Die Ostseeinsel Bornholm zwischen Dänemark und Schweden ist ein Urlaubsparadies – und die Heimat des wahrscheinlich härtesten Trailrun des Landes – dem Hammer Trail Bornholm. Die Königsdistanz sind 82 malerische und durchaus technische Kilometer mit über 3.000 Höhenmetern. Wir waren beim 15. Geburtstag dabei.
Der Sturm hat sich gelegt, die Straßen sind fast trocken und es ist still, als ich um 3:45 mein Leihfahrrad auf die menschenleere Strandvejen in Allinge lenke. Rechts von mir zuerst die Ostsee, dann der Hammersø – der See an der Burgruine Hammershus. Ein seltsames Gefühl, mitten in der Nacht in Dänemark mit dem Fahhrad zu einem Trailrun der Extraklasse zu fahren. Auf mich warten drei Laufrunden plus Prolog. Es ist die längste der fünf Distanzen, die beim Hammer Trail Bornholm gelaufen werden können. Ein Lauf, der seinem Namen und seinem Ruf gerecht wird: kein Chichi, kein Bullshit, dafür Herzenswärme und Fokus auf schöne Strecken.
Um 4:35 wird nach einem 5-minütigen Race Briefing kurz runtergezählt und die wenigen Frühaufsteher*innen starten ihre Extrarunde um den See. Danach geht es auf den regulären Kurs und die ersten Granaten setzen sich vorne ab. Mein Fokus liegt heute auf intelligentem Pacing, so dass ich in Runde drei noch etwas rausfeuern kann.
Immer am Meer entlang
Wir laufen einen schmalen Pfad am Meer entlang, kreuzen Heideflächen, sehen die Burgruine in der Morrgendämmerung. Bevor wir sie erklimmen, geht es aber einen brutal steilen Geröllabhang runter zum Meer, um dort auf einer handbreiten Kante langzubalancieren und anschließen fast senkrecht wieder anzusteigen Zur Belohnung gibt es einen Sonnenaufgang und einen Lauf durch die Burgruine. Nach einem einfachen Pfad durch Bärlauchfelder wartet die nächste Überraschung: Es gehtwieder fast senkrecht die Steilküste runter. Matschig, alle paar Meter ein Baum zum Festhalten. Die ersten Läufer*innen landen auf dem Hosenboden. Spreu und Weizen beginnen sich zu trennen, bevor wir unten über ein verblocktes Feld von Brandungsfelsen und ein Kiesfeld laufen.
Nach dem nächsten wunderhübschen Singletrail voller Auf und Ab kommt Jons Kapel. Ein lokaler Kultort, an dem es über 170 Stufen runter zur Meersbrandung geht – um dort eine Glocke zu läuten und wieder hochzusteigen. Was in Runde eins anstrengend ist, wird in Runde 2 mühsam und in Runde drei zum Muskelschrotter. Entschädigt wird man mit dem Rückweg zur Hammershus Ruine durch traumhafte Blütenhaine, weitere Singletrails und vorbei am schon auf dem Hinweg passierten Pissebækken-Wasserfall. Und ja: der Wasserfall heißt wirklich so.
Durchs Applaus-Spalier
Zurück im Start-Ziel-Bereich erwartet mich Gänsehaut vom Feinsten: Ich laufe von hinten Richtung Zielbogen, wo schon alle für den Start der 52-Kilometer-Strecke bereit stehen. Race Briefing ist vorbei, Countdown steht an. Sie machen ein Spalier auf, die erste Person beginnt zu klatschen und Sekunden später laufe ich durch einen applaudierenden Korridor. Wow.
Total geflasht geht es in den zweiten Teil der erste Runde. Rauf in die Steinbruchgegend am Hammersø. Es geht nie weit hoch, aber hier wird geklettert, Höhenmeter um Höhenmeter gesammelt, und plötzlich doch wieder durch Sand ans Meer gelaufen. Zum Glück ist die Strecke bestens markiert, denn seit der VP ist meine Garmin-Uhr eingefroren. Es geht nichts mehr. Danke für nichts – das kann ich echt nicht brauchen. Während des Laufens funktioniert irgendwann ein Reset und ich kann de Navigation wieder nutzen. Die anschließende Auswertung ist halt im Eimer – aber was viel schlimmer ist: ich habe keine Rennzeit mehr. Denn geplant ist, unter 12:30h zu bleiben. Denn dann gibt es eine Gürtelschnalle. Ob man die braucht, ist eine Frage, die sich nicht stellt. Immerhin funktioniert die Uhrzeit.
