Zugspitz Ultratrail: Rennbericht Max Kirschbaum

Salomon Zugspitz Ultratrail, Grainau, Bayern, Deutschland. © www.klausfengler.de

81,6 km, 4400 Höhenmeter und gekämpft bis zur Ziellinie: Max Kirschbaum, Drittplatzierter der Deutschen Meisterschaften im Ultratrail, mit seinem authentischen Rennbericht zum Zugspitz Supertrail XL.

Deutsche Meisterschaft als Saisonhöhepunkt

Es soll ja bei vielen Athleten diese besonderen Wettkämpfe geben. Diese Rennen aller Rennen! Eigentlich nennt man sowas auch Saisonhöhepunkt. Ich halte da ja generell nichts davon. Verkackst du, war vielleicht nicht alles umsonst, jedoch ist die Enttäuschung mehr als groß, und man ist in dem Glauben, dass die ganze Vorbereitung doch scheinbar vergeblich war. Deswegen möchte ich doch einfach nur von einem wichtigen Rennen berichten auf das hoffentlich noch einige folgen werden. Nach meiner generell ganz beständigen Saisonvorbereitung über den Winter und meiner Rückkehr aus Südafrika entwickelt sich dann doch ein gewisser Focus auf diese Deutschen Meisterschaften beim Supertrail XL an der Zugspitze, 81,4 km / 4131hm. Mein Training habe ich etwas umgestellt, weniger Umfänge und höheres Tempo, bzw. mehr Umfänge in höherem Tempo;-). Meine ermittelten Daten aus der Leistungsdiagnostik sind die Besten denn je. Wenn ich aber im Hochgebirge nur annähernd bestehen möchte, muss ich mich auf die technischen Abschnitte konzentrieren, vor allem in den Abstiegen. Aber wie trainiere ich nun Abstiege über 5-6km mit über 1200hm? Ich habe nur eine Wahl und die beschränkt sich auf 800m und 230hm. Das ist die alpinste Simulation, die mein Trainingsebiet aufbringt. Also, hoch und runter die Geröllhalde, hoch und runter…

Entspannte Anreise mit Kind und Kegel

Wir reisen schon Mittwochabend nach Grainau. Etwas aklimatisieren, wenn das dort überhaupt geht, mit großartig aufs Hochgebirge vorbereiten ist jetzt nichts mehr. Es geht nur noch zweimal kurz Richtung Eibsee. Lieber mache ich mit meiner Tochter die Sommerrodelbahn unsicher. Sonst läuft auch wirklich alles optimal. Ich fühle mich fitter denn je. Man kann schon wirklich von einer Topform sprechen. Meine Ausrüstung habe ich noch zu Hause genauestens gepackt und auch wirklich bestens erprobt, was wo am Besten im Rucksack untergebracht ist. Alles ist optimal, ich habe nichts vergessen, muss nichts mehr besorgen, alles ist da. Sogar mein Magentee aus Peru, der doch enorm hilft, meinen von der Anspannung nervösen Magen zu bessern. Weitestgehend entspannt geht es also Richtung Wettkampf. Geschlafen habe ich ordentlich. Am Wettkampftag bin ich sofort senkrecht. Mit dem Auto geht es zum Start in das ca30km entfernte Ehrwald in Österreich. Das Einchecken und die Kontrolle der Pflichtausrüstung geschieht fast auf den letzten Drücker. Verdammt, ich habe vergessen die Gelpackungen mit meiner Startnummer zu beschriften. Zum Glück hat der freundliche Kontrolleur einen Stift parat. Nochmal gut gegangen! Ich wühle mich durch in die erste Startreihe. Dort stehen sie, Christian Alles, Martin Schedler, Alexander Dautel und Markus Mingo. Alle, die wirklich ein ernstes Wort heute mitreden möchten.

