Julian Alps Trail Run: Wilde Reise durch die Nacht

Julian Alps Trail by UTMB: Markus Mingo 2. Platz 100k © Luka Fabčič

Auf eine wilde Reise durch die Nacht begab sich Markus Mingo beim Julian Alps Trail in Slowenien. Über eine Distanz von 100 Kilometern und 5300 Höhenmetern wollte sich der Bad Kötztinger für den UTMB 2024 qualifizieren und erlebte dabei die Höhen und Tiefen eines anspruchsvollen Ultratrails.

„Slowenien, ein kleines grünes Land, zeichnet sich durch zahlreiche Naturschätze aus. Im südwestlichen Teil hat es Zugang zum Adriatischen Meer, im Süden findet man geheimnisvolle Wälder mit Resten von Urwäldern, und im nördlichen und nordwestlichen Teil wird es von den Alpen bedeckt, die sich bis auf fast 3000 m erheben. Dieses Naturjuwel, das auch durch den Triglav-Nationalpark geschützt ist, dürfen Läuferinnen und Läufer auf den herrlichen Strecken des Julian Alps Trail Run by UTMB umrunden,“

wirbt der Veranstalter für den JUT auf seinen Seiten, doch was haben sie zu verstecken, dass sie mich durch dieses „Naturjuwel“ in der stockfinsteren Nacht laufen lassen?

Wie? Nachtlauf?

Bei der Anmeldung war ich etwas blauäugig: Ich wählte den Julian Alps Trail by UTMB weil ich mich mit dem Rennen für den UTMB 2024 qualifizieren konnte. Mit einer Top 3 Platzierung wäre ich beim UTMB 2024 fix dabei, mit einem erfolgreichen Finish hätte ich immerhin die Chance über die Lotterie einen der begehrten Startplätze zu ergattern (siehe Qualifikationskriterien). Zudem lag der Lauf in den Ferien, war mit verhältnismäßig wenig Aufwand zu erreichen und lag einen Tag vor dem Geburtstag meines Sohnes zu dem ich zurück sein musste. Im Rahmen der Rennvorbereitung dann die große Erkenntnis: Der Start erfolgte nicht wie erwartet früh morgens, sondern erst um 21 Uhr abends. Nachtlauf! Wenn ich etwas für mich verbuchen kann, ist es wohl die Fähigkeit der Resilienz: Ich versuche aus jeder Lage das Beste zu machen und möglichst optimistisch zu bleiben. Der Nachtlauf ist eine neue Erfahrung und wenn ich mich spute, bin ich zum Geburtstagsfrühstück zurück im Hotel – so der familienfreundliche Plan. Auch das Training war eine abwechslungsreiche Bereicherung. Es hat durchaus seinen Reiz spätabends loszulaufen und in völliger Stille und Einsamkeit bei sternklarer Nacht am Gipfel eines Berges zu stehen. Mein Highlight und zugleich auch die Schlüsseleinheit des Trainingsblocks: Zusammen mit Wolfgang lief ich an einem Samstagabend die U.TLW Runde. Start 20 Uhr in Lam, um 2 Uhr waren wir zurück am Ausgangspunkt. Wenn uns vor 20 Jahren jemand erzählt hätte, wie wir mit Anfang 40 unsere Wochenendnächte verbringen, hätten wir vermutlich mit dem Cuba Libre in der Hand nur müde gelächelt. In meiner Wunschvorstellung wären wir auch zusammen durch die slowenische Nacht gelaufen – leider musste Wolfgang kurz vor dem Rennen verletzungsbedingt passen. Dafür „opferte“ sich die komplette Familie Hochholzer als Support und schlug sich mit mir die Nacht um die Ohren. Ein frisches Oberteil, neue Schuhe, Verpflegung oder eine weitere Stirnlampe können bei einem Ultra entscheidend sein.

Start zum 100k Ultra Sky Trail beim Julian Alps Trail by UTMB © Julian Alps Trail

Ein Marathon als Anlauf

Der Start in Radovljica erwies sich als famos und war einer UTMB Veranstaltung würdig. Musik, Folklore und beste Stimmung in dieser wunderschönen Altstadt machten die Nacht zum Tag und schickten knapp 500 Trailrunnerinnen und Trailrunner auf die 100k Strecke. Die ersten 42 Kilometer mit „nur“ 1500 Höhenmetern erwiesen sich als erwartet schnell mit einem dichten Elitefeld. Nach 3:45h passierte ich die Verpflegungsstation bevor es in den knapp 2000 Höhenmeter umfassenden Anstieg zum höchsten Punkt des Rennens (Stol auf 2157m) ging.

