Am Wochenende vom 06.10. bis zum 08.10.2017 fand bereits zum 12. Mal die Tour de Tirol statt, die am Freitag aus dem Söller Zehner (10 km 300 HM), am Samstag dem Kaisermarathon Söll (42 km 2350 HM) und am Sonntag aus dem Pölventrail (23 km 1250 HM) besteht.
Prolog
Für mich sollte der Laufklassiker in Söll den Abschluss meiner persönlich erfolgreichsten Laufsaison darstellen. Leider hatte ich bei meiner enthusiastischen Saisonplanung einige wichtige Dinge übersehen.
Zum einen ist der Veranstaltungstermin sehr spät im laufenden Kalenderjahr angesetzt und so musste ich von vornherein mit sehr schlechtem Wetter rechnen. Natürlich träumte ich, wie vermutlich die meisten Starter, von einem sonnigen Zieleinlauf auf der Hohen Salve bei angenehmen Spätsommertemperaturen. Leider verdüsterten sich die Wettervorhersagen von Tag zu Tag, so dass die letzten Prognosen von einem Temperatursturz und einer Schneefallgrenze von 1200 m sprachen.
Auch eventuell vorhandene körperliche Wettkampffolgen wurden von mir nicht bedacht und die Gedanken dazu kategorisch verdrängt. Nun hatte ich aber bereits 14 Tage vorher bei meinem Start über die 60 km des Arberland Ultratrails alles aus meinem Körper herausgeholt und wurde mit einer für mich hervorragenden Platzierung belohnt. Die Schmerzen im vorderen Oberschenkelmuskel tat ich anfangs als einen stärkeren Muskelkater ab. Als dieser jedoch überhaupt nicht abklingen wollte und diese Beschwerden nach einem moderaten Lauftraining am Ende der ersten Woche nach dem AUT wiederkamen, wurde mir klar, dass es sich hierbei vermutlich um ein stärkeres muskuläres Problem handelt als zunächst angenommen. Und so verbrachte ich die letzte Woche vor der Tour mit Gymnastik, Massagen und kürzeren Spaziergängen. Bis zum Freitag Morgen war ich zumindest schmerzfrei, aber würde der Muskel das komplette Wochenende über herhalten? Welche Strategie sollte ich wählen? Unter meinen eigenen Fähigkeiten bleiben und auf Nummer sicher das ganze Wochenende durchziehen? Oder aber im Hinblick auf die darauf folgende Wettkampfpause noch einmal über die eigenen Grenzen hinauszugehen und ein vorzeitiges „Aus“ riskieren?
Das vorhergesagte schlechte Wetter belastete mich nicht nur Wettkampfbezogen sondern auch in Gedanken an meine Familie, da ich meiner Frau und meinen beiden kleinen Kindern (3J. und 5J.) noch ein schönes langes Wochenende in den Bergen versprochen hatte und nun vermutlich genau das Gegenteil eintreten würde. So kam es, dass ich mich gemeinsam mit meiner Familie mit sehr gemischten Gefühlen am Freitag früh ins Auto setzte und wir uns auf den Weg nach Söll machten.
Akt 1 – Der Söller Zehner
Als wir Söll erreichten musste alles relativ schnell gehen – die Unterkunft beziehen, umziehen, Startunterlagen holen und schon befand ich mich gemeinsam mit 600 weiteren wetterfesten Läufern im Startbereich. Die Wartezeit wurde mir durch meine heimischen Lauffreunde stark verkürzt, da die Jungs und Mädels von Bayronman und die schnellste Spaßkanone der Kuhalm Runners ebenfalls bei der Tour ihren wettkampftechnischen Saisonausklang machten.
Die Strecke selbst ist rasch erklärt. Man macht sich vom Ortszentrum aus auf den Weg und läuft drei Runden mit jeweils 3,33 km und 100 Höhenmeter. Bei diesem ersten Wettkampf kommt es vor allem für die Gesamtstarter darauf an, sich nicht von der Schnelligkeit der Einzelstarter vom Start weg anstecken zu lassen, sein eigenes Tempo zu finden und vor allem Kräfte für die beiden folgenden Wettkämpfe zu sparen. Die eigentliche Zeit ist hierbei zweitrangig, da diese am Ende mit einer einfachen Addition zusammengerechnet wird und man bei diesen 10 km nicht so viel Zeit durch einen schnellen Lauf gutmachen kann, als man später mit müder Muskulatur verliert.
