das Gefühl es mit den Elementen aufgenommen, den inneren Schweinehund besiegt und die eigenen Grenzen durch pure Willenskraft ein Stück weit nach hinten verschoben zu haben. Es spricht für die Klasse des Starterfeldes, dass trotz diesen Wetters so wenige das Handtuch geworfen haben. Respekt! Der Organisator in mir war beunruhigt – hoffentlich passieren auf den nassen Steinen und Wurzeln keine Unfälle – prompt zieht es mir selbst die Beine weg und ich stürze kopfüber den kleinen Arber hinunter. Ganz schön gerädert kämpfe ich mich an der Chamer Hütte und Märchenwiese vorbei, über den Großen Arber, hinab zum Brennes. Nach 2:37h passiere ich den Parkplatz. Hier schießt mir zum ersten Mal durch den Kopf, dass ich überzogen haben könnte. Aus meinen Trainingsläufen wusste ich, wenn ich ab hier mit frischen Beinen richtig Gas geben würde, wäre ich in gut zwei Stunden in Lam. Das ergäbe eine Zeit von klar unter fünf Stunden und kann nicht gut gehen. So war es dann auch: Ab Ebensäge kam der Einbruch und der absolute Tiefpunkt meines UTLW Wochenendes. Ich wusste, dass mich der Führende Matthias Baur immer weiter abhängte und spürte die Verfolger im Nacken. Traurig, frustriert und wütend auf mich und meinen streikenden Körper quäle ich mich der dritten Verpflegungsstation in einer Mischung aus Gehen und Laufen entgegen. Hier erlebte ich was die Faszination Ultratrail ausmacht: Man durchlebt während eines Laufes innerhalb weniger Stunden eine Gefühlsvielfalt, die im wirklichen Leben für ein ganzes Jahr reicht. Anspannung, Freude, Frust, Angst, Schmerz, Enttäuschung, Stolz und pure Glückseligkeit wechseln binnen weniger Minuten. Eben noch am Boden zerstört, werde ich bei VP3 von meiner Familie, allen Helfern und Zuschauern frenetisch angefeuert und gefeiert. „Geht scho no Markus“ lese ich später auf einem Schild am Osser und genau das Gefühl habe ich jetzt auf der Scheibe. Eine Handvoll Gummibärchen soll mir Kraft für das letzte Renndrittel geben. Also los! Beim steilen Anstieg zum Zwercheck zieht Lukas Sörgel mit großen Schritten an mir vorbei, doch entlang des Grenzpfades, beim Downhill und dem anschließenden Schotterstück kann ich wieder aufschließen und mich beim finalen Anstieg zum Großen Osser sogar nochmal leicht absetzen.
200 Meter vor dem Gipfel zieht es mir dann komplett den Stecker. Schwindlig, taumele ich den felsigen Weg nach oben und kann mich im letzten Moment noch an der Seilversicherung festkrallen. Der Werbeeffekt wäre wohl unbezahlbar gewesen, hätte der einzige ernsthafte Rettungseinsatz des Tages einem Mitglied des Orga-Teams gegolten. Lukas hat mir auf diesen 200m wohl 150 Meter abgenommen. Ich kann mich einfach kaum mehr auf den Beinen halten. Dann sehe ich sie: Motivationssprüche kleben an den Bäumen mit Marias und meinen Gesichtern drauf. Wieder treibt es mir die Tränen in die Augen: Der Zuspruch der Menschen und das Gefühl, dass Alle bei unserem Heimspiel mitfiebern, gepaart mit der Ohnmacht dieses Rennen noch zu gewinnen ist in dem Moment einfach zu viel für mich. Bei VP4 an der Bergwachthütte Großer Osser bin ich völlig neben der Spur. Komplett dehydriert trinke ich einige Becher Cola und zwinge mich weiterzumachen. Vor versammelter Mannschaft rutsche ich aus und fliege mal wieder auf die Nase. Egal, ich will jetzt einfach nach Hause. Hätte mir eine Woche vorher jemand die Situation geschildert – 3. Platz mit zweieinhalb Minuten Rückstand auf den Führenden, Standort Ossergipfel – hätte ich gesagt: „Kein Problem, Krone oder Koma“. Ich würde in diesen Downhill alles reinlegen, was ich habe. Diese Pfade bin ich 100mal gelaufen und es gibt mit Wolfgang Hochholzer wohl nur einen Menschen, der das genauso schnell kann. Heute ist es anders. Ich stolpere völlig kraftlos über den kleinen Osser und finde erst auf der Osserwiese wieder meinen sonst recht sicheren Tritt. Kurz vorm Sattel legt es mich schon wieder. „Aufrappeln, weiter! Jetzt nur nicht auch noch den 3. Platz verlieren“ schießt es mir durch den Kopf. Erst der von Max und Tine Hochholzer liebevoll präparierte „Holy Trail“ nach dem Bergkircherl zaubert mir wieder ein Lächeln ins Gesicht und beim Laufen stellt sich die pure Freude ein, die ich heute, vor lauter Verbissenheit, über lange Strecken verloren hatte. Ich fliege wie selbstverständlich ins Tal, genieße jeden Meter und freue mich plötzlich wahnsinnig über diesen dritten Platz bei meinem Heimrennen. Der Zieleinlauf ist Emotion pur: Roter Teppich, jubelnde Zuschauer, Musik, unzählige liebe Menschen sowie der Stolz und die Zufriedenheit die sich einschleichen, den Spagat zwischen Sportler und Organisator bei der Premiere des UTLW geschafft zu haben.
Ausrichter von Trailrunning-Events neigen häufig dazu mit Superlativen um sich zu werfen: Wir im Lamer Winkel haben mit 53 Kilometern und 2700 Höhenmetern mit Sicherheit nicht den Anspruch der längste, härteste oder höchste Ultra Trail Deutschlands zu sein. Aber durch die Leidenschaft, die Begeisterung und das Herzblut einer ganzen Region für den UTLW sind wir sicherlich einer der Charmantesten. Mal sehen, was die Zukunft bringt, aber ich habe das Gefühl, der DYNAFIT Ultra Trail Lamer Winkel könnte zur echten Kultveranstaltung werden.
[…] U. Trail Lamer Winkel 2016 war das erste Rennen, das ich mir als Ziel genommen hatte und auf das ich lange trainiert […]
[…] Markus Mingos Erfahrungsbericht zum U.TLW 2015 findet ihr hier. […]