Celebrate the sport on infinite trails

adidas Infinite Trails Bad Gastein 2021 © Michael Förster
XC-RUN.de Athlet Michael Förster war zu Gast bei den adidas Infinite Trails in Bad Gastein. Hier lest ihr seinen Eventbericht:

Celebrate the sport on infinite trails

Gelbe Fähnchen säumen den Weg hinauf zum Gamskarkogel. Infinite Trails prangt darauf. Versehen mit dem Zusatz World Championships. Dieser Titel wird regulär für die besten Teams vergeben. In diesem Jahr wird aufgrund der pandemiebedingten Sondersituation darauf verzichtet. „Celebrate the Sport“ lautet stattdessen der Aufruf. Weltstars sind auch heuer am Start. Was ist der Unterschied? Werden die Stars sich zurückhalten? Der zweite Athlet des Teamwettbewerbs läuft an uns Einzelstartern vorbei. Und beweist gleich das Gegenteil. Ich kann das Laktat in seinem Körper sehen. Wahrscheinlich ein mmol zu viel. Er hustet, taumelt, torkelt, geht auf die Knie und übergibt sich schließlich. Nur um wenige Sekunden später aufzustehen und kraftvoll weiterzulaufen. Niemand wird sich heute zurückhalten. Es ist vielmehr eine Frage der Perspektive.

Agon vs. Arete

Mir fällt Hans Ulrich Gumbrechts Unterscheidung in seinem Werk „The praise of athletic beauty“ in die beiden antiken, griechischen Prinzipien Agon und Arete ein. Agon beschreibt darin den kompetitiven Aspekt des Wettkampfs. Arete das Streben nach Exzellenz. Ist es die Verschiebung von Agon zu Arete, für die „Celebrate the Sport“ steht? Die Suche nach dem perfekten Trailrun? Platzierungen innerhalb der agondominierten Dimension lassen sich einfach bestimmen. Doch an was lässt sich der Grad an Perfektion messen? Objektiv an einer virtuellen Bestzeit? Subjektiv an der persönlichen Potenzialausschöpfung? Möglichst nah unterhalb der Laktatschwelle zu sein? In bestmöglicher Geländeanpassung? Mein Puls ist zu hoch für diese gedankliche Komplexität. Die letzten Meter auf dem Grat zwischen Gasteiner- und Großarltal zur Gamskarkogelhütte führen nochmal steil hinauf. 1.900 Höhenmeter auf etwas über zehn Kilometern sind geschafft. Die Verpflegung kommt zum richtigen Zeitpunkt. 

Der ideale Kurs

adidas Infinite Trails Bad Gastein 2021 © Michael Förster
Die Teamläufer des S-Loops biegen kurz nach dem Gipfel rechts zurück nach Bad Hofgastein ab. Wir laufen geradeaus weiter. Ebenfalls hinab. Nur eben das Gasteiner Tal entlang ins Hoteldorf Grüner Baum. Arete kommt mir wieder in den Sinn. Stellt nicht die Streckenführung die Grundvoraussetzung für den perfekten Trailrun dar? Unser XL-Loop begeisterte mich bereits im Höhenprofil. Drei Gipfel müssen in symmetrischer Anordnung überschritten werden. Die Streckenführung orientiert sich dabei an den geografischen Vorgaben des Tals und beschreibt einen langgezogenen Kreis. Keine Wiederholungen, keine unlogischen Schlenker, nur um Kilometer oder Höhenmeter auszubauen. Rennkurs und Topografie befinden sich im Einklang. Bereit für die Zelebrierung unseres Sports.

Kaiserwetter

Die morgendliche Kälte hat sich mit dem Nebel aufgelöst. Keine Wolke trübt den strahlendblauen Himmel. Der beginnende Herbst zeigt sich von seiner schönsten Seite. Kaiserwetter für das perfekte Event. Eine längere Forststraße führt hinauf zur Mittelstation des Graukogels. Das war das WarmUp. Nun geht es steil die Skipiste zur Bergstation hinauf, bevor eine Schleife zum Herzstück führt. Dem Graukogel-Grat. Ein letzter Blick hinunter zum Palfnersee. Dann fordert der verblockte Grat volle Konzentration. Vom Gipfel geht’s nun in steilem Downhill zur Mittelstation zurück, dann moderat abfallend nach Böckstein. Doch zuvor lasse ich meinen Blick über das Gasteiner Tal schweifen. Und noch etwas erwartet mich hier oben am Gipfel. Basilia. Was für eine Überraschung! Heute haben wir unsere Rollen getauscht und ich werde betreut.             

