Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Lust auf 200 Kilometer auf Langlaufskiern? Bei Minus 10 Grad und durch die Dunkelheit des Nordens? Am Stück versteht sich und das Ganze unter 18 Stunden. xc-run.de Team Athletin Basilia Förster nimmt euch mit auf ihre Reise zum Nordenskiöldsloppet.

xc-run.de Team Athletin Basilia Förster beim Nordenskiöldsloppe

Lautlos fällt der Schnee vom Himmel. Die Schneedecke am Boden wächst beträchtlich. Ich beobachte das Schauspiel geduldig von meinem Zimmer aus. Eingemummelt in Skihose, Hoodie und Decken. Denn eigentlich bin ich Sommersportlerin. Trailrunnerin. Gerne auch lange. Gerne bei Sonnenschein. Auch bei Regen. Auch im Winter. Doch dieses Klima hier ist anders. Zum dritten Mal bin ich nun in Jokkmokk. Zweimal als Betreuerin für Michael beim Nordenskiöldsloppet. Doch diesmal stehe ich selbst an der Startlinie. So viele Geschichten habe ich gehört von diesem Abenteuer am Polarkreis. Ein bisschen was davon habe ich an den drei zugänglichen Servicepunkten selbst erlebt. Doch was würde mich auf den 80 Kilometern zwischen Purkijaur und Njavve erwarten? Ich will es selbst herausfinden. Wird mir meine Erfahrung aus den Ultratrails helfen? Ich bin gespannt.

Wintersaison

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Diesen Winter war ich viel auf Ski. Einmal sogar 100 Kilometer Skating am Stück. Heute wird es doppelt so lang. Und das im klassischen Stil. Aufgrund der Wetterbedingungen wurde das Rennen von 220 Kilometern auf 200 verkürzt. Die Wärmeperiode im März ließ manche Seeüberquerungen nicht zu. Nun ist der Winter wieder zurück. Michael hat heute Morgen noch mal Ski getestet. Aufmerksam verfolgte ich die Gespräche der ambitionierten Langläufer über Skitypen, Schliffe und Handstrukturen. Ich habe nur ein paar Ski dabei. Erstaunte Blicke ernte ich für diese Aussage. Somit konzentriere ich mich auf das Packen meines Rucksacks. Das kenne ich vom Sommer. Windjacke, Skakedry, Stirnlampe mit großem Akku, Blasenpflaster, Smartphone. Bei der Verpflegung vertraue ich auf die Servicepoints.

Start ins Abenteuer

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Die Nacht ist kurz. Nach nur dreieinhalb Stunden Schlaf klingelt der Wecker. Frühstück, eine Stunde Fahrt zum Start, schon stehe ich vor dem gefrorenen See in Purkijaur. Ich bin gut eingepackt. Die Schuhe habe ich innen mit einem Stück Rettungsdecke ausgekleidet, außen schützen Overboots vor Eis und Schnee. Der Start wird auf 5:30 Uhr verschoben. Eine Straße war blockiert. Unsere Kleidung hatte ich schon im Transportsack verstaut.  Aufmachen, Anziehen, Ausziehen, Sack verschließen. Die davon klammen Finger wärmen. Schon ist die halbe Stunde um.Der Startschuss fällt. Mein Abenteuer beginnt. Nicht wie erwartet. Mein Steigwachs klebt. Ich stürze. Zum Glück fällt niemand über mich drüber. Das Startfeld verengt sich schnell auf ein, zwei Spuren. Überholen bringt aufgrund des Neuschnees nichts. Also geduldig bleiben. Das kann ich. Lange geht es über den See, dann wellig durch den Wald. Wieder auf einen See, wieder in den Wald. Dieser Rhythmus wird sich heute noch öfters wiederholen. Nun geht es stetig bergauf. Die Sonne steht tief über der Hochebene Ragalvisjiegge. „Dieses Licht dort ist vor allem von der Stille geprägt“, beschrieb der Forscher von Linné dieses Schauspiel Lapplands. Nur das Knirschen des Schnees beim Stockeinstich und das Skigleiten stören heute diese Ruhe.

Blaubeeren und  Zimtschnecken

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Ich sehe mir die bereits zweite Verpflegungsstation etwas genauer an. Der Energieverbrauch ist verglichen mit dem Laufen deutlich höher. Und dazu kommt, dass ich heute um keine Top-Platzierung laufen muss. Nur Ankommen habe ich mir vorgenommen. Also bediene ich mich. Zimtschnecken, Gels, Riegel, Blaubeerdrink, Red Bull. Und weiter geht’s. Bald folgt eine lange, kupierte Trasse. Der Gegenwind bremst selbst in den Abfahrten. Leider finde ich keine geeignete Gruppe, um im Windschatten zu bleiben. Mein Rhythmus passt nicht. Zu schnell bergauf, zu langsam bergab.Eine Schleife führt uns nun rechts hinunter ans Seeufer in Granudden. Der Anblick dieses skandinavischen Winterwonderlands überwältigt mich. Doch ich muss weiter.  Ich halte in der Gruppe der entgegenkommenden Läufer Ausschau nach Michael. Er ist nicht dabei. Wahrscheinlich ist er schnell unterwegs. Hoffentlich geht es ihm gut.

