Lavaredo Ultratrail 2019 – Avevo un sogno

Lavaredo Ultra Trail 2019

Am vergangenen Wochenende liefen einige wirklich hochkarätige Trailrunner durch die wunderschönen Dolomiten, 120 Kilometer. Eine davon war unsere GORE WEAR xc-run.de Team Athletin Basilia Förster! Die gebürtige Italienerin hatte mit dem Lavaredo Ultra Trail nicht nur eine Rechnung offen sondern liebt auch dieses ganz besondere Rennen in ihrer alten Heimat! Italienisches Flair, Traumtrails, geniale Stimmung, leckeres Essen und eine unvergleichliche Bergwelt –  nur ein paar Gründe für sie um die Nacht durch zu laufen! Doch lassen wir Basilia selbst erzählen! 

 

Schatten der Vergangenheit

Ich liege im Gras vor dem historischen Stadio Olimpico del Ghiaccio in Cortina d’Ampezzo. Ich versuche an diesem späten Nachmittag noch etwas zu schlafen. In wenigen Stunden werde ich mit knapp 2.000 Läufern auf der Piazza Dibona stehen. Doch ich finde keine Ruhe. Meine Gedanken kreisen um die Erlebnisse des Vorjahres. Zu schmerzhaft war das DNF so kurz vor dem Ziel. Körperlich, vor allem aber mental. Ich beginne meine Ausrüstung vorzubereiten. Es ist heiß. Selbst zu dieser späten Uhrzeit gibt die Sonne noch einmal alles. Sunblocker statt Long Sleeve. Ich versuche mich zu konzentrieren.  Doch die Erinnerungen lassen mich nicht los. Die Dolomiten erstrahlen im rötlichen Glanz der Abendsonne. Cortina leuchtet. Alles ist bereit für die Festspiele. Doch ich sehe nur durch trüben Schleier. Es ist der Schatten der Vergangenheit. Meiner Vergangenheit. Ich erinnere mich an die Stunden und Tage nach dem Rennen. Am Lago die Landro versprach ich, zurückzukehren. Ich will dieses einmalige Rennen finishen. Locker über die Trails fliegen. Und nach 120 Kilometern freudestrahlend wieder in Cortina ankommen. Mein Traum ist eine Top Ten Platzierung. Viel wichtiger ist mir heute jedoch, das Rennen zu meistern. Leiden gehört auf diesen langen Strecken dazu. Aber ich will die Kontrolle behalten. Das Gefühl der Machtlosigkeit loswerden. Ich will wieder entscheiden können, wann ich aufhöre zu laufen. Und zwar dann, wenn ich die Ziellinie überquert habe.


 

Im Dunkel der Nacht

Eine Stunde vor dem Startschuss reihe ich mich in das Teilnehmerfeld ein. Dies ist der Wettbewerb um eine gute Ausgangsposition. Schon bald drücken über tausend Läufer von hinten. Es wurde immer enger. Mühsam kämpfe ich mich zur Bande. Hier bekomme ich zumindest Luft. Das Stehen ist anstrengend. Macht nichts. Das Racefeeling ist da. Kurz vor dem Rennen bin ich mit meinen Gedanken bei mir. Ich konzentriere mich und blende alles um mich herum aus. Heute ist das anders. Ich genieße die Ablenkung durch die vielen Läufer, die Musik, die Moderation. Um 23 Uhr fällt endlich der Startschuss. Ganz Cortina ist auf den Beinen und säumt den Corso Italia. Endlich laufen. Bald lassen wir die letzten Häuser hinter uns. Nun ist es dunkel. Ein Lichtermeer aus Stirnlampen bahnt sich schlangenförmig den Weg zum ersten Anstieg hinauf. Ich fühle mich gut. Es ist immer noch warm. Das Laufen macht Spaß. Nach knapp 4 Stunden komme ich zur Verpflegung nach Federavecchia. Mein Mann Michael erwartet mich. Tee, Gel, zwei neue Flaschen Mineralgetränke, aufmunternde Worte. Platzierung in den Top Ten. Ich freue mich auf den Lago Misurina. Es ist stockdunkel. Michael ruft mir zu: Platz 7. Jetzt geht es hinauf zu den drei Zinnen. Im Dunkeln wirken sie nicht ganz so spektakulär wie letztes Jahr. Für den Sonnenaufgang bin ich etwas zu früh. Auch gut. Ein nicht enden wollender Downhill führt hinunter ins Val di Landro. Kurz denke ich an die Knöchelschmerzen des letzten Jahres. Nichts ist zu spüren. Nur brennende Muskeln. Ich bin so glücklich.