Agon ist zurück – im Wettstreit mit mir

Zwei Drittel des Rennens sind geschafft. Doch nun geht es nochmal 1.300 Meter auf den kommenden sechs Kilometern bergauf. Agon hat Arete verdrängt. Jeder Schritt ist ein Kampf. Immer öfter streiken meine Beine. Dann auch der Magen. Jedes Gel kostet Überwindung. Basilia feuert mich an. Der Weg will kein Ende nehmen. Infinite Trails eben. Irgendwann stehe ich oben auf dem Tischkogel. Ab jetzt geht es primär bergab. Lieber wäre ich weiter hinaufgestiegen. Meine Oberschenkel sind zerstört. Koordinative Probleme setzen ein. Am zweihundert Meter tiefer gelegenen Stubnerkogel läuft es schon wieder besser. Die Sonne wärmt noch etwas. Doch der nahende Abend kündigt sich bereits durch schattige Abschnitte an. Ein weiterer Kampf gegen die exzentrische Belastung folgt im langen Direttissima-Downhill über steile Skipisten. Ein letzter Schlenker durch den Wald, ein letzter kurzer Verpflegungsstop. Jetzt bin ich bereit, das Finale zu zelebrieren.  

Finale

adidas Infinite Trails Bad Gastein 2021 © Michael Förster
Hundert Höhenmeter geht es zum Schluss noch mal nach oben. Jetzt ist Zeit für All-In. Agon scheint noch mal aus dem Tal gestiegen zu sein. Lange Abschnitte waren einsam. Doch jetzt, vier Kilometer vor Schluss beginnen Positionskämpfe. Das Tempo wird höher. Basilia paced mich den letzten Downhill hinunter nach Bad Hofgastein. Agon zieht sich zurück. Den letzten Berg habe ich hinauf gekeucht. Ich bin gestampft, gekrochen, habe mich an den Stöcken nach oben gezogen. Doch nun fliege ich hinunter ins Tal. Leichtfüßig, schwerelos. Meine Pace erstaunt mich. Die Situation wirkt surreal. Ich bin „in-the-zone“. Arete hat wieder übernommen. Arete trägt mich ins Ziel. 12 Stunden und 18 Minuten war ich auf den unendlichen Trails unterwegs. Nun haben sie doch ihr Ende gefunden. Doch nur vorrübergehend. Denn laufen werde ich hier bestimmt nochmal. Im Streben nach meinem perfekten Lauf. Wohl wissend, diesen nie zu erreichen. Aber doch näherzukommen. Zumindest ein bisschen davon zu spüren. 

Arete gewinnt

Ungläubig schaue ich auf die Ergebnislisten. Wieviel trennte Sieger Martin Anthamatten noch vom perfekten Lauf? Zu Beginn der Schleife um den Graukogel kam er mir auf dem Steilhang bereits entgegen. Leichtfüßig, graziös und natürlich full-speed. Trotz dem Stolz über mein Finish verspüre ich eine leichte Ernüchterung angesichts des Leistungsunterschieds. Zeit für den gedanklichen Agon-Arete-Shift. Vielleicht war ich beim perfekten Lauf dabei. Ich spüre, wie ein Lächeln des Glücks über mein Gesicht huscht. In Gumprechts Worten der „…happiness over being allowed to play (my) role in a splendid situation of arete”, die größer als die Frustation über die eigene Niederlage, vielleicht sogar größer als die Freude über den eigenen Sieg gewesen wäre. 

Der Sport hat gewonnen

Diese Erkenntnis manifestiert sich, als ich die Abendveranstaltung in der Alpentherme betrete. Siegerehrung mit Weißbierdusche samt Poolparty. Celebration of our sport. Was für ein Event! Was für ein Spirit! Wären meine Oberschenkel nicht so zerstört, ich würde sofort beginnen, für die nächsten Infinte Trails zu trainieren. Auch wenn diese irgendwann zu Ende sind, das Streben, besser zu werden, wird niemals enden.