Die zweite Runde laufe ich fast überall alleine. Überraschend, bei fünf Distanzen von denen sogar zwei gewandert werden. Ich spule sie ab, halte meine Energie zusammen, setze mentale Marker für Runde drei und komme überraschend gut durch. Mittlerweile sind über 50 Kilometer und 2.000 Höhenmeter im Kasten.
Der Lohn der Mühen
Runde drei wird nun voll auf der Strecke. Ich bin erst einen Kilometer auf der Tour, da starten die 17-Kilometer–Leute. Noch vor der Ruine erreichen mich die Ersten und gazellen souverän den Steilabhang vor der Ruine hinunter. Meinen müden Muskeln möchte ich das nicht zumuten – die Felsen sind feinstes Knöchelbruchmaterial. Beim sofort folgenden Hochklettern versuchen ein paar besonders Motivierte, vorbeizuklettern. Die Waghalsigsten rutschen gleich mehrere Meter zurück, die anderen bleiben einfach gleichauf. Hier ist einfach keine Sekunde zu holen.
Richtig lustig wird es beim rutschigen Downhill ein paar Kilometer weiter. War bei den erfahreneren Trailrunnern noch die Reaktion „Wow, Challange accepted“ stehen viele der 17km-Läufer*innen anscheinend zum ersten Mal von so einem Downhill. Die Reaktionen reichen von Erstarren über Aufdemhinternrutschen zu Aufallenvierenaufdembauchrutschen. Ein schönes Bild, bevor ich unten zum dritten Mal über die großen Brandungsfelsen hoppsen darf, durch Kieselsand laufe, zu Jons Kapel absteige, zum letzten Mal die Glocke glocke und den netten Verpflegungsmenschen grüße.
Wie geplant steht die finale Runde unter dem Motto „no holding back“. Nach dem Downhill-Gerutsche laufe ich tief in die 17km-Gruppe – die dieses Jahr auch Teil der Golden Trail Series ist. Ungewollt pace ich gleich mehrmals Grüppchen dieser Distanz, die anscheinend nicht mit dem technischen Anspruch und dem ständigen Hoch und Runter gerechnet haben. Das merkt man leider auch an der Lauftechnik. Vor mir stürzt jemand, hinter mir fällt jemand, dann liegt eine Läuferin am Boden und hält sich schluchzend den Fuß. Das bleiben aber zum Glück Ausnahmen auf diesem wunderbaren Lauf, der die wilde Insel von ihrer schönsten Seite präsentiert.
Irgendwann kommt endlich auch die letzte Schleife zum Ziel. Zum Glück, denn nach einem langen Tag voll Sonne, Wind und leichten Wölkchen treibt mittlerweile ein steifer Wind Nebel vom Meer herein. Mit einem Puffer von 93 Minuten gibt es nicht nur die Finisher-Medaille, sondern auch die erhoffte Gürtelschnalle, dazu Platz 3 der Altersklasse und Platz 12 overall.
Im Ziel ist Volksfest-Feeling. Am Bierstand steht eine lange Schlange, aber Grillstand ist sie länger. Noch stundenlang laufen, gehen, taumeln Menschen durch den Zielbogen, schaffen direkt oder immerhin bald ein seligen Lächeln und stellen sich für Bier und BBQ an. Ich steige irgendwann auf mein Leihrad auf fahre über ein paar der unzähligen Hügel dieser traumschönen Insel zurück – immer wieder vorbei an Stellen, die ich eben noch gelaufen bin. Drei Mal sogar.
In der Nacht prasselt Regen auf die Insel. Den ganzen nächsten Tag wird die Insel geflutet. Nein, bei solchem Regen hätte ich die der Runden nicht machen wollen. Zu lang, zu repetitiv, zu kalt – und zu gefährlich mit all den Felsen. So aber: ein Traum. Ein Traum mit absoluter Machesauch-Empfehlung. Und wenn man schonmal hier ist, sollte man auch gleich noch etwas bleiben. Es lohnt sich.
Impressionen vom Hammer Trail Bornholm 2024: