Essstörungen im Trailrunning

Essstörungen im Trailrunning sind nicht nur ein Frauenproblem und längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. © xc-run.de

In unserem Themenspecial für Frauen wollen wir auch auf ernste Themen aufmerksam machen! Uns ist vollkommen klar, dass nicht nur Frauen an Essstörungen leiden sondern auch viele Männer. Die Dunkelziffer ist hier noch höher als bei den Frauen besagen Studien. Trotzdem haben wir das Thema im Rahmen unseres Specials einmal aufgegriffen. Es ist kein wissenschaftlicher Artikel und wurde von keiner Ernährungsberaterin geschrieben, für diesen Artikel kamen Betroffene zu Wort. Natürlich wird es so nicht auf jede/n Sportler/in mit einer Essstörung zutreffen, aber vielleicht findet der oder die andere sich wieder! Auf alle Fälle sollen Essstörungen kein Tabuthema mehr sein, den sie sind bereits in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen! Dieser Artikel soll vor allem eines, Aufmerksam machen und Verständnis schaffen!

Du bist nicht genug

Als sie noch Wettkämpfe lief bewunderte sie immer die dünnen Läuferinnen vorne dran. Der Spruch ihres alten Trainers immer im Hinterkopf, vorne laufen die Bleistifte hinten die Radiergummis. Sie war ein Radiergummi, ganz klar. Wäre sie doch nur ein Bleistift. Dann würde sie vielleicht auch mal vorne mitlaufen und andere würden sie loben. Würden sagen wie gut sie doch sei, würden sie schätzen und sie würde dazu gehören. Aber wer achtet schon einen Radiergummi, hinten im Feld. Was zählt sind vordere Plätze, der Zweite ist der erste Verlierer. Noch so ein Satz ihres Trainers.
Also läuft sie weiter als alle anderen, dreht abends noch eine extrarunde. Und das Essen, das muss ausfallen. Es ist eine wahnsinnige Überwindung. Aber als er sagte, ihr Arsch sei zu fett, um den Berg rauf zu kommen, da stand für sie fest – sie muss weniger essen.
Und so fing es an, der Kampf um einen schlanken Körper, einen sportlichen Körper, der sie zum Sieg tragen konnte. Um endlich das zu finden, was ihr schon ein Leben lang fehlt – Anerkennung, Liebe, Beachtung und ein Gefühl der Zugehörigkeit.

 

Was sind Essstörungen?

Oft beginnen so die Geschichten der jungen Frauen und Männer und enden allzu oft in einer schweren Essstörung. Mittlerweile steigen die Fallzahlen dramatisch an, nicht nur im Spitzensport, sie Jessie Diggins und Gabriela Koukolova. Auch im Breitensport, im Fitnessbereich outen sich immer mehr Sportler/innen mit einer Essstörung. Doch was ist das überhaupt, eine Essstörung?

  • Laut BZGA gibt es drei Formen der Essstörung, Magersucht, Bulimie und Binge-Eating-Störung.
  • Aber auch Mischformen sind möglich oder auch Sportbulimie.
  • Typisch für eine Magersucht ist ein starker Gewichtsverlust oder anhaltendes Untergewicht. Dazu kommt ein sehr stark eingeschränktes Esssverhalten.
  • Die Bulimie charakterisieren schwere Essanfälle, die durch Erbrechen kompensiert werden.
  • Bei der Binge Eating Störung haben die Patienten starke Essanfälle, die aber nicht kompensiert werden.

Eine klare Abgrenzung der einzelnen Essstörungen ist aber fast nicht möglich, der Übergang ist fließend. Und nicht jede/r Esssgesörte ist untergewichtig! Gerade bei Bulimie liegen die Betroffenen oft im Normalgewicht. Die Folgen für den Körper sind oft dramatisch, egal bei welcher Essstörung. Osteoporose, Mangelerscheinungen, hormonelle Veränderungen… Die Liste ließe sich endlos weiterführen.

Sport und Essstörungen

Und dann kommt bei vielen Betroffenen noch der Sport hinzu. Ein Zwang zu trainieren, täglich, mehrmals. Hauptsache der Körper wird gefordert und bringt Leistung. Damit das Gewicht auf keinen Fall steigen kann. Natürlich sind nicht alle dünnen Sportler/innen esssgestört. Also was soll dann ein Bericht über Essstörungen auf einer Trailrunning Seite?
Aufmerksam machen, sensibilisieren. Für die Betroffenen und auch für einen selber. Wann ist es noch normal und wann eine Sucht? Abzunehmen, weniger zu essen, mehr zu trainieren. Sie lief weiter, ließ keinen Wettkampf aus. Je weiter und härter je besser. Etwas Obst musste reichen. Kohlenhydrate, verboten. Energieriegel? Never! Immer öfter ertappte sie sich dabei zu essen, genau dass, was sie nicht essen sollte. Aber noch mehr Sport ging einfach nicht mehr. Also folgte eine andere Art der Kompensation – erbrechen. Und sie lief weiter, lief davon. Vor dem eigentlichen Problem. Gespräche mit Betroffenen zeigen, es ist oft nicht nur das falsche Schönheitsideal, die Jagd nach dem schlanken Körper, der Versuch Höchstleistungen zu bringen.  Vielmehr ist die Essstörung oft ein Symptom für tiefer liegende Probleme. Sie lief nicht nur davon, sie lief vor allem hinterher, der Anerkennung. Mehr wollte sie gar nicht, endlich wo dazu gehören und akzeptiert werden. Endlich gut genug sein. Das war sie zuhause nie gewesen, auch wenn ihre Kindheit glücklich war. Ohne große Probleme, eigentlich. Das ihre Eltern immer Leistung von ihr erwarteten und sie nur fürs brav und gut sein belohnt wurde war ihr lange nicht klar. Dass sie sich immer Autorität unterzuordnen hatte auch nicht. Deshalb hatte ihr Trainer so große Macht über sie, konnte sie so gut manipulieren. Das einzige was sie kontrollieren konnte in ihrem Leben war das Essen, oder das nicht essen. Also versuchte sie wenigstens so die Kontrolle zu behalten. Doch immer öfter war sie erschöpft, immer öfter schaffte sie das Sportpensum nicht. Das Laufen wurde zur Qual, sie hangelte sich von Verletzung zu Verletzung. Dazu gehörte sie schon lang nicht mehr und Spaß hatte sie auch keinen mehr, an gar nichts. Doch der Druck blieb, „bring Leistung, zeig endlich was du kannst, ein Indianer kennt keinen Schmerz“ die Sätze ihrer Kindheit ließen sie weiterkämpfen. Nach außen merkten die wenigsten etwas, schauspielern konnte sie schon immer gut. Aber innerlich tobte ein Kampf.