Am Wendepunkt

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Nun folgt das anspruchsvollste Teilstück bis zum Wendepunkt bei KM 90. Einige Höhenmeter auf kurviger Route fordern noch mal alles. Michael kommt mir von oben entgegen. Wir freuen uns beide. In Sägudden fühle ich mich richtig leer. So leer, dass ich das Gleichgewicht verliere und im Stehen umfalle. Zum Glück ist gleich ein Teamkollege ist zur Stelle und hebt mich wieder auf. Die Erkenntnis verfestigt sich. Während ich bei Ultratrails oft mit einem Minimum an Nahrung auskomme und viel Energie über den Fettstoffwechsel bereitstellen kann, ist Skilanglauf sehr kohlenhydratintensiv. Die Ladephase geht schnell. Eine Zimtschecke und zwei Gels später kämpfe ich mich den Climb in die Gegenrichtung schon wieder gut hinauf. Es ist also doch wie im Sommer. Nach jedem Down kommt wieder ein High. Auf Nachwachsen habe ich verzichtet. Der Ski hält noch einigermaßen und ich will keine Zeit verlieren. Aufgrund der geringen Wachsschicht wechsle ich zwischen Fake-Kick, Zwischenschritt und Grätsche. So kann ich je nach muskulärer Ermüdung zwischen Oberkörper- und Beinbelastung wechseln.

Ich komme gut voran. Die Abfahrten haben teilweise eher den Charakter eines Skiwanderwegs. Ich bleibe defensiv, um keinen Sturz zu riskieren. Bald erreiche ich zum zweiten Mal die Schleife in Granudden. Auf dem kurzen Uferweg bläst der Wind mir nun unerbittlich ins Gesicht. Die Sturmhaube war eine gute Wahl. Mehr als 10 Stunden bin ich schon unterwegs. Im Sommer werden nun die Beine schwer und an den Füßen bilden sich Blasen. Die spüre ich heute an Daumen und Handballen. Die Beine sind noch frisch. Der Oberkörper ist der limitierende Faktor. Immer schwerer fällt es mir, die Arme zu heben. Ich freue mich auf die Abfahrten, um mich wieder etwas zu erholen. Nun geht es im stetigen Auf und Ab die lange Trasse entlang. An einer der kommenden Stationen bietet man mir nochmal Steigwachs an. Doch ich will weiter. „I just wanna go home“, entgegne ich und mache mich auf den Weg. Langsam verabschiedet sich die Sonne und ich setze meine Stirnlampe auf. Die Überquerung des Sees vor Purkijaur im Dunkeln ist atemberaubend. Wenn nur die Kälte nicht wäre. Das lange Doppelstockschieben in den Flachstücken führt immer wieder zum Einfrieren meiner Zehen. Ich bewege diese so viel wie möglich. Und zum Glück tauen sie auch immer wieder auf.

Zurück am Start, aber noch nicht im Ziel

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Endlich erreiche ich den Startpunkt in Purkijaur. Fackeln säumen die letzten Meter vor dem Startbogen. Dies ist der mental kritischste Punkt. Denn statt am Start auch wieder zu enden, geht es nun noch zwanzig Kilometer weiter nach Jokkmokk. Erinnerungen werden wach. Hier musste Michael 2017 aufgrund kältebedingter Augenprobleme aussteigen. 2018 belebte ich seinen eingefrorenen Fuß, um ihn auf den Weg zum Finish zu schicken. Das warme Zelt will auch mich in Versuchung führen. Mir ist bitterkalt. Doch da höre ich schon Michael rufen „Brava Basilia“. Er versorgt mich mit Sportdrink, Gel und Zimtschnecke. Und ohne Nachzudenken schiebe ich mich aufs Eis zurück.

Coming Home

Nordenskiöldsloppet aus den Augen einer Trailrunnerin © Michael Förster

Die kalte Polarluft kriecht nun durch all meine Kleidungsschichten. Ich überlege, ob ich meine Skakedry aus dem Rucksack packe. Nein, ich will bloß noch nach Hause. Der letzte Berg wärmt mich im Anstieg wieder etwas auf, nur um mich in der Abfahrt noch mehr auszukühlen. Gerne wäre ich gelaufen, um warm zu werden. Stattdessen verharre ich steif in der Abfahrtshocke. Doch auch diese Trasse nimmt ein Ende. Ich sehe Lichtstrahlen durch den Wald schimmern. Ich höre Musik. Jokkmokk. Eine letzte Schleife um den kleinen See. Da ist er. Der Zielbogen. Ein letztes Mal hebe ich nach 17 Stunden, 48 Minuten und 32 Sekunden meine schmerzenden Arme. Diesmal zum Jubel. Ich bekomme die „Pavva Lasse“-Medaille übereicht. Diese Auszeichnung geht zurück auf den Sieger des historischen Rennens 1884, der die volle Distanz von 220 Kilometern in 21:22h bewältigte. Auf unpräparierten Loipen und mit Holzski. Und bestimmt noch bei kälteren Bedingungen als die -10 Grad jetzt im Ziel. Innerhalb von Sekunden beginne ich zu zittern. Michael und ein paar Helfer packen mich in Decken und bringen mich zum Feuer. Ich bin so glücklich. Ich hab es geschafft. Nach Hause. Nie hätte ich gedacht, dass ich das mal im kalten Jokkmokk sagen würde.  

Ultrarunning mit Basilia: Die Welt der langen Strecken

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In unserer Serie gibt sie euch einen Einblick in die „Welt der langen Strecken“.