„You are looking way too happy for this!” ruft mir ein Zuschauer auf dem steilen Anstieg zum Tafelberg entgegen. Ich strahle. Wir hatten einen perfekten Sonnenaufgang in Kapstadt, laufen an traumhaften Ausblicken vorbei, der 10. Ultra Trail Cape Town ist in vollem Gange. Und ich habe keine Ahnung, was mir noch bevorsteht.
Südafrika. Hier zu laufen, ist mehr, als einfach nur zu laufen. Die Community ist legendär, der UTCT gehört zu den weltweit bekanntesten Trailruns – und doch ist zumindest für den durchschnittlichen europäischen Teilnehmer alles etwas anders. Der 100km-Lauf startet um 4:00 im Rugby Stadion im Stadtteil Gardens. Ein gut betuchtes Viertel direkt am Fuß des Tafelbergs. Vom Hotel aus ist der Start nur knapp 1km entfernt. Aber geht man nachts zu Fuß rauf? Die Frage stelle nicht nur ich mir. Zum Glück gibt es einen extra Minibus-Shuttle-Service in der Nähe des Hotels.
Eine andere Realität
Ich fahre mit einem französischen Läufer rauf, wir starten gemeinsam, erinnern uns gegenseitig daran, nicht zu überpacen während wir die ersten Kilometer durch die schlafende Stadt laufen – vorbei an den omnipräsenten hohen Zäunen mit wahlweise Stacheldraht, Scherben oder Elektrodrähten oben drauf. Kaum ein Haus kommt ohne den Hinweis aus, dass es von einem Security Service bewacht wird. Zum Glück ist die erlebte Realität heute eine andere: Die vielen Helfer*innen, die an jeder Straßenecke den Weg weisen, sind supernett, die ersten Instagram-Touris, die wir auf dem Weg zum Lions Head überholen, applaudieren, während über den Bergen im Osten der perfekte Sonnenaufgang Kapstadt von seiner schönsten Seite illuminiert: von oben.
Doch das ist alles Vorgeplänkel. Am Fuß des Tafelbergs wird es ernst. Zunächst gehts über den großen, stinkenden Parkplatz und dann ab in den Hang. Vorbei an Passanten, die von jeder Läuferin und jedem Läufer so begeistert sind, als wären wir Courtney oder Kilian persönlich. So fühlt es sich jedenfalls an, als wir durchs Spalier die letzten steilen Meter erklettern, links auf einen schmalen Pfad abbiegen und an der Felswand entlang laufen.
Das Leiden beginnt
Ich strahle, bin mega gepusht, voll im Rennen, der König der Welt. Dass der Pfad gerade etwas ungelenk zu laufen ist, ist mir egal. Bisher war alles flowig und entspannt. Wird schon… Am Arsch. Die ebenen Passagen sind hier oben ständig verblockt. Irgendwann kommt der nächste Aufstieg. Platteklip Gorge, ein Schartenaufgang mit Steigungen von deutlich über 35 %, den auch diverse Wanderer in der immer intensiver brutzelnden Sonne erklimmen wollen. Ich schiebe mich an ihnen und anderen Läufern vorbei, die in der Stadt zu schnell gestartet sind. Viele von ihnen werden dieses Jahr nicht ins Ziel kommen.
Ich habe vor meinem Start viel über den Ultra Trail Cape Town gelesen. Die Einschätzungen reichten von „mega technisch“ bis zu „durchaus laufbar, glaube ich“. Die Wahrheit ist: Für normal-ambitionierte Läuferinnen und Läufer ist das echt ein Brocken. Es geht seit der Spalierpassage kilometerlang über felsig-verblocktes Terrain. Hier liegen nicht nur einfach Steine rum, so dass man aufpassen muss – es ist Knöchelbrechterrain. Dazu immer wieder kleine Kletterpassagen, bei denen manchmal Tritteisen helfen – aber halt nur manchmal.
Ich führe mal wieder eine kleine Gruppe an, als der nächste Felsenabstieg ansteht. Ich bremse hart aus. Unter dem Felsrand steht eine Holzleiter. Kaum setze ich den ersten Fuß drauf, wackelt das ganze Gerät. „Dodgy ladder?“ fragt der Läufer hinter mir halb verständnisvoll, halb genervt. „I thought I was quite good at this. Until today,” sagt er. Unsere Zeitpläne haben wir alle längst verworfen.
Wie viel Sand passt in einen Schuh?