Hilfe – so einfach ist es nicht

Hilfe suchen fällt den meisten Betroffenen immer noch sehr schwer, eine Essstörung ist anders als eine Alkoholsucht eine sehr unterschätzte Sucht. „Iss doch einfach“ viel zu viele Betroffene haben diesen Satz mehr als einmal gehört. Aber einfach ist hier gar nichts. Das Suchtmittel kann nicht so einfach abgesetzt werden und mit dem Sport kann auch niemand einfach aufhören. Zu sehr werden damit frühere Verletzungen kompensiert, innere Spannung abgebaut. Wer „frisst“, erbricht oder nur Hunger spürt, der braucht sich nicht mit sich selbst beschäftigen und sich mit Gefühlen beschäftigen.
Trotzdem ist es unendlich schwer ohne professionelle Hilfe die Essstörung zu überwinden. Nicht wenige Betroffene suchen sich sehr spät einen Psychologen oder scheitern an langen Wartezeiten. Hilfe bieten gute Selbsthilfegruppen (z.b. Soulfood Journey auf Facebook und Recoverybuddy). Die Betroffenen müssen sich aber erst einmal eingestehen, dass sie Hilfe brauchen und wieder lernen müssen zu essen. Oft werden Angehörige jahrelang im Dunkeln gelassen und die Essstörung perfekt versteckt, hinter Ernährungsempfehlungen, Wettkampfzielen und Unverträglichkeiten. Der falsche Weg sind dann Vorwürfe, dem Betroffenen gegenüber, sich selbst als Angehörigen gegenüber. Besser ist es gemeinsam einen Weg zu finden, alte Wunden zu erkennen und zu heilen und daran zu wachsen. Denn oft verbirgt sich hinter dem angepassten Menschen ein wahres Wunder.

Du bist genug

Es dauerte Jahre bis sie erkannte das sie sich langsam selbst umbrachte. Dass sie sich selbst verletzte, jeden Tag. Indem sie wenig aß, erbrach und sportelte bis zum Umfallen. Dabei liebte sie doch das Leben, wollte frei sein und fliegen können. Die Therapie war lang und schmerzvoll, alte Wunden wurden aufgerissen und mussten langsam heilen. Schließlich folgte das Unvermeidlich, Sportverbot. Sie fühlte sich wie eingesperrt, ein Tiger im Käfig. Die Zunahme an Gewicht brachte sie fast um den Verstand, andere würden sie auslachen. Doch langsam erkannte sie das Licht am Ende des Tunnels. Das war nie sie gewesen, die da gelaufen war, die gelitten hatte. Es waren die Erwartungen der Anderen, die Angst nicht mehr geliebt zu werden. Und als sie das erkannt hatte ging sie hinaus, zog ihre Laufschuhe an und lief. Durch dichte grüne Wälder, über Wurzeln und Felsen. Sie sog die Luft in ihre Lungen, spürte die Sonne auf der Haut und konnte einfach so stehen bleiben, um die Aussicht zu genießen. Sie musste nicht mehr davonlaufen. Sie war angekommen bei sich selbst und der Trail war endlich, dass, was er sein sollte. Etwas zum entspannen und Luft holen, um sich selbst zu spüren, ohne Druck und Angst und Erwartungen.

Was kann man nun tun, wenn man vermutet, dass jemand an einer Essstörung leidet? Was kann man tun um die eigenen Kinder zu schützen? Ein Patentrezept gibt es nicht, so wie dieser Bericht nicht auf jede/n Betroffene/n anzuwenden ist. Dafür sind wir alle viel zu individuell. Zeigen Sie dem (vermeintlich) Betroffenen ihre Sorgen, seien sie ehrlich aber bauen Sie vor allem Anfangs keinen Druck auf. Druck erzeugt Gegendruck. Hören Sie zu aber bleiben Sie ehrlich, wenn Sie das Gefühl haben ohne professionelle Hilfe geht es nicht weiter. Es ist keine Schande einen Psychologen aufzusuchen! Und als Betroffener, lass Sie sich nicht entmutigen, die Reise kann lang und schwierig sein. Aber die Alternative ist zu oft der Tod oder wirklich schwere Folgeerkrankungen. Das lässt sich einfach nicht leugnen. Und keine Medaille, kein Lob, kein Insta oder Facebooklike ist das wert! „Du bist wertvoll, so wie du bist!“

 

Hilfe für Betroffene und Angehörige gibt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, ANAD, dem Bundesfachverband Essstörungen  und vielen anderen Beratungsstellen. Außerdem bei ehemaligen Betroffenen wie Soulfood Journey von Kira Siefert und vielen weiteren! Lassen Sie sich nicht entmutigen und suchen Sie sich Hilfe! Es nicht allein aus der Essstörung zu schaffen ist keine Schande!