STRAVA: Seid’s ihr narrisch?

Wettkampfalternativen: STRAVA © xc-run.de

Alternativwettkämpfe für Trailrunner boomen und damit natürlich auch die virtuelle Trainings- und Wettkampfplattform STRAVA. Konrad Kufner hat mit großer Leidenschaft die Vorteile dieser Plattform erläutert. Nach all der Lobhudelei wird es Zeit für ein paar Kontraargumente – einer muss es ja tun:

STRAVA Könige von heute – Wettkampfversager von morgen

Im Buch „Uphill Athlete – Training für Skibergsteiger und Bergläufer“ schreibt der König des Trailrunning, der Meister aller Klassen, Kilian Jornet, persönlich: „Training ist kein Wettkampf“! Er möchte damit ausdrücken, dass es trainingstechnisch keinen Sinn macht, sich jede Einheit abzuschießen und an oder gar über seine Grenzen zu gehen. Wichtig ist Kontinuität und strukturiertes Training, um einen nachhaltigen Formaufbau zu erreichen. Wer mehrmals die Woche einem Segment nachjagt, also Woche für Woche mehrere virtuelle Wettkämpfe absolviert schießt über das Ziel hinaus und wird niemals die Wettkampfform erreichen, die mit „intelligentem Training“ machbar wäre. Sehr überspitzt und äußerst provokativ könnte man also sagen „die Strava Könige von heute sind die Wettkampfverlierer von morgen“.

Trotz dieses Wissens hat der STRAVA-Suchtfaktor auch bei mir zugeschlagen. Wie aus Liebe, Hass wurde und warum ich dennoch nicht davon loskomme erzählen folgende Anekdoten:

Der König ist tot – lang lebe der König!

Schweißgebadet wache ich nachts auf. Ich habe schlecht geträumt. Jemand hat mir meine Krone gestohlen. Der König ist tot – lang lebe der König! Doch es ist kein Traum, schon vibriert das Handy mit der Hinrichtungsmitteilung: „DETHRONED! Uh oh! Thomas just stole your CR!“ Mein Puls steigt gegen 180, meine Laune sinkt in den Keller. Gestern bin ich am „Holy Trail“ von Wolfgang regelrecht virtuell überrannt worden, heute verliere ich mein Lieblingssegment – die Kaitersberg Traverse – an Thomas. Was früher ein netter Trainingskick war und eher unbewusst passierte – man lief eine Trainingsrunde, tangierte zufällig ein Segment und bekam im Anschluss eine Krone zugesprochen – wird nun zum Prestigeobjekt und zum Stressfaktor. Ego und der Wettkämpfer in mir fordern zurückzuschlagen. Druck pur – und das in der wettkampffreien Korona-Zeit.

König dank Stravas Gnaden!

Heute möchte ich es wissen! Konrad hat mir (wieder mal) ein Segment auf meinen Hometrails am Haidstein gestohlen und heute hole ich es mir zurück! Geplant waren 3×10 Minuten Bergintervalle und beim ersten Intervall möchte ich besagtes Segment angehen. Wettkampfatmosphäre pur im Trainingsalltag: Einlaufen, Pinkelpause, hochjagen! 10:25! Yeah! Nimm das KOMrad! CR um 20 Sekunden unterboten. Natürlich bin ich im Anschluss zu „blau“ um die restlichen beiden Intervalle vernünftig durchzuziehen, freue mich aber trotzdem über meine Leistung. Die Ernüchterung am PC. Meine Zeit laut STRAVA: 11:04. Entweder wurde hier die „prästravale“ Pinkelpause vor oder der Laktathusten nach dem Segment mit aufgezeichnet. Training versemmelt, Segment versemmelt – nie wieder Strava!

Der gläserne König

„Schatz ich muss heute unbedingt noch laufen. Ich war gestern schon nicht!“ „Doch warst du! Gleich nach der Schule. Laut STRAVA 64min, 13 Kilometer und 430 Höhenmeter am Hohen Bogen.“ Eine gesunde Ehe hält das aus und (kurz) Laufen durfte ich natürlich trotzdem. Aber das Beispiel zeigt, wie gläsern wir uns durch virtuelle Plattformen machen. Ob und wieviel wir Kollegen, Community, Arbeitgeber, Gesetzgeber, Konsumindustrie, Konkurrenten und wem sonst noch alles von unseren Daten preisgeben möchten muss jeder selbst entscheiden. Die Tatsache, dass auf einem Server sämtliche Laufaufzeichnungen (Strecke, Dauer, Kilometer, Puls, etc.) der letzten sieben Jahre von mir rumliegen stimmt mich zumindest nachdenklich. Die zweite Tatsache, dass „Datenschutz“ auch nur ein (sehr dehnbarer) Begriff ist, wissen wir nicht erst seit Pandemiezeiten.

Von Majestätsbeleidigungen und Süchten

Zwei Wochen habe ich mich nun von Segmenten ferngehalten und was sehen meine müden Augen: Es gibt drei Kronen am Lamberg in Chammünster zu ergattern. Hier bin ich als 6-jähriger mit dem BMX hochgeschoben und runtergerast, hier habe ich unzählige Runden auf dem MTB und in Laufschuhen gedreht und hier habe ich jahrelang meine letzte harte Einheit (Fahrtspiel 4 x 4) vor wichtigen Wettkämpfen absolviert. Christian und Konrad halten die Bestzeiten. Auch wenn ich nicht mehr oft hier bin, aber das ist seit 30 Jahren MEIN Spielplatz! Einmal noch Segmente jagen, dann ist aber Schluss. Lang lebe der König!

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