Wo ist eigentlich Oybin? Bei Zittau. Und wo ist Zittau? Hand aufs Herz: Wer aus Süd- oder Westdeutschland kann das ohne zu zögern richtig beantworten? Unter Trailrunnern sollte das aber spätestens ab 2023 eine Selbstverständlichkeit sein, denn dort findet jedes Jahr im Herbst der O-SEE Ultra Trail statt – zum mittlerweile 5. Mal.
„Klingt für mich irgendwie nach Norden und Meer – nicht nach Bergen,“ kommentierte ein Lauffreund. Bis er die Bilder vom O-SEE Ultra Trail sah. „Wow.“ Ganz genau. „Wow.“ Was das Orga-Team zum 5. Geburtstag auf die Beine gestellt hat, kann sich mit jedem Mittelgebirgsrennen in Deutschland messen. Die Distanzen reichen von 500 Metern für Kids bis zu 65 Kilometern mit rund 2,700 Höhenmetern für die erfahrenen Trailrunner*innen.
Blutroter Fernblick
Auf der langen Kante starten wir um 6:30. Es ist stockdunkel im sagenumwobenen Wald des Naturpark Oybin. Nach 20 Minuten deutet sich am Horizont ein blutroter Sonnenaufgang an, der rund 15 Minuten und eine 360-Grad-Kehre später zum wildromantischen Sekundenpanorama wird. Der Blick durch die Bäume zeigt eine Bergkuppenkulisse vom Feinsten, hinter der das Rot flammt, als müsste es das komplett verregnete Event 2022 alleine wett machen. Leider geht es gleich wieder zurück in den dunklen Wald.
Das dieses Jahr noch stärker besetzte Führungsfeld hat sich schon früh nach dem Start abgesetzt – inklusive der ersten Frau, die von Anfang an unerreichbar ist für ihre Verfolgerinnen. Nach einem wohl etwas zu schnellen Start finde meinen Spot am Ende des vorderen Viertels und laufe die meiste Zeit allein. Felsen rauf, Abhänge runter, Feldwege und Forstwege entlang zum nächsten Auf- oder Abstieg. Einen Rhythmus findet man hier kaum. Dafür immer wieder Felsformationen, einen ehemaligen Steinbruch, mystisch klingende Ziele auf Wandertafeln und eine liebevolle Streckenführung, die sehr erfolgreich Asphalt vermeidet und fast jeden Weg das Naturparks nutzt, um auf die 65 Kilometer zu kommen.
Beim ausgedehnten Uphill Segment zeigt das Zittauer Gebirge nochmal seine harte Seite. Es ist einer der längsten Aufstiege des Rennens – der natürlich anschließend nicht lange oben bleibt, sondern sich über Stock und Stein wieder nach unten schlägt. Kurz breche ich in den hinteren Teil der Führungsgruppe ein. Bergauf geht heute deutlich besser als das Bergablaufen auf immer wieder technischem Terrain.
Ein paar blutige Knie oder Waden – alles ok
An viele Stellen erinnere ich mich vom letzten Jahr – vor allem, als dann doch noch der Regen kommt. Was letztes Jahr eine feine Plitschplatschparty war, war heute lange trocken und recht trittfest. Bis der Regen den Boden vermatscht und so manchen schliddernden Läufer mit Ratschen und Striemen zeichnet. „Alles ok?“ fragt mich ein im Regen stehender VP-Betreuer und meint damit das Renngeschehen insgesamt. Ich habe nur einen Läufer gesehen, der nach einem unglücklichen Umknicken Richtung Rennabbruch humpelte. Er berichtet von ein paar blutigen Knien oder Waden. Alles ok.
Kurz vor dem Offenbarungseid an Kilometer 48 hole ich einen Läufer ein, der vorher noch mit arg viel Verve an mir vorbeigeeilt ist. Netter Kerl, aber komplett aus. „Ich kann nicht mehr laufen. Ich kürze gleich auf 50km. Mal sehen, was da noch geht.“ So wie er nutzen wieder einige die Option, spontan von der langen Strecke auf die 50er zu wechseln. Bald laufe ich wieder mit Andrej, den ich vorher schon 2x abgehängt habe, am Entscheidungspunkt Richtung 65er-Runde. Wir überlegen, wann die weiterhin führende Juliane wohl ins Ziel kommen wird. Wir sind zu 3. im Auto aus Berlin angereist zum Klassentreffen in Oybin.
In einem der Downhills lasse ich ihn laufen, konzentriere mich auf die immer müder werdenden Schritte und wäre beinahe unter einer unerhört malerischen Tanne einfach stehen geblieben. Schräg scheint die frische Sonne nach dem Regen in den Baum, vom Boden aus dampft es, es ist weit und breit niemand zu sehen oder zu hören. Allein im sonnendampfenden Wald. Sehr verlockend…
Berliner Klassentreffen
Kurz vor Ende stoßen wir aus einem unwirtlichen Trampelpfad auf den großen Gravel-Weg, an dem gerade Sandra aus Berlin vorbeiläuft, die als 6. Frau auf der 50er-Strecke ins Ziel kommen wird. Klassentreffen halt. Nachdem ich im Ziel eine wunderbare 1/4h auf einer Bank sitze, kommt plötzlich ein Berliner Läufer ins Ziel, der längst hätte hier sein müssen. Wann habe ich den denn überholt? „Hab mich an einer Kreuzung verlaufen. Plötzlich stand ich im Wald und niemand kam nach,“ erzählt er, halb lachend, halb verknautscht, während nach und nach mehr bekannte Gesichter ankommen.
Trotzdem bleiben am Ende des Klassentreffens vor allem glückliche Gesichter. Mittelgebirge kann halt ganz schön schön sein. Vor allem, wenn es so herzlich und gut organisiert ist. Das Briefing hätte man zwar locker auf eine Email kürzen und die Verpflegung etwas salziger und dafür weniger süß gestalten können – aber wenn das die Kritikpunkte sind, dann hat hier so ziemlich alles bestens gepasst. Außer meinem GPS-Tracker. Der hat mich offiziell rund 2h im Graben liegend gemeldet, was zuhause nicht ganz so gut ankam. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und wer es noch immer nicht weiß, schaut jetzt mal ganz schnell nach, wo Oybin ist. Ist direkt neben Zittau…