Feuershow, Trommler, dröhnender Bass. Die Warteschlange drängt auf den Eingang gegenüber der Bühne zu. Auch wenn es so klingt und sich fast so anfühlt, bin ich auf keiner Techno-Party. Ich warte auf den Start des Hochkönigmans. Trailrunning statt Raven, Lactic acid statt Ecstasy, Maria Alm statt Berlin – ready for the weekend!
Startschuss um Mitternacht
Der Startschuss des Endurance-Trail fällt genau um Mitternacht. Meine Müdigkeit ist verflogen. Ich bin bereit für den ersten Formtest jenseits der 10-Stunden-Marke. 85 Kilometer mit über 5.000 Höhenmetern warten. Und es geht gleich in den ersten Anstieg. Hinauf nach Natrun. Im Zickzack arbeiten wir uns die Skipiste hinauf. Bald schon spiegelt sich der Lichtkegel meiner Stirnlampe im Prinzensee. Abends hat es geregnet. Der Boden ist matschig, die Luft schwülwarm. Konzentration im ersten Downhill. Matsch und rutschige Wurzeln fordern kontrolliertes Tempo. Die führende Frau, Titelverteidigerin Esther Fellhofer, ist außer Sichtweite. Hinter mir sehe ich auch niemanden. Doch ich bin mir sicher, dass irgendwann in einem Downhill meine Freundin Ildiko vorbeifliegen wird. Mal schauen. Nach einigem Auf und Ab geht es nun zuerst steil auf Singletrails, dann moderat über einer unebenen Trasse am Bachbett hinunter nach Hinterthal zum ersten Servicepoint.
Durch die Nacht
Der zweite Anstieg beginnt. Die Forststraße schlängelt sich in ständiger Steigung nach oben. Der Schweiß fließt. Es fällt mir schwer, im Laufschritt zu bleiben. Wenn es in der Nacht schon so warm ist, wie heiß wird dann erst der Tag? Also trinken. Fast zwanzig Kilometer und über tausend positive Höhenmeter sind es bis zur nächsten Verpflegung. Zwei Flasks und hoffentlich einige Brunnen und Bäche zum Auffüllen sollten über diee Durststrecke hinweghelfen. Da bemerke ich, dass sich der Verschluss einer Flasche gelöst hat. Ich suche verzweifelt. Erfolglos. Ab jetzt muss ich mit einem halben Liter auskommen. Und so oft wie möglich nachfüllen. Bald sehe ich die Abzweigung des Trail-Marathons, der am Morgen starten wird. Unsere Strecke führt uns noch etwas hinauf, bevor der zweite, lange Downhill hinunter nach Mühlbach führt.
Der mächtige Hochkönig
Das Streckenprofil erinnert mich an pyramidisches Intervalltraining. Jeder Anstieg geht etwas über den vorherigen hinaus. Eintausend Höhenmeter auf nur fünf Kilometern. Und dies vor der Kulisse des mächtigen Hochkönigmassivs im Sonnenaufgang. Schnell wird es Tag. Fast genauso schnell gewinne ich an Höhe. Nur um diese im Downhill kurz darauf nach Dienten wieder zu verlieren. Irgendwo auf der anderen Seite des Tals muss der Gletscher Übergossene Alm liegen. Der Sage nach wurden die Sennerinnen auf ihrer blühenden Wiese übermütig. Zum Schluss pflasterten sie die Wege mit Käselaiben und füllten die Rillen mit Butter auf. Das ewige Eis folgte als Strafe für das frevelhafte Leben. Die Trails auf meiner Route haben mit den luxuriösen Chausseen nichts gemein. Ruppig, steil und holprig fordern sie volle Konzentration. Irgendwann werden die Wege breiter und leichter zu laufen. Hier unten müssen die Menschen achtsamer gewesen sein und sich dem heiligen Zorn entzogen haben. In liebliches Grün eingebettet präsentiert sich Dienten.
Der Ultra beginnt
Das Dorf erwacht gerade. Vereinzelte Menschen am Straßenrand feuern mich an. Noch immer liege ich auf Platz 2. Wo bleibt Ildiko? Gleich wieder verdränge ich den Gedanken. Euphorie und Angst – beides ist im Rennen fehl am Platz. Nur die Gegenwart zählt. Auch mögliche Szenarien blende ich aus. Nur die Realität zählt. Ich konzentriere mich auf Geschwindigkeit und Flüssigkeit.
Die Temperaturen steigen analog des Sonnenaufstiegs. Mein Aufstieg bleibt flüssig. Ich fühle mich immer noch gut. Das erste Gipfelkreuz des längsten und finalen Intervalls winkt. Auf dem Höhenprofil sieht es nun nach einem längeren Flachstück aus. In der Realität erwartet uns nun ein langer Grat mit permanenten Auf- und Ab-Wechseln. Der Ultra hat begonnen.
Endlich erreiche ich das Statzerhaus. Doch auch dahinter versteckt sich Gipfel hinter Gipfel. Wie bei diesen Bildern mit Schachteln, auf denen wieder Schachteln gemalt sind und so weiter. Doch irgendwann ist es so weit und der letzte Abstieg beginnt. Und es dauert auch nicht mehr lang und Ildiko fliegt an mir vorbei. Soll ich versuchen, dranzubleiben? Meine Beine sind wacklig. Der Grat hat seinen Tribut gefordert. Ich laufe mein Tempo. Alles andere wäre zu riskant.
Ein schöner Tag
Der Singtrail schlängelt sich durch den Wald. Kurz nach dem letzten Servicepoint verbreitert sich der Weg. Der Wald gibt den Blick frei auf Maria Alm. Die letzten Meter laufe ich durch das Dorf. Viele Passanten feuern mich an. Und da ist es. Das Ziel. Die Glocke. Das Zelt. Das Finish-Band für die dritte Frau. Nach 13 Stunden und neun Minuten stoppe ich meine Uhr. Es war eine wunderschöne Tour durch das Pinzgau im Salzburger Land. Und es war ein bestandener erster Formtest im mittleren Ultrabereich. Ich bin glücklich. Ildiko gratuliert mir. Und ich ihr. Wir freuen uns beide. Und dann freue ich mich noch mehr, als Michael von der Marathonstrecke ins Ziel kommt. Oft musste ich an ihn denken. Und er bestimmt noch öfters an mich.
Afterhour-Party
Die Siegerehrung später im Zelt toppt nochmal die Partystimmung vom Vortag. Saturday Night Fever. Langsam fühle ich mich auch wie auf einer Afterhour-Party. Knapp 40h bin ich – abgesehen von einem kurzen Powernap – nun auf den Beinen. Zeit zu schlafen. Und zu träumen. Von den nächsten großen Abenteuern. Egal wohin mich diese führen werden, zum Hochkönig komme ich bestimmt wieder zurück.