Höhen und Tiefen am Lago D‘Orta: Rennbericht Michael Förster

© Oscar Roche

Der Ultratrail Lago D´Orta (UTLO) erfreut sich auch bei deutschen Teilnehmern immer größerer Beliebtheit und hat sich die letzten Jahre zu einem wahren Fest des Trailrunning entwickelt. Mit Johannes Klein (82k) und Susi Lell (34k) standen sogar zwei Deutsche ganz oben auf dem Podest und setzten sich gegen ein international stark besetztes Teilnehmerfeld durch. Michael Förster, der Ehemann von Basilia Förster bot auf den 82 Kilometern und 5200 Höhenmetern ebenfalls eine bärenstarke Leistung und berichtet für uns von diesem Traumrennen an der Westseite des Lago Maggiore:

Rennbericht Michael Förster

Die Loipen sind noch nicht gespurt, der Herbst zeigt sich von seiner besten Seite, die Form passt. Die Trailrun-Saison ist noch nicht vorbei. Ultratrail Lago D’Orta – UTLO? Andiamo! Die Streckenlängen variieren von 17 – 120 KM. Ich entscheide mich für die 82 KM Strecke mit 5200 Höhenmetern.

Ein Ultratrail am Lago D´Orta –  italienischer Saisonabschluss

Der Lago D’Orta liegt westlich des Lago Maggiore im Piemont. Steile Ufer umrahmen den See. Das Kernstück aller Strecken bewegt sich auf der nordwestlichen Uferseite. Hier finden sich die letzten Ausläufer des Monte Rosa-Massivs. Entsprechend steil gestalten sich die bewaldeten Uferhänge. Startort aller Läufe ist der nördlich gelegene Küstenort Omegna auf 290 Meter Seehöhe. Die Promenade ist bereits am Freitagnachmittag fest in der Hand der Trailrun-Community. Bevor ich meine Startnummer abholen kann, wird meine Pflichtausrüstung akribisch kontrolliert. Alles gut – keine Beanstandung! Ich bekomme noch einen UTLO-Hoodie, eine Flasche Birra Menabrea und ein Ticket für die Pastaparty. Insalata mista con pane, formaggi, penne pomodoro e una torta. Es hätte sich schon gelohnt, nur zum Essen hinzufahren.

Herausforderndes Streckenprofil

Ein paar Stunden Schlaf, dann ging es auch schon in den Startblock am Seeufer. Es war zwar noch dunkel, aber die Temperatur ließ perfektes Laufwetter erwarten. Weder die meist einheimischen Läufer in langen Hosen und Laufjacken noch der Nebel über dem See konnten mich irritieren. Ich startete kurz/kurz und auch die Stirnlampe blieb im Rucksack. Der Startschuss für die 210 Teilnehmer der 82-Strecke fiel um 7 Uhr morgens. Ein kurzes Straßenstück musste für die Positionierung genügen, bevor es in Reih und Glied die ersten 500 Höhenmeter in engen Serpentinen nach Quarna Sopra hinauf ging. Überholen war hier schwierig, angesichts der noch langen Strecke aber auch nicht ratsam. Meine ultra-erfahrene Betreuerin Basilia gab mir kurz vor dem Start noch eine ihrer italienischen Weisheiten mit auf den Weg. „Chi va piano va sano e va lontano – wer langsam geht, kommt weit und bleibt gesund“. Angesichts der herausfordernden Trails war dies die einzig richtige Taktik. Das Streckenprofil zeigte eine permanente Abfolge von Gipfeln und Tälern. Gleich auf der ersten Streckenhälfte warteten mit Monte Mazzocone (1424), Croce (1640) und Novesso (1409) gleich drei Gipfel, zwischen denen es jeweils tief hinab ging. Die Trails waren gut zu laufen, erforderten jedoch zugleich volle Konzentration. Bergauf war ich froh um meine Stecken in Überlänge. Doppelstockeinsatz war hier die meist gesehene Technik.