 

Unter der italienischen Sonne

Am Cima Banche treffe ich wieder Michael. Zum Frühstück serviert er mir Cola. Platz 6 ruft er mir beim Rauslaufen noch zu. Ich kann es gar nicht glauben. Es ist kurz nach 7 und schon ziemlich warm. Ich muss daran denken, wie ich hier Michael im tiefsten Winter beim Skilanglauf-Rennen betreut habe. Was für ein Kontrast zu diesem heißen Sommertag. Bald erreiche ich das Val Travenanzes. Mächtige Felswände säumen meinen Weg. Ich bin überwältigt von der Schönheit dieser Bergwelt. Ein langer Anstieg hinauf zur Forcella Col dei Bos beginnt. Die Erinnerung an die ersten Anzeichen der schmerzhaften Schleimbeutelentzündung meiner Hüfte im Vorjahr wird wach. Ich vertreibe die störenden Gedanken. Die Bergkulisse ist atemberaubend. Ein mehrere Meter breiter Bach trennt den sich inmitten des Tals nach oben windenden Pfad. Ich springe in das eiskalte Wasser und wate hindurch. Neues Leben erwacht in meinem zusehends erschöpften Körper. Zu kurz. Die Hitze zehrt an mir. Mir ist schlecht. Immer wieder überkommen mich Schwindelanfälle. Meine Stöcke bewahren mich nun mehrmals davor zu stürzen. Im Abstand von drei Stunden nehme ich Salztabletten. Zumindest habe ich keine Krämpfe. Michael kommt mir entgegengelaufen. Ich freue mich so sehr, ihn zu sehen. Er feuert mich an und läuft zurück zur nächsten Verpflegungsstation am Rifugio Col Gallina. Begleiten darf er mich nicht. Es werden harte 80 Minuten bis zur Passstraße. Mir ist schummrig. Cola, Gel, Mineraldrink, Salztablette. Ich muss mich zwingen, etwas zu essen. Selbst trinken fällt mir schwer. Damit bin ich nicht allein. Viele leiden in dieser Hitzeschlacht. Die DNF Quote von 28% sollte dies später bestätigen. Über 500 Läufer schafften es nicht ins Ziel.  Ich versuche gleich weiterzulaufen. Es bleibt beim Gehen. Eher torkeln. Für die nächsten Kilometer brauche ich eine Ewigkeit. Immer wieder muss ich kurz anhalten und mich sammeln. Schließlich setze ich mich ins Gras und rufe Michael an. Er ist schon auf dem Weg zum Passo Giao. „Was soll ich machen?“ frage ich ihn. „Bleib in Bewegung. Beginne langsam und finde zurück ins Rennen.“ Eine Läuferin überholt mich. Platz 7. Irgendwie schaffe ich es bis zum nächsten Pass. Michael informiert mich über die Zwischenstände. Zwei Britinnen holen auf. Als ich mich umdrehe, ist meine Verfolgerin schon in Sichtweite. Ich kämpfe. Zwei Anstiege muss ich noch überwinden. Es ist mit das Härteste, was ich jemals getan habe.

 

Avevo un sogno

Nun geht es steil bergab. Ich bin überrascht. Vor diesem Abstieg hatte ich so viel Respekt. Angst davor, erschöpft zu stürzen. Doch ich finde zurück ins Rennen. In mein Rennen! Bald wird es schattiger. Ich fühle mich immer besser. Noch 5 Kilometer. Ein Forstweg führt leicht abfallend nach Cortina hinein. Ich steigere nochmal die Geschwindigkeit. Der Zielkorridor ist einige hundert Meter lang. Das Trommeln der Zuschauer auf der Bande wird immer lauter. Ich blicke mich um. Niemand ist hinter mir. Ich kann den Zieleinlauf genießen. Zuschauer klatschen mich ab. Es ist geschafft. Nach 17 Stunden und 10 Minuten laufe ich auf den 7. Platz in der Damenwertung. Und auch nur 59 Männer waren vor mir im Ziel. Ich kann es kaum glauben. Das Trauma ist besiegt. Als ich mich letztes Jahr kurz vor meinem DNF am Rifugio Croda del Lago ins Gras legte und die Augen schloss, sagte ich zu mir, wenn ich sie wieder aufmache, ist vielleicht wieder alles gut. Es hat etwas länger gedauert und ich musste sehr oft die Augen zu- und aufmachen, aber mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Avevo un sogno – ich hatte einen Traum! Nun ist wieder alles

 

Hier findet ihr unsere Bildergalerie vom Lavaredo Ultra Trail mit Bildern von Basilia und Sabine, die den Cortina Trail lief.