Die Welt der langen Strecken: Strukturierte Trainingsplanung

23.09.2017: Arberland Ultra Trail, Tag 2 - © Marco Felgenhauer / Woidlife Photography © Marco Felgenhauer / woidlife photography

Du hast die ersten beiden Artikel über die Welt der langen Strecken gelesen. Extremszenarien wie Schlafentzug und völlige Erschöpfung haben Dich nicht abgeschreckt. Haben Dich vielmehr neugierig gemacht. Du spielst nun mit dem Gedanken, selbst diese Abenteuer zu erleben? Selbst Gebirgsmassive zu umrunden. Das Wechselspiel von Sonnenaufgang- und -untergang in atemberaubender Natur zu erleben. Grenzen in Zeit und Distanz außer Kraft zusetzen. Dann geht’s nun an die Vorbereitung, an die Trainingsplanung.

Verschiedene Trainingswelten

Trainings-Storys lassen sich zwei Kategorien zuordnen. Dem Profi-Lifestyle, also der Handvoll Läufer, die 24/7 im Train-Eat-Sleep-Repeat-Mode verweilen können. Und den Amateur-Helden. Die tagsüber im Job alles geben, sich abends um ihre Familie kümmern, 3 Stunden schlafen und noch vor den Earlybirds zum Longrun aufbrechen. Die Mails werden während des Laufens diktiert und der Pizzaservice an die Laufstrecke bestellt – das stand wirklich in einem Bestseller über Ultrarunning!
Mein Ansatz ist nicht ganz so spektakulär. Ich kam erst spät zum Sport und noch später zum Laufen. Mit Mitte 20 lief ich ab und zu mit meinem Mann. Bei den ersten Wettkämpfen war ich erstaunt, wie gut ich mithalten konnte. Je länger die Distanz, desto besser mein Ergebnis. Ich betrachtete das Training trotz erster Erfolge immer noch ausschließlich als Spaß. Hatte ich Lust, schnell zu laufen, lief ich schnell. War mir nach einer entspannten Einheit zumute, schaltete ich ein, zwei Gänge runter. Mein Training kannte keinen Plan. Es verlief ganz nach Gefühl. Und mit noch mehr Spaß. Das sollte so bleiben – und sich doch etwas ändern.

Mit Struktur zum Erfolg

2017 brachte ich Struktur in meine Trainingsplanung. Mein Plan war, bis April sowohl auf Langlaufski als auch in Laufschuhen unterwegs zu sein. Da in den Bergen noch Schnee lag, begann ich mit flachen Straßenläufen. Ab Mai lag der Fokus dann auf Trailrunning. Trotzdem baute ich alternative Sportarten ein. Im Winter war ich schon immer viel auf Langlaufski. Mein Mann ist Langläufer. Will ich ihn zwischen November und April sehen, muss ich auf die Loipe. Im Sommer plane ich zumindest eine Einheit pro Woche nicht in Laufschuhen. Mal sind es Rollski, eine Runde Mountainbike oder Krafttraining. Da bin ich flexibel.
Flexibel bleibe ich auch in meiner Laufplanung. Ich glaube weniger an das letzte Detail. Ich glaube an Big Points.
The long run rules. 7×1 Stunde oder 1×7 Stunden. Immer vorausgesetzt, die Grundlage ist da und der Ultratrail nicht mehr weit – der Fokus gilt immer dem langen Lauf. Mindestens ein Tag am Wochenende ist dafür reserviert. In den Bergen. Höhenmeter sammeln. Für die Ultratrails. Auch hier priorisiere ich. Ein, maximal zwei Höhepunkte im Jahr. 2017 war das der Zugspitz Ultratrail und der UTMB. Dazwischen nutze ich Aufbauwettkämpfe als intensives Training. In der Trailrunszene höre ich oft, „flat is boring“. Ich finde, „flat is challenging“. Trails gehen bergauf, bergab auf wechselhaftem Untergrund. Und dazwischen auch mal flach. Unterschiedliche Muskeln teilen sich die Arbeit. Die Herzfrequenz variiert. Da hilft es schon mal, 21 oder 42 KM mit konstant gleicher Belastung zu rennen. Oder 10 mit 1.000 Höhenmetern bergauf. Und das ohne langes Tapering. Nach einer harten Trainingswoche. Eben wie im Training.

Disziplin und Spaß

Strukturiertes Training bedeutet für mich eine Gratwanderung aus Disziplin und Spaß. Laufen ist Spaß. Intervalle nicht immer. Selten währenddessen, meist erst danach. Lauf-ABC, Dehnen und Stabi gehören zur Kategorie Disziplin. Das kostet mich mehr Überwindung. Mein Trick ist, daraus kein eigenes Training zu machen. Die Elemente integriere ich in meine Standardeinheiten unter der Woche. Ich laufe da meist 12, 13 KM flach. Laufübungen streue ich ins Training ein, Dehn- und Stabiübungen bilden den Abschluss. Genauso mache ich es mit Intervallen. 3×2 KM eingestreut in meist kurze Einheiten, manchmal auch in den Longrun.
Im Wochenschnitt ergibt das dann 100 KM. In der Hochsaison auch öfters mal 140.
Das alles soll keine Anleitung zum Nachmachen sein. Nur einen Einblick in meinen Trainingsalltag geben. Mit allen Stärken und Schwächen. Auch Ultraläuferinnen haben mal keine Lust aufs Training. Nach einem harten Arbeitstag kostet es immer Überwindung zu trainieren. Oft hilft mir ein kurzer Powernap. Danach werden es meist super Trainings. Schlimmer ist der Morningrun. Hier hilft mir ein klarer Plan. Und der muss schon am Abend stehen. Wann, wie lange, wie schnell. Ein richtiger Earlybird werde ich nie. Aber es wird schon besser.

Der Schutz vor Überforderung

Es fällt mir auch schwer, im Training an die Schmerzgrenze zu gehen. Ich bin definitiv kein Laktatjunkie. Ich bin im Wettkampf immer wieder überrascht, wie leicht mir eine schnelle Pace fällt. Drei Tage vorher im Training konnte ich die gleiche Geschwindigkeit keine 3 Intervalle lang halten. Ich glaube, mein Körper schützt sich vor Überforderung. Und wenn’s drauf ankommt, sind noch Reserven da.
Vielleicht könnte ich mit einem strukturierten Plan noch besser sein. Wahrscheinlich aber mit weniger Spaß. So fühle ich mich flexibel. Höre viel auf meinen Körper. Improvisiere, aber verliere nie den Fokus. Und auf den ganz langen Strecken verlieren Tempohärte und anaerobe Schwelle an Bedeutung. Da hilft mir die Freude an den Bergen, die zahllosen Naturschauspiele. Sie lassen mich weitermachen, wenn der Körper schon Schluss machen möchte. Da zahlt es sich oft aus, in der Vorbereitung auch mal einen spontanen Ruhetag gemacht zu haben.