Steil ist Geil und italiensiche Weisheiten

Der mystisch anmutende Nebel in Seenähe wich angesichts der zunehmenden Höhe zurück und wir tauchten in Gipfelnähe in die wärmenden Sonnenstrahlen ein. Der Herbst präsentierte das Piemont in Bilderbuchqualität. Berge soweit das Auge reichte. Zwischen erstem und zweitem Gipfel gab es zwei Verpflegungsstationen, die sich im Umfang am Buffet des Vorabends zu orientieren schienen. Ich blieb vorerst bei Gel und Mineraldrink und ging mit 1,5 Litern auf das nun folgende Teilstück von 14 Kilometern und 1450 positiven Höhenmetern. Jede Quelle nutzte ich zusätzlich, um wieder Wasser aufzufüllen. Kurz vor dem dritten Anstieg stand plötzlich Basilia am Wegesrand. Wir hatten aufgrund der verwinkelten Streckenführung keine festen Treffpunkte vereinbart. Umso mehr freute es mich, dass sie mich nun ein kurzes Stück zum nächsten Refreshment Point begleitete. „Was willst Du essen?“ „Nichts. Ich habe keinen Hunger. Mir reichen die Gels.“ „Metti pane al dente che la fame si risente – wenn Du isst, kommt der Hunger schon“. Ein Marmeladentoast, drei Stück Schokolade. Basilia war zufrieden, lief wieder hinunter zum See. Ich musste auf Gipfel Nummer 3. Obwohl ich nun schon 7 Stunden unterwegs war, ging es mir fantastisch. Steil ist geil! dachte ich mir und startete die Aufholjagd im Gipfelsturm. Genauso steil ging es über halsbrecherische Downhills wieder hinunter bevor der Weg gemütlicher wurde und moderat nach Arola hinunter führte. Jetzt könnte ich Tempo machen … hätte ich vorher nicht übertrieben. Starkes Seitenstechen zwang mich nun bergab immer wieder Gehpausen einzulegen. Irgendwann erreichte ich Arola. Noch 42 Kilometer lagen vor mir. Ich nahm einen Schluck Birra Menabrea. Der Schaum soll antiseptisch wirken und den Magen beruhigen. Ich nahm wieder Fahrt auf. Flach konnte ich wieder laufen, bergab ging so. Irgendwie kämpfte ich mich nach Madonna del Sasso. Kurz registrierte ich den überwältigenden Ausblick über den See, der mir direkt zu Füßen lag. Der Downhill war noch nicht zu Ende. Der Weg der Steinmetze führte uns hinunter zum Küstenort Pella. Dies war der südlichste Punkt. Nun ging es zurück

Prima il dovere, poi il piacere

Der Kampfgeist erwachte wieder. Zuerst flach, dann leicht ansteigend ging es wieder etwas vom See weg. Die nächste Ortschaft nutzte ich, um meine Stirnlampe aufzusetzen. Kurz drauf dämmerte es auch schon. Ein paar Minuten später stockdunkler Wald. Mittendrin Basilia. Wieder begleitete sie mich ein kurzes Stück und fuhr dann weiter nach Cesara. Ich musste mich durch einen nicht enden wollenden steinigen Waldpfad kämpfen. Froh um meine Begleitung ein sichtlich erschöpfter 120 KM-Läufer. Dieser war schon 8 Stunden vor mir gestartet. Er fluchte, ich hörte zu. Nun dürfte ich alle italienischen Schimpfwörter beherrschen. Endlich. Hundebellen, etwas Licht, Cesara. Basilia erwartete mich schon am Verpflegungspunkt. „A tavola non si invecchia – beim Essen verliert man keine Zeit“. Statt Gel also wieder Marmeladentoast. Dazu Tee und ein Schluck Birra Menabrea. Von Cesara aus ging es nun in den finalen Anstieg zur Alpe Berru. Die Kraft war wieder da. Ich brach mit einer Gruppe Läufer auf, konnte mich aber schon bald absetzen. Ich genoss die Einsamkeit. Der dunkle Wald, entferntes Hundebellen, die reflektierenden Markierungen am Wegesrand im Lichtkegel meiner Stirnlampe. Kurz vor dem höchsten Punkt hörte ich es wieder. Erst Schnaufen, dann Fluchen, die gleichen Wörter, dafür neue Kombinationen. Ich stellte meine Stirnlampe auf Stufe 3. Steil ging es hinab. Ein paar Läufer schlossen zu uns auf. Den letzten Verpflegungspunkt ließen wir aus. Endlich der See. Noch 1,9 KM. Basilia begleitete mich auf der Uferpromenade. Trotz downhill-zerstörter Oberschenkel lief ich so locker wie zu Beginn. Ich hatte es geschafft. 15:29h und 33 Sekunden. Es war ein unbeschreiblicher Moment, den Torbogen zu durchqueren. Zu meiner Überraschung gab es eine Wiederholung der Pastaparty vom Vorabend. „Prima il dovere, poi il piacere – erst die Anstrengung, dann das Vergnügen“.

 

Statement des Siegers über die 82k – Jojo Klein

„Eine meiner absoluten Lieblingsveranstaltungen, herzlich und doch professionell organisiert. Als Läufer fehlt es einem hier an gar nichts. Landschaftlich ist die Veranstaltung zu dieser Jahreszeit ebenfalls extrem reizvoll. Egal ob man durch die bunten Kastanienwälder heizt oder oberhalb der Baumgrenze den Blick auf den Ortsee beziehungsweise die umliegende Bergwelt richtet. Und wir sind in Italien, hier gibt es immer die beste Pizza und der Kaffee ist ebenfalls unschlagbar. Ich werde definitiv nicht das letzte Mal dort gewesen sein!“

 

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