„Jetzt kommt Dein Abschnitt“ rief Michael mir zu. Er spielte dabei auf meine Stärke in den Flachpassagen an. Und tatsächlich konnte ich schnell wieder Platz 3 einnehmen und lief einigermaßen locker das Leutaschtal hinaus. In Mittenwald lag ich nur 2 Minuten hinter Denise Zimmermann, kämpfte nun aber mit starken Magenproblemen. Irgendwie schleppte ich mich den leichten Anstieg zum Ferchensee hinauf. Die Lockerheit war dahin. Technik, ökonomischer Laufstil, Renntaktik, das alles gab es nur noch in meiner Erinnerung an die ersten Rennkilometer. Nun war Kampfgeist gefragt. Meine Konkurrenz bestand nicht mehr aus Lisa, Denise und Lada, mein Gegner hieß nun DNF. Noch nie musste ich einen Utratrail abbrechen und später das gefürchtete Akronym Did Not Finish in der Ergebnisliste lesen. Ich habe doch schon so viel gegeben, schoss es mir durch den Kopf. Also weiter, Basilia! DNF, das sollte nun als Imperativ gelten: Do Not Forfeit! Gib nicht auf! Weiter geht’s. Meine Euphorie hielt nur kurz. Die einfach zu bewältigende Forststraße nach Schloss Elmau zog sich endlos hin. Michael munterte mich erneut auf und machte sich auf den Weg zur Partnachalm. Kurz darauf ging gar nichts mehr. Ich zog mein Smartphone aus dem Rucksack und rief Michael an. „Ich kann nicht mehr.“ Er tat das einzig Richtige und zeigte kein Verständnis. „Du bist auf einem Stockerlplatz. Du bist näher an 2 als 4 an Dir. Ich fahre zur Partnachalm und dann schauen wir weiter.“ Da entschied ich mich für eine neue Strategie. „Du fährst jetzt ins Ziel und wartest auf mich. Dann habe ich wenigstens ein Ziel, einen Grund warum ich da hin soll“ entgegnete ich. Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark der Kopf über unseren Körper bestimmt. Ich hatte noch zwei Würgeattacken, doch dann ging es besser. Ich kämpfte mich durch die Partnachklamm, hinauf zur Alm, weiter zur Talstation am Längenfelder und schließlich zur Bergstation der Alpspitzbahn. Das waren noch mal 1.200 Höhenmeter auf 10 Kilometer. Wieder runter wurde es kurz vorm Längenfelder dunkel. Ich setzte meine Stirnlampe auf. Weder Denise noch Lada waren in Sichtweite. Betreuer hatte ich nun auch keinen mehr. Allein ging es nun die 1.200 Höhenmeter auf endlosen Trails steil nach Grainau hinunter. Auf dem einsamen Weg im Dunkeln saß ein großer Frosch, sichtlich erschrocken von meiner Stirnlampe. Als ich versuchte, ihn in die Sicherheit am Wegesrand zu bringen, sprang er auf meinen Fuß, ließ sich dann aber doch helfen. Ein Glücksfrosch dachte ich mir, nun wird alles gut. Nur noch das Ziel vor Augen lief ich durch den Wald, die Straße von Hammersbach hinab und hörte schon von weitem den Lärm aus der Ziel-Area.
„Dritte Frau auf der Ultrastrecke, Basilia Förster ist im Ziel“ hörte ich den Moderator rufen. Es war kurz vor 23 Uhr, also noch Samstag, als ich nach knapp 15:40 Stunden im Ziel einlief. Trotz der späten Uhrzeit waren noch viele Zuschauer und Athleten versammelt und bescherten mir einen großartigen Zieleinlauf. Michael nahm mich in den Arm und flüsterte mir ins Ohr „Das war Dein härtester Fight!“ Ich glaube, er hatte Recht. Nach einer kurzen Nacht durfte ich als dritte Frau am Sonntagmorgen an der grandiosen Siegerehrung teilnehmen. Mein Respekt gilt Lisa Mehl, die heute in einer anderen Liga lief und in ganz besonderer Weise Denise Zimmermann, die eine Woche nach dem Scenic Trail und ihren gesundheitlichen Herausforderungen mehr als verdient Zweite wurde. Mein Fazit nach etwas Erholung: Die Strecke entschädigt alle Strapazen. Aber sie fordert dem Athleten alles ab – physisch wie mental. Die ersten 50 KM bin ich mit den Beinen gelaufen, die zweiten 50 mit dem Kopf.