LebensLaufLinien: Gunnar – vom Rollator an die Startlinie

LebensLaufLinien: Gunnar Klös - vom Rollator an die Startline © Roland_Solich

„Es zählt nicht die Zeit, sondern die Leidenschaft“! Eine tief beeindruckende, beängstigende und zugleich unglaublich motivierende Geschichte erzählt uns Gunnar Klös in unseren LebensLaufLinien. Eine Geschichte bei der man nicht weiß, ob man lachen, weinen, bewundern oder einfach nur froh über das eigene Glück sein soll. „Jeden Tag ein bisschen besser“ von Gunnar Klös:

Jeden Tag ein bisschen besser…vom Rollator an die Startlinie

Samstag 14.10.2021, ich bin mit meiner Familie in den Herbstferien im Urlaub. Ein Dr.-Oetker-Mini-Kuchen mit einer Kerze steht auf meinem „Frühstücksplatz. 6 Jahre ist es auf den Tag her, als mein Leben kurz stillstand. Seit diesem Tag, feiere ich zwei Mal im Jahr meinen Geburtstag.

Ein Blick zurück

Bei einem Radtrainingslager auf Mallorca im April 2011 passierte es, plötzlich bekomme ich Luftnot und stechende Rückenschmerzen. Was ich für eine Rippenblockade gehalten habe, wird von einem Arzt als einen Spontan-Pneumothorax diagnostiziert. Ursache, unbekannt – bis heute. Die Lunge haftet normalerweise durch einen dünnen Flüssigkeitsfilm am Rippenfell. Tritt Luft in den Spaltraum zwischen Rippenfell und Lunge, fällt die Lunge zusammen (Lungenkollaps oder Pneumothorax).

Mindestens einmal im Jahr kollabiert mir immer wieder der rechte Lungenflügel, für die Ärzte ein Rätsel. Ich entscheide mich 2012 für eine Operation an der Lunge um weitere Rückfälle auszuschließen. Sportlich geht es wieder bergauf, sportliche Höchstleistungen und Höhenflüge folgen. 2013 erreiche ich bei der Challenge Roth (Triathlon Langdistanz: 3,8 km Schwimmen, 180 km Rad und 42,2 km Laufen) eine Zeit von 9:42 Stunden. Es entsteht der Wunsch, sich für die Ironman-WM auf Hawaii zu qualifizieren. Daraus wird jedoch nichts, weil die Lunge nicht mitspielt.

Der Körper macht einen Strich durch die Planung

Leider machte mir mein Körper am 11.10.2015 wieder einmal einen Strich durch die Planung. Bei einem Spinning-Event erlitt ich einen erneuten Spontanpneumothorax, mein fünfter innerhalb von 4 Jahren. Im Krankenhaus entschied man sich, nach der Akutbehandlung, zur Vermeidung weitererRezidivs (erneute Vorfälle) eine Verklebung des Lungenflügels (Pleurodese) durchzuführen. Bei diesem Eingriff wurde leider eine größere Arterie verletzt, die zu einem Blutverlust von rund 30 % führte. Die Situation war lebensbedrohlich und die Ärzte waren der Meinung, dass meine sportliche Fitness meine Lebensversicherung war.

Durch die anschließende Blutzugabe hat sich dann ein Thrombus (Blutgerinnsel) gebildet der ins Kleinhirn wanderte. Dies wurde aber erst nach dem Wachwerden aus der OP festgestellt. Mein Leben hing am seidenen Faden und ich überlebte gerade so, verbrachte eine Woche auf der Intensivstation und anschließend sechs Wochen in der Reha. Meine linke Körperseite war teilweise gelähmt, Fortbewegung war zu Anfang nur mit fremder Hilfe und dann mit Unterstützung eines Rollators möglich. Zum Ende hin war Nordic Walking möglich, wobei die Koordination zwischen Arm und Fuß weiterhin schwierig blieb. Trotzdem habe ich nie daran gezweifelt, selbst auf der Intensivstation, dass ich wieder Sport treiben und laufen kann.

„Jeden Tag ein bisschen besser“

Damals war sein Sohn 6 Monate alt, meine Frau Jasmin und ich hatten ein Haus gebaut und es war nicht klar, wie es weiter geht. Meine Frau hatte Existenzängste und befürchtete, wenn überhaupt, ihren Mann als Pflegefall zurückzubekommen. „Jeden Tag ein bisschen besser“ war mein Motto. Und mit Unterstützung meiner Familie schaffte ich enorme Fortschritte.

Aber erst nach 6 Monaten war ich wieder in der Lage kurz zu joggen und kurz bedeutet hier nicht 5km, sondern wenige Minuten. Von den Ärzten hatte ich grünes Licht bekommen, keine Einschränkungen beim Training. Natürlich schüttelten viele den Kopf als ich wieder den Wunsch hatte einen Marathon zu laufen. Selbst die Ärzte, gerade die die vom Sport nichts verstehen, rieten mir dazu doch lieber 10 km anstatt 42,2 km als Ziel zu setzen. Ich entschied mich aber anders, weil ich 10km Rennen als viel intensiver und anstrengender empfinde als einen Marathonlauf. 

Ich musste feststellen, dass ich weit weg war von jenem Leistungssportler von vor der Operation.  Von einer Marathonzeit unter 3 Stunden, wie 2006 in New York (02:56 Stunden) oder in Frankfurt 2008 (02:48 Stunden), oder der Teilnahme an einer Triathlon-Langdistanz war Lichtjahre entfernt.  Am Anfang sind die Ziele noch groß. Doch spätestens, als ich bei einem Triathlon-Wettkampf im Juni 2017, dem ersten nach dem Kleinhirninfarkt, beim Schwimmen wegen einer Panikattacke im Wasser aussteigen musste, war die Enttäuschung groß. Vielleicht wollte ich zu früh, zu viel. Ich entscheid mich darauf zu konzentrieren, was meine grölte Leidenschaft war. Das Laufen!  Und zukünftig soll es nicht um Bestzeiten, Pokale und Platzierungen gehen, sondern um die Leidenschaft. Marathon laufen mit Leidenschaft, das Ziel war gesund im Ziel ankommen.

100 % Unterstützung von der Familie

Von meiner Frau Jasmin erhielt ich weiterhin zu 100% Unterstützung, nicht zuletzt, weil sie wusste, wie wichtig mir das Laufen war. Im Jahr 2017 plane ich meinem ersten Marathon nach dem Vorfall. Ich wollte in Frankfurt laufen, meinem „Heimrennen. Hier kenne ich die Strecke, habe kurze Anreise und meine Familie und Freunde konnten zum Anfeuern kommen. Trotzdem waren die Aufregung und Anspannung in meinem Umfeld natürlich schon sehr groß. Nicht das erste Mal, wenn man an meine Starts bei den Ironman Wettbewerben und den Marathons denkt, aber damals sicherlich aus völlig anderen Beweggründen.

Am Geschehen zweifeln und mit dem Schicksal hadern? Nicht mit mir. Ich bin froh im hier und jetzt zu sein und habe gelernt, die wichtigen Dinge im Leben zu erkennen. Durch das Ereignis hat sich mein Freundes-/Bekanntenkreis in den letzten Jahren verändert. Neue Menschen sind in mein Leben getreten, Menschen die mir in dieser Situation überraschend zur Seite standen. Leider sind auch Freunde als solche weggefallen, von denen ich enttäuscht war, da keinerlei Unterstützung erfolgte. Seit dieser Zeit steht die Familie, meine Frau Jasmin und mein Sohn (jetzt schon 6,5 Jahre alt) im Fokus. Sport hat trotzdem einen Platz in meinem Leben und ist Stressabbau und Möglichkeit den Kopf frei zu bekommen. 

LebensLaufLinien: Gunnar Klös - vom Rollator an die Startline © Gunnar Klös

Trailrunning als neue Herausforderung

Aber in jedem Sportler-Herz flackert die Flamme nach neuen Herausforderungen. Nach dem Marathon 2017 in Frankfurt, den ich in unerwarteten 03:21 Stunden absolvierte, folgten zwei weitere und 2019 startete ich beim Boston Marathon. Meine Frau Jasmin ist auch sportbegeistert und leidenschaftliche Läuferin. Sie hat über Umwege zum Trailrunning gefunden und war begeistert. Endlich das Laufen ohne Zeitenstress zu genießen, dabei die Berge zu sehen und auf eine familiäre Laufgemeinschaft zu treffen, hat sie begeistert. Jasmin hat mich hiervon angesteckt und mittlerweile genieße ich es durch die heimischen Wälder zu laufen. Aufgrund der Höhenmeter (natürlich nicht mit den Bergen zu vergleichen) spielt die Zeit und die Geschwindigkeit nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die ersten Erfahrungen im Trailrunning wurden gemacht, jedoch war mir sofort klar, das ist hier kein Geradeauslaufen auf der Straße. Im Straßenlauf ein „alter“ Hase, im Trailrunning ein Rookie. Zudem ist durch den Kleinhirninfarkt meine Koordination und das Gleichgewicht beeinträchtigt. Bei unebenen Wegen und steilen bergab Passagen sind mir unbehaglich und Sicherheit und Gesundheit vorrangig. Hier bedarf es noch intensivem Training, auch außerhalb der Strecke. Das führte dazu, dass ich mich mit Koordinationsübungen, Yoga und zuletzt auch Neuroathletik-Training befasst habe.

Corona bedingt musste ich einige Trail-Veranstaltungen, auch ein geplantes Trail Camp mit dem Team Gamsbock, absagen bzw. sind ausgefallen. Für 2022 sind die Ziele aber schon gesetzt. Das Jahr beginnt hoffentlich mit einem Trail Camp, im Mai 2022 will ich mit Jasmin nach Innsbruck zum Trail Festival und mein Hauptziel ist der ZUT Basetrail XL im Juni 2022. Ich möchte die Rennen genießen und gesund ins Ziel kommen. Es zählt nicht die Zeit, sondern die Leidenschaft.

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