Startschuss in Ehrwald

Start frei, aus dem Ort heraus. Binnen weniger Kilometer haben wir schon die ersten positiven 500Höhenmeter weckgesteckt. Sofort geht es steil und wurzelig zur Sache. Die Spitze ist äußerst kompakt und besteht aus ca. acht Läufern, samt allen Favoriten. Mir geht es gut, sehr gut sogar. Immer wieder muss ich mich selbst einbremsen um nicht zu schnell anzugehen. Wir erreichen nach ca.6km die erste VP an der Pestkapelle. Ein kleines Stück Müsliriegel schnappe ich mir. Direkt geht es weiter mit der kompakten Gruppe in die Höhe, schmale felsige Gebirgstrails. Langsam wird es kälter, spürbar immer kälter. Ich habe stets alles unter Kontrolle, laufe vorne, aber nie ganz vorne. Stetig nähern wir uns der 2000hm Marke und erreichen schließlich das Feldernjöchl auf ca. 2200hm. Es folgt ein kurzer Zwischendownhill über die Rotmoosalm, schon hier spüre ich meine deutlichen Defizite im alpinen Abstieg. Gut, die Spitze bleibt in Sichtweite und im folgenden Gegenanstieg schließe ich sofort wieder auf. Meine Herzfrequenz steigt nun deutlich an. Um mich zu beruhigen schiebe ich es auf die Höhe. Kein Thema, bald geht es wieder hinunter und zwar ziemlich hart, zurück auf 1400hm. Jetzt kann ich definitiv nicht mehr der Spitze folgen. Ist das schon die erste, warscheinlich entscheidende Attacke von Markus Mingo. Über Schneefelder und Geröllhalden sowie durch Bergbäche quäle ich mich gen Tal. Das kann es doch nicht gewesen sein. Die zerstören sich doch total, wir haben noch nicht einmal 20km in den Beinen. Ich versuche es mir einfach schön zu reden. Nun kommt auch noch leichter Schwindel dazu. Warum auch immer schlafen nun noch die rechten Fingerspitzen ein. Echt nicht mein Tag, bzw. mein Abschnitt dieses Rennens. Ich erreiche die Hämmermoosalm. Dort angekommen schließe ich wieder erwartend direkt zu Alexander Dautel, Martin Schedler und Anton Phillip auf. Nun sind nur noch Markus und ein mir unbekannter Läufer in der Spitze. Doch dieser hat sich anscheinend komplett übernommen, wie sich später herausstellen sollte. Zum Glück geht es wieder leicht hinauf.

Anschluss zur Spitze am Scharnitzjoch

Wirklich besser fühle ich mich jedoch noch nicht. Über den Wurzeligen Pfad hinüber zum Fuße des Scharnitzjochs schaffe ich gerade so den Anschluss an die Gruppe zu halten. Immer wieder muss ich leicht abreißen lassen und kämpfe mich wieder heran. Erst, als es wieder steiler wird am Anstieg, finde ich mich langsam wieder. Der Schwindel weicht und ich fasse wieder klare Gedanken. Dautel kann sich ein wenig aus unserer Gruppe absetzen, er scheint sehr stark zu sein. Wir erreichen den Gipfel des Scharnitzjochs. Wieder so ein gefürchteter Abstieg. Doch nun geht es auch hier besser. Das Geröllfeld zu Beginn meistere ich tatsächlich flüssig, die Schritte sitzen und ich finde die schnellste Linie. Im unteren Teil geht es in einen Serpentinen Trail über. Auch hier funktionier alles, ich halte problemlos den Anschluss. Perfekt! Mehr will ich doch zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Nach einem kurzen welligen Stück erreichen wir die dritte VP am Hubertushof. Die Gruppe ist wieder geschlossen. Hier treffe ich zum ersten mal auf meine Familie. Ein paar motivierende Worte abholen und die Vorräte füllen. Das für mich schwierigste liegt nun hinter mir. Jetzt kommt ein langer, flacher bis Welliger Abschnitt über mehr als 20km. Hier habe ich mir eigentlich vorgenommen, es laufen zu lassen. Doch anscheinend habe ich die VP nicht vertragen. Zu viel Flüssigkeit auf einmal oder was. Wieder stellt sich Übelkeit ein. Das kann doch jetzt nicht schon wieder sein, genau in dem Abschnitt, wo ich eigentlich angreifen wollte. Ich falle zurück, mehrere Gehpausen muss ich einlegen. War´s das jetzt? Ich denke ans Aussteigen. VP am Schützenhaus Mittenwald. Es geht nicht mehr viel. Meine Familie steht wieder parat. Ich stecke mir zwei Gels ein. Ich traue mich nicht wirklich sie zu nehmen, bevor alles wieder retoure kommt. Obwohl ich sie eigentlich dringend benötige. Ein paar Meter weiter steht Katja aus dem ASICSFrontrunner Team. Auch sie versucht mich zu ermuntern. Ich schleppe mich weiter. Zwischenzeitlich liege ich nur noch auf P5. Es geht leicht ansteigend und dann wieder ziemlich eben bis Wellig zum Gasthof Ferchensee, der nächsten VP. Kurz bevor ich diese erreiche kommt irgendwo her wieder etwas Leben in meinen Schlappen Körper zurück. So langsam scheint doch die Cola zu wirken, die ich mir in meine soft-Flask gefüllt habe. Ich laufe an Anton Phillip vorbei, zurück auf P4. In der Ferne kann ich schon Schedler und Dautel erkennen. So weit weg, wie ich dachte waren sie wohl nicht! An der VP lasse ich mir dann doch etwas Zeit, ein Stück Riegel, ein Gel und vor allem den Cola Vorrat auffüllen.

Vorbei an Schedler und Dautel

Jetzt ist wieder wirklich überall Leben drin. Bei ca. km50 laufe ich auf die Beiden auf und lasse sie Direkt stehen. Flüssig, flüssig geht es die Wellen hinauf und hinunter, über die Kuppen, durch die Senken. Genau so liegt es mir! Mittlerweile P2 übernommen laufe ich auf Juliane, ebenfalls vom ASICSFrontrunner-Team, die auf der Supertrail-Strecke unterwegs ist auf. Gegenseitig geben wir uns kurz ermunternde Worte mit auf den Weg, ehe ich von Dannen ziehe. Ich bin wieder richtig schnell in diesen Wellen. So schnell, dass ich felsenfest davon überzeugt bin, dass hier niemand so schnell läuft wie ich. Es scheint zu wirken. Mein Rückstand auf den führenden Mingo wurde mir mit ca.20min. angegeben. Wenige km später sind es nur noch deren 15! Ich gleite weiter über die Wellen, Schritt für Schritt. Hoch und runter, Richtung Patnachalm, der nächsten VP. Wieder erwartet mich Katja. Sie gibt mir den Rückstand auf Markus mit ca.10-12 min. an. Keine Zeit verlieren. Schnell Cola auffüllen und vor allem Wasser in die Trinkblase, aber nicht so viel, sonst wird diese zu schwer! Einer der härtesten Abschnitte folgt jetzt noch. Innerhalb von ca.7km geht es 1000hm nach oben. Der Anstieg über die Talstation Längenfelder hinauf zur Bergstation Albspitzbahn. Wenn ich es mir genau überlege ist es eigentlich mein Lieblingsanstieg in diesem Wettkampf. Hier bin ich immer relativ gut hinauf gekommen in den letzten zwei Jahren. Der untere Teil führt durch den Wald, gespickt mit endlosen Serpentinen. Jede Ecke sieht gleich aus, du hast gar kein Gefühl, wie weit du eigentlich bist. Aber es läuft. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Abschnitte zwischen den Serpentinen gehen tatsächlich im Laufschritt. Ich treffe auf Bernhart meinen Vereinskameraden der LG Ohmbachsee. Auch er ist für seine Premiere auf einem Ultratrail sehr gut auf der Supertrailstrecke unterwegs. Die Talstation kommt näher, ich höre schon die Leute applaudieren. 600 hm sind geschafft. Ich verlange mir an der VP wieder Cola. Leider haben sie keins! Verdammt!! Das kann jetzt nicht sein. Mir bleibt nichts anderes übrig als Iso aufzufüllen. Das ist bitter! Hoffentlich geht das gut! Es sind jetzt nach guten 70km nochmal sehr schwere 430hm. Weiter geht´s, beißen!

Motivation am Streckenrand

Ich laufe auf Uwe meinen Leistungsdiagnostiker und seine Frau Sabine auf. Sie meistern gemeinsam den Basetrail XL. Auch hier Motivation ohne Ende. Mir kommt Marius entgegen, auch aus dem ASICS-Team. Auch er gibt mir mehr als motivierende Worte und hat sogar die fehlende Cola parat! Meine Rettung! Er gibt mir die Info, dass mein Rückstand nur noch ca.3-5min. beträgt. Ist das jetzt wirklich wahr? Es scheint so! Nachdem ich noch an Martin Seipel vorbei bin, erkenne ich vor der Begstation Markus, der gerade beginnt sich zu Tal zu stürzen. Ich weiß, dass ich keinerlei realistische Chance im Downhill gegen ihn habe. Nach den letzten Metern kraftvollem Anstieg bekomme ich leichte Krampfansätze in den hinteren Oberschenkeln. Hoffentlich geht das gut! Den Abstieg gehe ich zunächst verhalten an, beobachte wie meine Muskulatur sich verhält. Es hängt am seidenen Faden! Technisch geht es doch viel besser als in den Jahren zuvor. Was mich aber immer wieder ausbremst sind die Teilnehmer der kürzeren Distanzen, welche ich nun dauerhaft überholen muss. Ich versuche mich rechtzeitig bemerkbar zu machen und mich bei wirklich jedem, der mir Platz macht höflich zu bedanken. Das ist sehr schwierig und kostet enorm viel Zeit. Was mich aber extrem stört, bzw. sogar empört, dass viele mit den Kopfhörern in den Ohren unterwegs sind und ihre Umwelt keinesfalls wahrnehmen. Ich kann absolut verstehen, dass Musik total motiviert, geht mir genauso. Aber in solch einer Situation, wenn es um die Entscheidung einer Meisterschaft geht…!? Hier geht auch mein Appell an Plan B, ob da nicht mal etwas geändert werden sollte ?!

Finaler Downhill

Zurück zum Wettkampf: Der Downhill ist nun in vollem Gange. Über zahlreiche verblockte Steilstücke nähere ich mich der Letzten VP nochmals an der Talstation Längenfelder. Nochmals zügig Iso auffüllen und weiter die Serpentinen hinunter. Das Überholen geht mit der Zeit echt an die Substanz. Mein Rückstand auf Markus ist bestimmt wieder deutlich angewachsen. Jetzt kommt auch wieder die Übelkeit zurück. Das Gepoltere der langen Abstiege ist mein Magen echt nicht gewohnt. Ich gehe auf Nummer sicher, bloß nichts mehr riskieren auf dem Weg zu Platz zwei. Nochmals empfangen mich die ASICS-Leute. Diesmal steht da auch noch Matthias Schwarze. Wahnsinn, dass so viele hier einfach zum supporten kommen. Im unteren bewaldeten Gebiet ist es sehr schlammig und rutschig. Endlich erreiche ich den Ausgang der Klamm und das Hotel Hamersbacher Hof. Nur noch zwei schlappe km Asphalt liegen zwischen mir und dem Musikpaviliong. Ich versuche zu beschleunigen, doch mein Magen dreht sich in alle Richtungen. Das Tempo, dass ich mir hier vorgestellt habe, kann ich auf keinen Fall gehen. Schlepp, schlepp… Da, der letzte km! Plötzlich kommt von hinten etwas Rotes an mir vorbei. Dautel! NEIN! Das war´s dann mit meinem zweiten Platz! Ich lasse ihn direkt ziehen. Zehn Meter, dann zwanzig Meter hat er Vorsprung. Nix gibt´s! So leicht gebe ich mich nicht geschlagen! Ich erhöhe das Tempo und robbe mich wieder heran. Ohne Rücksicht auf jeglichen Verkehr kreuzen wir die Hauptstraße in Grainau um den möglichst schnellsten Weg zu gehen. Doch Alex ist alles andere als langsam in solchen Abschnitten. Auf den allerletzten Metern muss ich dann doch resignieren. Verfluchte 17 Sekunden!!! Soviel bin ich am Viezetitel nach 9h 16min und 54sec vorbeigelaufen. Macht nix! Nach einer Emotionalen Umarmung mit Alex sinke ich zu Boden. Keinen Meter mehr weiter geht es. Ich kann meine Augen kaum aufhalten und brauche über eine Stunde um wieder ansatzweise zu mir zu kommen. Es war aufgrund vieler Umstände nicht mein allerbestes Rennen, aber sehr wohl mein härtestes. Soviel steht fest!!!
Nun, im Nachhinein frage ich mich: Hätte ich mich können noch mehr quälen um den zweiten Platz herauszuholen? Vielleicht? Egal, es war WAHNSINN!!!
Nochmals vielen lieben Dank an meine Familie und allen Supportern die bereitstanden und ein Teil dazu beigetragen haben!

Text: Max Kirschbaum