So war zumindest mein Plan! Nach dem Startschuss lief jedoch alles anders. Bereits auf der ersten Runde merkte ich, dass ich viel zu warm bekleidet war und auch ansonsten überhaupt nicht ins Rennen kam. Sogar in den mir normalerweise zu Gute kommenden Uphills wurde ich mehr und mehr nach hinten durchgereicht. Ein während der dritten Runde aufkommender Gewitterschauer mit starken Sturmböen kam noch erschwerend dazu. In einer Zeit von 43:11 min erreichte ich den 19. Platz meiner AK und den 95. Platz overall. Für diesen Tag war ich bedient und weit weg von meinen eigenen Erwartungen. Wenigstens hielt mein vorgeschädigter Oberschenkel durch und da die Hoffnung ja bekanntlich zuletzt stirbt, hoffte ich auf einen erfolgreichen Kaisermarathon am 2. Tag der Tour.
Akt 2 – Der Kaisermarathon
Der Kaisermarathon ist das angepriesene Highlight der Tour de Tirol und führt die ersten acht Kilometer von Söll aus zunächst einmal relativ flach in Richtung Westen bis zum Hotel Alpenschlössl und wieder zurück zum Ortszentrum von Söll. Anschließend geht es weiter auf Wiesen und Trailwegen über Scheffau nach Ellmau bis zur Ru?bezahlalm, weiter auf Almwegen vorbei an der Jägerhu?tte zum Panoramarestaurant Bergkaiser. Dann auf Wanderwegen zum Tanzboden, von dort über den Jochstubensee bis zum Filzalmsee und weiter zum Hexenwasser um am Ende über zum Teil schmale und steile Wanderwege bis zum Gipfel der Hohen Salve zu gelangen.
Aufgrund der Wetterprognosen wurde der Start um eine Stunde auf 9:30 Uhr verschoben. Ich war nicht traurig darüber, da mir dadurch morgens mehr Zeit für ein ausgedehntes Frühstück blieb und ich mich in aller Ruhe auf den Lauf vorbereiten konnte. Die Bekleidungswahl war wieder einmal ein Drahtseilakt zwischen „viel zu warm“ auf den ersten Kilometern bis hin zu „Unterkühlungsgefahr“ auf mindestens der Hälfte der Gesamtkilometer die sich über einer Höhe von 1000 m abspielten. Ich entschied mich für die Variante „viel zu warm“ und war spätestens ab Ellmau froh über diese Entscheidung.
Nach dem Startschuss setzte sich die Führungsgruppe sehr schnell mit hohem Tempo ab. Da ich nicht wieder wie am Vortag ins Hintertreffen kommen wollte, versuchte auch ich mein Tempo hoch zu halten und hoffte darauf bis zu den ersten leichteren Anstiegen nicht zu viel Zeit zu verlieren. Nachdem wir das zweite Mal das Ortszentrum von Söll hinter uns ließen, ging es endlich bergauf und ich war wieder in meinem Element. Die Probleme des Vortages waren vergessen und ich konnte meine Fähigkeiten voll ausnutzen. Während die ersten bereits kurz hinter Söll ihre Gangart in ein zügiges Gehen wechselten, gelang es mir stur den Berg hinauf zu laufen und einige Plätze gut zu machen. Die ersten der reichlich vorhandenen Getränke- und Verpflegungsstationen ließ ich links liegen und hielt je nach Belastung mein Tempo bei.