Wir wissen, dass in Hout Bay unsere Dropbags warten. Bis dahin sollen es 54km und fast 3.000 Höhenmeter sein. Es sind dank Strecken-Update de facto 59km, aber das sei mal geschenkt. Der Abstieg vom Berg zum Strand ist sandig. Ich laufrutsche auf endlich mal weichem Untergrund hunderte Höhenmeter runter, ende an einer Straße, setze mich auf die Deichsel eines Bootsanhängers und leere meine Schuhe. 2km vor den Wechselschuhen, aber so kann ja kein Mensch laufen. Wie viel Sand passt eigentlich in einen Schuh? Ich schaue nach rechts. Neben mir haben sich vier weitere Läufer versammelt. Sie alle schütten Sand aus.
Dann geht es weiter an den Strand. Ich laufe durch eine Frisbee-Line. Die Jungs grüßen und feiern erst mich, dann die nächsten. In der VP angekommen werden wir wieder umsorgt, als wären die Leute nur für uns abgestellt. Mir wird Eiswasser aufgezwungen, das ich literweise über Kopf und Nacken kippe. Ich tränke mein Bufftuch darin, esse etwas und laufe weiter. Was für eine Crew. Was für tolle Leute. Und wo kommt eigentlich die ganze Energie plötzlich her?
Vom Strand aus geht es kurz an einer Straße lang. Irgendwo feuert eine Frau in einem aufblasbaren Einhornkostüm an. Sie muss – fast – noch mehr schwitzen als ich. Sie lacht, als ich ihr das sage. Ich biege ab. Nach oben. Wohin sonst.
Es wird wieder Nacht
Hatte ich gehofft, im Hellen meinen ersten 100-Kilometer-Lauf zu finishen? Nicht wirklich. Dass ich deutlich früher im Rennen die Lampe wieder rausholen muss, ist eine emotionale Bremse. Immerhin werden die Temperaturen angenehmer. In der Alphen Trail Station ist Party angesagt. Weihnachtsdeko. Banana Bread. Und schon wieder diese unglaubliche Crew. Ohne sie würden garantiert noch mehr Leute aussteigen.
Über 80km sind im Sack. Über 4.000 Höhenmeter. Der vorletzte Anstieg ist durch. Es fühlte sich anfangs komisch an, nachts alleine in Südafrika durch stadtnahen Wald zu laufen. Aber ich sehe Lampen weiter vor mir und hinter mir. Alles wird gut.
Als es steil durch einen dichten Wald Richtung Rhodes Memorial runter geht, überhole ich einen Läufer, der vor sich hin flucht: „This is not a good idea. And it stopped being fun long ago!“
Ich kann ihn verstehen. Aber meine Energie ist wieder da. Ich konzentriere mich auf die 3 Meter vor mir. Jetzt nicht umknicken. Bald kommt die letzte VP. In der wird mich eine Zuschauerin fragen, ob ich denn keine Crew habe? Als ich verneine, bringt sie mir Suppe. Sie gehört nicht mal zu den offiziellen Supportern.
Finish
Letzter Anstieg zum Blockhouse. Krass steil. Plötzlich ist es extrem windig und kalt. Ich habe keine Ahnung wie spät es ist. Es ist schon ewig dunkel. Oben angekommen, höre ich einen afrikanischen Gospel-Chor, der hier oben anscheinend probt. Gänsehaut. Und irgendwann geht es wieder von hier oben runter. Kurz auf eine Straße. Noch 2,5km über einen steinigen Gravel-Weg. Ich überhole noch zwei Laufende, biege in Gardens ein, erkenne die Straße zum Rugby-Stadion, ein letzte Kurve – Ziel. Jubelempfang um 1 Uhr nachts.
Ich habe fast 21h gebraucht. Bin fix und fertig. So ein Monster habe ich nicht erwartet. Total geflasht von der Landschaft, den Blicken, der brutalen Strecke – und der absolut unfassbaren Community vor Ort.
Mein Platz ist mir egal. Ich liege ziemlich genau in der Mitte – da kommen noch ziemlich viele nach mir rein. 102 Kilometer hat die aktuelle Route gebracht. 4.996 Höhenmeter. Von den 312 Startenden haben 85 aufgegeben oder aufgeben müssen.
Was für ein Rennen.
Ein toller Bericht, ein offenbar wirklich herausfordernder Lauf: Respekt und Danke für die wunderbare Beschreibung der Menschen, der Landschaft und des Durchhaltewillens!
Vielen lieben Dank Jens! Es war in der Tat ein großartiger Lauf mit TOLLEN Menschen überall.