Nie wieder Ultra!?

Das Schöne an Rennen über die Marathondistanz: Wenn es beginnt weh zu tun ist es meist auch schon fast vorbei. Anders bei Ultraläufen: Fühlte ich mich bis Kilometer 42 stark und empfand das Rennen als sehr kontrolliert, erwischte mich der Berg auf dem falschen Fuß. Eigentlich wollte ich auf dieser Passage angreifen, doch der Körper spielte nicht mit: Magenkrämpfe, Schwindel, Kopfschmerzen und Energielosigkeit machten mir zu schaffen. Der Anstieg teilweise so steil, dass ich zwei Anläufe brauchte, um auf den nächsten Felsen zu steigen, raubte mir jede Kraft. Gefühlt kamen die vielen Gels, Getränke und Energieriegel, die ich bis hierhin verdrückt hatte, nicht im Körper an. Meine Erklärung im Nachhinein: Ich hatte zwar das Laufen bei Nacht trainiert, nicht aber das Essen. Ich fluchte, haderte und kämpfte („Nie wieder Ultralauf“). Einzig die Verpflichtung des Geburtstagsfrühstücks motivierte mich nicht zu sehr zu trödeln.

What`s the story? Morning Glory!

Julian Alps Trail by UTMB 2023 © Martin Fettich

Am Gipfel plötzlich eine komplett neue Situation. Dem Magen hatten die zwei Stunden Aufstieg gutgetan und mit neuem Elan und voller Energie ging es ins alpine Gelände. Es ist inzwischen 3 Uhr nachts und die nächsten 25 Kilometer empfinde ich als extrem schwer zu laufen. Steil, verblockt, ellenbogenbreite Pfade, knöcheltiefer Matsch und die Tücken des Nachtlaufs. Kuhfladen und Wasserpfützen sehen identisch aus und ich habe in der Dunkelheit Probleme auf den vielen Almpfaden den „Hauptweg“ zu finden. Einige 100 Meter sind immer wieder traumhaft zu laufen – beleuchtet vom Sternenlicht „surfe“ ich auf über 2000 Meter durch die Stille der slowenischen Nacht. Meiner Frau hatte ich im Vorfeld versprochen nichts zu riskieren und so werde ich auf den technischen Passagen immer wieder bis auf Rang 7 durchgereicht, kann in den kräftezehrenden Gegenanstiegen aber Boden gut machen. Für den Streckenabschnitt brauche ich deutlich länger als geplant, was auch eine positive Komponente hat. Ich erlebe die aufsteigende Morgenröte über den Julischen Alpen auf diesem Gebirgspfad – unbezahlbar!

Keep on rolling!

Ab Kilometer 75 hat der alpine Teil ein Ende und es folgen einfachere Abschnitte. Die Beine sind gut und ich fühle mich verhältnismäßig frisch. Attacke! Schnell kann ich mich von meinen Mitstreitern absetzen und laufe, bejubelt von Max und Wolfgang, auf Rang 4 in die Verpflegungsstation bei Kilometer 80 ein. Hier habe ich zum ersten Mal seit Stunden Sichtkontakt zum Zweit- und Drittplatzierten und weiß, das der ersehnte Podestplatz im Bereich des Möglichen liegt. Auf den letzten Kilometern fährt der Veranstalter noch einmal alles auf: Ich laufe über „Jungle-Pfade“, durch ein Flussbett und sogar ein Stück auf den Resten einer Burgmauer, bevor ein acht Kilometer langes Asphaltstück folgt. Bei Kilometer 85 überhole ich zügig die beiden vor mir Platzierten. Sie klatschen mich kurz ab und lassen mich kampflos ziehen. Die letzte VP bei Kilometer 92, der letzte Anstieg und ab in Richtung Ziel. Was jetzt folgt ist schon fast kitschige Familienidylle: Meine beiden Jungs erwarten mich sehnsüchtig und wir laufen gut gelaunt gemeinsam ins Ziel. Unbeschreiblich schön!

Ich bin stolz auf diesen zweiten Platz bei einem international renommierten Rennen und freue mich über die direkte UTMB Qualifikation – ob ich davon Gebrauch machen werde weiß ich allerdings noch nicht. Für 2023 ist es erst einmal gut. Eine gelungene Saison mit zahlreichen Podestplätzen, keinen Verletzungen und jeder Menge Motivation für nächstes Jahr. Ich verabschiede mich in die Wettkampfpause.