Als ich dann kurz vor der Halbmarathonmarke im Bereich von Ellmau über eine Seehöhe von 1300 m kam, wurde aus dem Nieselregen schön langsam ein leichtes Schneetreiben. Aufgrund der Steigung war hier für mich an ein Laufen nicht mehr zu denken und im Zusammenhang mit dem Schnee und den teilweise auffrischenden Böen wurde es teilweise verdammt kalt. Das war für mich der psychisch härteste Abschnitt des ganzen Rennens – die Muskulatur mittlerweile ermüdet, die Kälte und Nässe kroch in die Knochen, die Körner fast verbraucht. Nun kamen auch wieder die jedem Ultraläufer bekannten schlechten Gedanken auf: Was machst Du eigentlich? Wäre es nicht intelligenter auszusteigen? Was tust Du Deinem Körper an? Eigentlich hast Du doch gar keinen Bock mehr auf diesen Mist …
Mit einem starken Willen gepaart mit einer ordentlichen Portion an Trotz gegenüber mir selbst kämpfte ich mich Kilometer für Kilometer weiter und bewies mir persönlich wieder einmal ein hohes Maß an Durchhaltewillen. Auch die trotz der ungünstigen Witterung gute Stimmung an der Strecke und auch die Besonderheiten der Streckenführung halfen mir über diesen psychischen Tiefpunkt hinweg. So durften wir bei Kilometer25 durch die Gaststube und die Aussenterrasse der Tanzbodenalm laufen und im weiteren Verlauf der Strecke wurde kurzerhand eine komplette Verpflegungsstation in einem Kuhstall aufgebaut und betrieben. Auf dem Weg zum Hexenwasser hatte nun endlich auch der Wettergott ein Einsehen mit uns Läufern. Der Himmel riss immer weiter auf, eine wärmende Oktobersonne kam zu Vorschein und mit jedem Kilometer in Richtung Ziel stieg auch die Laune. Und diese gute Laune konnten mir auch beginnende Krampfanfälle in den Oberschenkeln nicht mehr vermiesen. Die letzten beiden Kilometer erfolgte dann der steile Schlussanstieg zur Hohen Salve an der wir voller Begeisterung von vielen Zuschauern begrüßt wurden. Kurz vor dem Ziel wurde ich von meinen Kindern empfangen und gemeinsam mit Ihnen beendete ich in einer Zeit von 4h 40min bei Kaiserwetter diesen Kaisermarathon. Dies bedeutete den 8. Platz in meiner AK und insgesamt den 54. Rang. Trotz eines mentalen Durchhängers war ich dennoch einigermaßen zufrieden mit diesem Resultat und nun hieß es die letzten Kräfte für die dritte Etappe zu mobilisieren.
Akt 3 – Der Pölventrail
Der Pölventrail war für mich das eigentliche Highlight der Tour de Tirol, da dieser im Gegensatz zum Kaisermarathon aus einem wesentlich höheren Trailanteil bestand und um einiges mehr an Körperbeherrschung- und koordination forderte.
Nach dem Start im Zentrum von Söll verlässt die Strecke in Richtung Pölven relativ schnell die befestigte Straße um mit vollster Konzentration die teilweise sehr technischen Abschnitte zu bewältigen. Auch wenn das Höhenprofil in der Streckenbeschreibung relativ unspektakulär aussieht und der höchste Punkt das mit „nur“ 1.181 m hohe Juffinger Jöchl ist, so kann man jedem Läufer nur anraten diese 23 km lange und mit 1.200 HM versehene Strecke nicht zu unterschätzen. Besondere Highlights dieser Strecke waren unter anderem ein Aufstieg über eine Skipiste, mehrere knackige Anstiege über Holzbrücken und Stege, ein kompletter Streckenabschnitt durch einen Steinbruch der nur für diesen Lauf den Läufern zugänglich gemacht wird und natürlich nicht zu vergessen schier endlos wirkende verwurzelte und technisch anspruchsvollen sehr schmale Trails.
Der andauernde leichte Regen erschwerte diesen Lauf noch zusätzlich, da die Strecke mit jedem Teilnehmer zusehends aufweichte, matschiger und somit gerade auch auf den sehr steilen Downhills rutschiger wurde. Trotz dieser Umstände und auch im Hinblick auf die zurückliegenden anstrengenden Kilometern der letzten Tage setzten viele Läufer gerade auf den letzten paar Kilometern zu einem richtigen Schlusssprint an, so dass auch ich noch einen letzten schnellen Kilometer in 3:49 min hinlegen konnte. Nach 2h 37min erreichte ich als 60. Overall und als 11. meiner AK unter dem Jubel der vielen Zuschauer das Ziel in Söll.
