O-SEE Ultra Trail 2022: Kopfkino zwischen Felsen, Rittern und Fabelwesen

O-SEE Ultra Trail 2022: Auch bei schlechtem Wetter feinster Laufspaß
O-SEE Ultra Trail 2022: Auch bei schlechtem Wetter feinster Laufspaß © MTeichgraeber

Verwunschen liegen sie vor uns, die Kronjuwelen des Zittauer Gebirges. Denn statt Indian Summer zu erleben, machen Nebel und Regen den 4. O-SEE Ultra Trail zu einer Reise durch fantastische Welten. Ritterschlucht, Kelchsteine, Mönchskanzel, Schwarzes Loch, Scharfenstein und Muschelsaal liegen an der Strecke – man muss aufpassen, nicht zu sehr ins Träumen zu kommen, denn der technische Track hat es in sich.

„Die ganze Zeit hatten wir gutes Wetter. Und jetzt das.“ Den fröstelnden Helfern geht es nicht anders, als uns Laufenden. Minimaler Nieselregen war angekündigt. Für maximal 2h. Stattdessen regnet es sich nach dem Start richtig schön ein. Der leichte Dauerregen macht die Strecke tückisch. Wald und Sandsteingebirge bedeuten wurzeldurchzogene Pfade mit vielen, vielen Steinen und Brocken. Die liebevolle Streckenführung vermeidet Forstwege und führt die 65k-Strecke vor allem auf kleinen Pfaden die Anstiegen hoch und runter. Da freut sich das Trailherz. Was das aber für die Beine bedeutet, realisieren manche erst nach und nach.

Stürzender Schatten

O-SEE Ultra Trail 2022: Auch bei schlechtem Wetter feinster Laufspaß
O-SEE Ultra Trail 2022: Auch bei schlechtem Wetter feinster Laufspaß © MTeichgraeber

Nach gut 15 Kilometern laufe ich fast alleine – nur mein Schatten ist bei mir. Ein Läufer, den ich aus einer anderen Gruppe anscheinend annektiert habe. Er stöhnt und keucht, stürzt mehrmals, zum Glück ohne sich etwas zu tun, lässt sich aber nicht abschütteln. Nach 20 Kilometern zieht er dann plötzlich vorbei und weg, als ich kurz Nahrung nachschiebe. Ich laufe wieder allein durch die Dauernässe. Der Boden wird immer feuchter, die Pfade schlammiger. Aber irgendwie passt das auch. Das Zitttauer Gebirge zwischen Deutschland und Tschechien ist unglaublich atmosphärisch. Die klamme, unwirkliche Atmosphäre inszeniert hinter jeden zweiten Felsbrocken Sagengestalten und unheimliche Geschichten.

Jähe aber höchst willkommene Unterbrechungen sind die vielen Verpflegungsstellen und Streckenposten. Alle sind so herzlich, als hätten sie auf niemanden mehr gewartet, als auf genau die Person, die gerade ankommt. Gleichzeitig sind die VPs so arrangiert, dass sich Nahrungs- und Getränkeangebot abwechseln. Es ist also absolut ausreichend, aber nie zu viel.

Da der lange Track so ziemlich jedes Highlight der Gegend mitnimmt, laufen wir kreuz und quer. Der Blick auf die Uhr ist fast schon witzig, weil man ständig schon gelaufene Stellen tangiert. Die beste aller VPs läuft man 2x an. Ein Feuer knistert im Regen, dazu Musik, Essen und Trinken. „Wie soll man denn da noch weiterlaufen? Ich bleibe einfach hier!“ Recht hat der Läufer, der ankommt als ich gerade aufbreche.

 

Die harte Zusatzrunde

Nach rund 48 Kilometern wird es mental nochmal hart. Wir haben schon weit über 2.000 Höhenmetern in den Beinen, als die teuflische Abzweigung kommt. Links runter ist das Ziel. Alle 65er können hier einfach abbiegen und werden ganz offiziell in die 50er-Wertung aufgenommen. Oder man läuft rechts die Extrarunde, die es dann auf 65 Kilometer und knapp 2.800 Höhenmeter bringt. Ich biege rechts ab, es geht mal wieder den Berg hoch. Den Zielsprecher höre ich noch mindestens die nächste 1/4h, während ich einen dieser Entsafteranstiege hoch laufe – zu flach zum Gehen, zu steil zum lockeren Laufen. Bald wird es noch härter. Ich laufe auf den unverschämt schönen Felssockel bei Oybin zu, auf dem die Reste von Burg und Kloster stehen. Keine 200 Meter entfernt: unser Auto, warme und trockene Wechselklamotten, in der Turnhalle eine Dusche.

O-SEE Ultra Trai 2022: Nicht die Ritterschlucht, aber schon sehr ähnlich
O-SEE Ultra Trai 2022: Nicht die Ritterschlucht, aber schon sehr ähnlich © Denis Geserick

Am Fuß der Ruine müssen wir leider gleich wieder runter. Leider keine Ehrenrunde an der Burg, die natürlich auch Chefromantiker Caspar David Friedrich schon gemalt hat. Aber vielleicht gibt es die ja 2023 zum Fünfjährigen des O-SEE Ultra Trail… Während sich der kleine Junge in mir darüber ärgert, eine Burgruine ignorieren zu müssen, laufen wir auf die Ritterschlucht zu. Wie innere kleine Jungs so sind, ist die Ruine gleich vergessen. Toller Name, tolle Schlucht, blutiges Kopfkino galore.

Irgendwo findet mein Körper nach Kilometer 50 ein fettes Energiedepot. Die Beine wollen nach vorne. Ich hole einen Läufer ein, der mich 20 Kilometer vorher mit Volldampf überholt hat. Er kann nur noch gehen. Dann ein Doppelpack inklusive meines stöhnenden Schattens von vorher. Ich lasse beide links liegen und feuer weiter. Irgendwann komme ich wieder am Schild an und biege links ab.

Die Extrarunde hatte ein paar Highlights, war aber durch viele softe Anstiege auch etwas zäh. Die letzten 1,5 Kilometer zum Ziel sind dafür nochmal richtig fein. Lockeres bergab laufen lassen, nochmal die geilen Felsen sehen, die frühmorgens mit Stirnlampe im Schatten geblieben sind. Im Ziel dann der Flash: Ich bin overall auf Platz 12. Wow. Das ist eigentlich nicht meine Kragenweite. Hier lief wohl einiges ganz schön richtig.

Und überhaupt: Was für ein toller Lauf! Wer Veranstaltungen wie den Südthüringen Trail mag, ist hier genau richtig. Der O-SEE Ultra Trail ist noch etwas technischer und landschaftlich noch beeindruckender, aber trotzdem zeigen diese beiden Veranstaltungen, wie viel auch Mittelgebirgsläufe zu bieten haben. Das hier war definitiv härter als so mancher Wanderweglauf in den Alpen.

Tobias Gerber