„Vaaaamos campeona! Ya queda muy poco!” schallt es mir aufmunternd entgegen, während ich mich den letzten Anstieg des Transvulcania 2024 hinaufschleppe. Wie eine Heldin fühle ich mich dabei wahrlich nicht. Nichtsdestotrotz motiviert die kurze Dusche aus dem Gartenschlauch und die ins Mikrofon gebrüllten Worte der Dame, die von ihrem Grundstück aus das Trauerspiel beobachtet und jeden Einzelnen den letzten Anstieg hochbrüllt. Anderen um mich herum geht es nicht besser: Ein Leidensgenosse hat sich gerade verabschiedet, um seinen Magen zu entleeren, ein anderer steht kraftlos am Rande des Weges. Ich frage auf Spanisch, ob alles in Ordnung sei. „Ja, ja, aber der Kreislauf…”
Es liegt einige Zeit zurück, dass ich die Reportage „Transvulcania-Ultramarathon: Schinderei auf dem Rücken des Vulkans” gesehen habe. Hängen geblieben sind Bilder von traumhaften Vulkanlandschaften und einem winzigen Wettkampfhandy. An die „Schinderei” beim Überwinden der 74km und knapp 4500hm erinnerte ich mich nicht mehr. Und so stehe ich um kurz nach 6 Uhr in der morgendlichen Dunkelheit gemeinsam mit vielen anderen – unter ihnen auch Hannes Namberger, der in der Reportage porträtiert wird – an der Startlinie des Transvulcania 2024 stehe.
Grandiose Stimmung schon am frühen Morgen
Die ersten Kilometer laufe ich allein und versuche, einen Rhythmus zu finden. Schon bald stoße ich auf zwei Deutsche, wir unterhalten uns und die Kilometer vergehen wie im Fluge. Nicht zuletzt auch wegen der vielen Zuschauer, die zu früher Stunde das Bett verlassen haben, um die Läufer anzufeuern. Was für eine Stimmung!
Nach der ersten Verpflegungsstelle in Los Canarios geht die Sonne auf und es wird sichtbar, weshalb der Streckenabschnitt auch als „Ruta de los Volcanes“ bezeichnet wird: Langsam gehen die sanften Wald-Trails in eine atemberaubend schöne und überraschend grüne Vulkanlandschaft über. Nach einem flowigen Downhill laufe ich zum ersten Mal auf einen Zielbogen zu. Hier in El Pilar ist Schluss für die Läufer der Halbmarathondistanz, ich werde also weiter geschickt. Weiter auf einen breiten Waldweg.
Es ist plötzlich kühl und feucht. Ich laufe weiter und hoffe, dass dieser Streckenabschnitt bald vorbei ist. Links und rechts sehe ich kleine Trails und die Versuchung ist groß, die Wettkampfstrecke zu verlassen und eine Alternativroute zu laufen. Zum Glück werde ich bald erlöst, die Strecke wird wieder technischer und die kurzen Downhills machen nach dem Forstweg-Overkill umso mehr Spaß. Die Kühle ist genauso plötzlich wie sie kam auch wieder verschwunden und weicht hier, über den Wolken, einer zunehmenden Hitze.
Immer entlang des Kraters
Am Krater entlang windet sich der laufbare, aber schmale und landschaftlich wunderschöne Trail. Leider schmecken meine Riegel in der Hitze wie Trockenfutter und die Flasks sind leer. In diesem Moment taucht die Verpflegungsstelle am Pico de la Cruz wie eine Oase vor mir auf. Von hier an rückt der höchste Punkt des Rennens, der Roque de los Muchachos, immer näher. Es geht stetig auf und ab. Das Wissen, dass es bald in den Downhill geht, treibt mich an. Und wenn ich langsamer werde, motiviert mich Álvaro, der mich Uphill überholt und im Downhill wieder vorbeiziehen lässt: „Vamos!“.
Am Roque de los Muchachos angekommen, werde ich erst einmal auf den Boden der Tatsache geholt. „Es mentira“, meint Anabel, mit der ich die letzten Meter zum Roque laufe. Eine Lüge, dass es jetzt nur noch runter geht. Wie recht sie hat, sollte ich bald merken. Immer wieder frage ich mich auf den nächsten Kilometern, wann es den nun endlich wirklich runter geht. Immer wieder taucht ein Gegenanstieg vor mir auf. Immer wieder… bis es endlich, endlich in den legendären etwa 17km langen Downhill nach Tazacorte geht. Ich schalte den Kopf aus und lasse es laufen. Anhalten möchte ich jetzt nicht mehr. Der Weg ist nicht sonderlich technisch, doch verzeihen die Pflastersteine kurz vor Tazacorte keine Unaufmerksamkeit, weshalb ich froh bin, als ich unten ankomme… und diesmal nicht nur an einem Zielbogen vorbei, sondern sogar hindurchlaufen darf.
Ein letztes Mal Leiden
Wegen mir könnte hier und jetzt auch Schluss sein. Jetzt ins Meer springen… Aber: nein! Über den Strand werde ich in ein Flussbett geleitet, auf die letzten 4km der Ultradistanz. Wer hat sich denn das ausgedacht? Ab hier will ich eigentlich nur noch ankommen. Egal wann. Nach dem Flussbett geht es nochmal steil eine Asphaltstraße hinauf. Stöcke will ich nicht mehr auspacken, die habe ich lange genug in der Hand mit mir herumgetragen. Meter um Meter schleppe ich mich die Straße entlang, vorbei an der Dame mit Gartenschlauch und Mikro bis zur letzten Gerade. Ein letztes Mal motiviere ich mich und laufe den letzten flachen Kilometer an feiernden Menschen vorbei ins Ziel.
Geschafft!
Am nächsten Tag liegen wir am Strand von Los Cantajos, genießen die Sonne und das Meer. Das war ganz schön anstrengend! Die Beine sind ziemlich schwer… aber fühlen sich eigentlich gar nicht so schlecht an… Wann kann man sich für den nächsten Transvulcania anmelden?
Impressionen vom Transvulcania 2024: