XC-RUN.de Teamathlet Michael Förster war zu Gast beim Brixen Dolomiten Marathon und erlebt auch nach Jahrzehnten im Ausdauersport seine Aha-Effekte. Hier sein wie immer mehr als lesenswerter Eventbericht:
Überraschendes Finish und wertvolles Learning beim Brixen Dolomiten Marathon
Die Ochsenalm beendet den sich schier endlos hinziehenden Singletrail. Cola, Gel und Iso – Carbs und Flüssigkeit – all in! Nun wird’s steil, richtig steil. Über 400 Höhenmeter geht es auf gut zwei Kilometern hinauf. Jetzt beginnt mein Rennen. Jeder Schritt fordert mich. Die Hände auf den Knien abgestützt, kämpfe ich mich Meter um Meter nach oben. Der Schweiß tropf unaufhörlich. Krämpfe kündigen sich in Form unkontrolliert zuckender Oberschenkelmuskeln an. Also doch Raceday. War das wirklich der Plan? Wann hatte dieses Rennen begonnen? An der Startlinie sicher nicht.
Supporter-Mood auf dem Domplatz
Um 7:30 Uhr stehe ich auf dem mittelalterlich-barockes Flair ausstrahlenden Brixener Domplatz und feuere die erste Startgruppe des Dolomitenmarathons an. Mittendrin Basilia. Supporter-Mood überkommt mich. Im Minutentakt folgen die weiteren Gruppen. Als ich um fünf nach halb zur Startlinie gehe, sind nur noch wenige Läufer übrig. Die Einteilung verlief abgesehen vom Elitefeld anhand des Anmeldezeitpunkts. Mir kam dies entgegen. Einige Tage zuvor konnte ich noch nicht einmal beschwerdefrei gehen. Rückenprobleme. Zwei Laufeinheiten während der Woche versprachen nichts Gutes. Schwimmen war die präferierte Fortbewegung meiner letzten Trainingstage. Absagen oder rennen? Wahrscheinlich zum ersten Mal entschied ich mich für einen Mittelweg.
Der Kompromiss
Heute laufe ich nur zum Spaß. Heute laufe ich nur so weit es geht. Und vor allem ohne gesundheitliche Risiken einzugehen. Dies ist mein Kompromiss. Nach so vielen Jahren intensiven Sports verfüge ich über ein gutes Körpergefühl. Die Chance, heute das Finish auf der Plose, dem imposanten Gebirgsstock in den Lüsner Bergen zu erreichen, schätze ich auf dreißig Prozent. Der Warmup-Lauf weicht dynamischem Stretching. Kein Schritt zu viel. Langsam laufe ich los. So weit hinten im Feld bin ich noch nie gestartet. Keine Hektik, kein Rempeln. Brixens gemütliche Gassen laden eher zum Schlendern als Laufen ein. Gedanklich bin ich schon in der Gelateria. Ich fühle in meinen Körper hinein. Die tiefe Muskulatur im unteren Rücken spüre ich bei jedem Schritt. Doch kein richtiger Schmerz. Weiter geht’s. Etwas zügiger. Bald laufe ich auf Läufer der vor uns gestarteten Gruppe auf. Doch ich bleibe vorsichtig.
Der Berg ruft
Nach vier Kilometern geht es in den ersten Anstieg. Ich fühle mich fantastisch. Die Muskeln sind warm. Laktat ist noch nicht zu spüren. Locker laufe ich hinauf. Den Rücken spüre ich nur noch, wenn ich mich stark konzentriere. Wann bin ich so locker, leicht, lässig Anstiege in einem Rennen hochgetrippelt. Noch nie. Nach zwölf Kilometern erreiche ich die Talstation. Cola und das erste Gel. Weiter geht’s bergauf. Die Wegebeschaffenheit wechselt immer wieder. Asphalt, Forststraßen, Wiesenwege und Singletrails. Alles ist dabei. Bei KM 16 und den ersten tausend Höhenmetern wird der Weg für einige Kilometer wieder flacher. Meine Oberschenkel sind noch frisch. Der Laufstil noch immer locker. Inmitten grüner, sonnendurchfluteter Wiesenhänge queren wir St. Georg. Die Hälfte ist fast geschafft. Mir geht es gut. Das Tempo bleibt konstant.
Gipfel in Sicht
Das Terrain wird ab KM 25 steiler. Die Rampe gehe ich nun. Ich vermisse meine Stöcke. Abgestützt auf den Knien setze ich den Oberkörper ein. Die 2.000er Marke fällt. Bald auch die 30 Kilometer-Marke.
Der Gipfel ist zum Greifen nah. Doch das wellige Flachstück führt erst mal um den Berg herum. Rossalm, Kreuztal, Ochsenalm. Ich freue mich über jede Verpflegung. Die Sonne brennt gnadenlos. Selbst das vierte Gel zu nehmen, kostet mich nun Überwindung. Doch ich brauche es. Denn jetzt beginnt mein Rennen.
Rennfeeling
Der Rücken hält. Auch sonst geht es mir gut. Aussteigen ist nun keine Option mehr. Mein Körper hat mich wieder einmal überrascht. Jetzt kann ich „all-in“ gehen und schauen, was noch drin ist. Der Anstieg nimmt kein Ende. Nach einem ersten Plateau geht es weiter. Endlich erreiche ich den Gipfel des Plose Telegraph. Ein leicht abschüssiger Wiesenpfad führt über gut einen Kilometer zum Ziel. Der Quadrizeps schmerzt. Doch die Freude überwiegt. Genau diese überwältigende Freude, die einen überkommt, wenn etwas Überraschendes, Unerwartetes geschieht.
Finish und ein wertvolles Learning
Nach 2.450 Höhenmetern auf der Marathondistanz erreiche ich nach 5:46h die Ziellinie. 22 Minuten fehlen zum Agegroup-Stockerl. Aber mit sowas habe ich mich gar nicht beschäftigt. Heute war ich wirklich nur „just for fun“ da. Trotzdem war dieser Bergmarathon ein großartiges Learning. Die Zurückhaltung zu Beginn hat sich zum Ende bezahlt gemacht. Das sollte ich vielleicht öfters versuchen. Aber vorher geht’s erst noch zum Eisessen auf dem Brixener Domplatz.