Insgesamt gesehen bedeutete das für mich in einer Gesamtzeit von 8h 00min einen versöhnlichen 43. Platz Gesamt und den 7. Platz in meiner Altersklasse. Durch dieses Ergebnis konnte ich mich auch für die Kaiserkrone 2018 qualifizieren auf die ich mich schon sehr freue.
Fazit, Outro, Abspann:
Für mich war dieses Laufwochenende eines der schönsten Momente überhaupt in diesem Jahr. Dazu haben aber nicht nur die einzelnen Läufe, sondern auch und vor allem auch die vielen menschlichen Begegnungen zwischen Freunden, Läufern und Gleichgesinnten beigetragen. Das ich bei diesem langen Laufabenteuer meine Familie dabei haben konnte und diese bei jedem einzelnen Lauf mitfieberten und sich mit mir freuten trug außerdem zu diesem guten Gefühl bei.
Für mich war ein Etappenrennen vollkommenes Neuland so dass ich nie genau wusste, wie mein Körper auf die Belastung reagieren würde. Besonders spannend fand ich den Tag nach dem Marathon und ich war selbst darüber erstaunt, wie gut ich diesen wegsteckte und wie relativ flüssig ich beim Pölventrail wieder in den Lauf fand. Scheinbar traf ich zumindest einigermaßen die richtige Balance zwischen ergebnisorientierter Laufgeschwindigkeit und notwendiger Zurückhaltung zur Schonung der Muskulatur. Auch wenn die Tour de Tirol vom Umfang der Gesamtkilometer relativ niedrig angesetzt ist, so kann man dennoch erste Erfahrungen für anspruchsvollere Etappenrennen wie zum Beispiel den Transalpine Run sammeln.
Wie bereits zu Beginn dieses Berichtes geschildert, waren auch viele Freunde aus dem Bayerischen Wald bei der Tour de Tirol als Gesamtstarter beteiligt. Das waren vom Bayronman e.V. Helga und Helmut Dietl, Erich Frankl, Doris und Michael Rackl, Magdalena Schötz und Jürgen Probst und vom Verein Kuhalm Runnings Martin Pfeffer. Es war für mich immer wieder schön diese vor, während und nach dem Lauf zu treffen, mich mit ihnen auszutauschen und auch über die gemeinsamen Erfolge zu freuen. Insgesamt gesehen kann man hier wirklich bemerken, dass wir uns als Läufer vom Bayerischen Wald im Vergleich mit den anderen gut verkauft haben und uns nicht verstecken brauchen, auch wenn der Spaß an der Bewegung und am gemeinsamen Naturgenuss immer im Vordergrund stand und steht. Besonders erwähnenswert an dieser Stelle ist das hervorragende Abschneiden von Helga Dietl die ihre AK W55 mit großen Abstand gewinnen konnte und von Martin Pfeffer der in der AK M allg. Klasse den 2. Platz errang. Diese Resultate bedeuten einen Startplatz bei der Kaiserkrone 2018. Ebenfalls dafür qualifizieren konnte sich Jürgen Probst, so dass im nächsten Jahr bei diesem Einladungsrennen eine Abordnung von 4 Läufern aus dem Woid starten werden!
Für jeden Läufer der diesen späten Zeitpunkt und die dadurch zu erwartenden Wetterkapriolen nicht scheut, dem kann ich die Tour de Tirol wärmstens empfehlen. Die Tour de Tirol ist hinsichtlich der Organisation, der unterschiedlichen Strecken, des Gesamtkonzepts, der Stimmung an der Strecke und auch des natürlichen Umfelds auf jeden Fall ein Highlight im Rennkalender und kann wie in meinem Falle einen krönenden Abschluss einer erfolgreichen Laufsaison darstellen!
Text und Bilder: Christian Mayer
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