Keine Berge sind keine Option: Interview mit UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide

Katie Schide - strahlende Siegerin beim UTMB 2022
Katie Schide - strahlende Siegerin beim UTMB 2022 © Mathis Dumas

100 km lang dominiert sie beim UTMB 2022 das Rennen. Bis sich der Magen meldet. Sie kämpft, ihre Verfolgerin überholt und baut einen 10-minütigen Vorsprung auf. Bei Kilometer 142 wendet sich das Blatt erneut – und nach 171 Kilometern kommt sie mit 75 Minuten Vorsprung ins Ziel. Ein Rennkrimi, wie ihn nur die großen Rennen schreiben. In der Hauptrolle: die Amerikanerin Katie Schide.

Die North Face Athletin wusste genau, worauf sie sich beim Ultra-Trail du Mont-Blanc mit seinen 171 Kilometern und 10.000 Höhenmetern in der Königinnendisziplin einlassen würde. Sie kam 2021 als 8. Frau ins Ziel, 2019 sogar auf Platz 6. 2018 belegte sie den 2. Platz beim CCC, dem Courmayeur / Champex / Chamonix Track mit 101 Kilometern und über 6.000 Höhenmetern.

Jetzt, rund 2 Monate nach ihrem Sieg, genießt Katie die Ruhe. Natürlich hat sie noch einen Trainingsplan, aber der darf auch mal gekippt werden – erlaubt ist, was Spaß macht. Sie wirkt ausgeglichen, reflektiert und dankbar. Dankbar nicht nur für ihre sportlichen Erfolge 2022, wo neben dem UTMB auch noch Platz 1 beim Val d’Aran by UTMB (100 Kilometer) und Platz 1 beim Maxi Race Marathon (45 km) standen. Fast schon nebenbei hat sie auch noch eine Doktorarbeit an der ETH Zürich in Geologie abgeliefert.

„An einer Uni wie der ETH Zürich ist es nicht normal, dass man eine Doktorarbeit neben einer anderen Haupttätigkeit machen kann. Ich hatte das Glück, dass meine Leidenschaft fürs Laufen gesehen und unterstützt wurde, so dass die Doktorarbeit trotzdem machbar wurde. Jetzt bin ich aber schon froh, dass ich nicht mehr pendeln muss, keine Laborzeiten mehr einbinden muss und den Fokus voll auf den Sport legen kann.“

Vom UTMB zum Western State – Trailrunning in den USA und Europa

UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide
UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide © Mathis Dumas

Und da steht noch einiges an. Gerade hält der Herbst in ihrer französischen Wahlheimat Einzug und der Winter wird bald folgen. Dann wird sie vielleicht wieder für das US National Skimo Team unterwegs sein. Die Nominierungen stehen noch aus. Nächstes Jahr wird sie außerdem beim legendären Western States Endurance Run (161 Kilometer) in den USA starten. Katie lebt zwar seit Jahren in Frankreich, aufgewachsen ist sie aber an der amerikanischen Ostküste. Ein Heimspiel also? Mitnichten. „Der Western States findet mehrere tausend Kilometer von dort entfernt statt, wo ich aufgewachsen bin. Mit dem Auto würde man mehrere Tage dorthin brauchen. Man übersieht manchmal, wie groß dieses Land ist.“

So groß das Land ist, zieht sich manches doch von der Ostküste bis zur Westküste durch. Das fällt vor allem auf, wenn man von einem anderen Kontinent darauf schaut. „Im Vergleich zu Europa ist in den USA Trailrunning fast gleichbedeutend mit Ultra-Distanzen. Hier in Europa muss man erstmal erklären, was für Distanzen man läuft, ob es Bergläufe sind, und so weiter. Daneben ist die Trailrunning-Szene in den USA vielleicht auch etwas Community-orientierter. Lauftreffs enden öfter mit einem gemeinsamen Kaffee oder Bier und lokale Rennen sind nicht immer so kompetitiv.“ Als Begründung könnte man jetzt recht einfach versuchen, eine unterstellte, allgemeine amerikanische Mentalität heranziehen. Aber reicht das? „Amerikaner sind oft schon recht laut und mitteilsam. Aber das kann man nicht verallgemeinern. Meine Art ist das zum Beispiel gar nicht – ich würde mich eher als introvertiert bezeichnen. Aber vielleicht liegt es daran, dass es im Gegensatz zu Europa in den USA viele größere Städte gibt, in deren Nähe Berge sind. Da liegt es nahe, dass man gemeinsam in die Berge startet. Diese Kombination von großer Stadt und Gebirge findet man hier in Europa nicht so oft.“

Einfach mal locker machen

UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide
UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide © Mathis Dumas

Beim Vergleich der Lauf-Communities bewegen wir uns im Bereich von Annahmen und Hypothesen. Katie ist vorsichtig mit ihren Aussagen, überlegt, hört sich Fragen, Kommentare und Beobachtungen genau an. Es scheint ihr Spaß zu machen, darauf Hypothesen aufzubauen. Die Leidenschaft für Wissenschaft strahlt halt doch noch durch. Noch deutlicher wird das, wenn es um das Thema Training geht. „Ich habe viel Literatur darüber gelesen, Podcasts gehört und rede mit anderen. Ich liebe es, mich in diese Themen reinzunerden,“ sprudelt es los.

Umso überraschender ist ihre Beobachtung, was Trailrunner*innen viel zu oft falsch machen: „Es wird oft zu viel oder zu intensiv trainiert. Ein Trainingslauf sollte dich nicht so fertig machen, dass der Weg zum Auto danach zur Qual wird.“ Sie muss selber lachen, denn aus dem Mund einer Profiathletin, die gerade den UTMB gewonnen hat, ist das doch unerwartet. Und sie setzt noch einen drauf: „Don’t over-complicate things. Meine Trainings sind alle auf Strava – ich bin da sehr transparent. Die meisten würden sich wundern, wie unspektakulär die einzelnen Einheiten oft sind. Ich werde auch oft gefragt, ob ich nach Pulswerten oder ähnlichem laufe. Dabei laufe ich sehr stark nach Gefühl und höre genau in mich rein.“

Deplatzierter Leidensmythos

Genau in sich reingehört hat sie auch beim UTMB, als sie nach gut 100 Kilometern bei Arnouvaz von der bis dahin Zweitplatzierten Kanadierin Marianne Hogan überholt wurde. Katie hatte Probleme mit dem Magen. Die vorher getrunkene Cola hatte einiges zersägt, der Magen wollte nichts mehr drin behalten, Katie musste das Tempo deutlich drosseln, genau überlegen, was jetzt noch geht. Sie hat sich fürs Kämpfen entschieden, konnte den Magen mit einem Käse-Sandwich beruhigen und ist final mit Pauken und Trompeten als erste Frau über die Ziellinie gelaufen.

UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide
UTMB 2022 Gewinnerin Katie Schide © Mathis Dumas

Wir lieben solche Geschichten. Es ist die klassische Heldinnenreise mit Happy End. Aber was heißen solche Geschichten und unsere Begeisterung dafür, wenn man mal mit etwas Abstand darauf schaut? Ist unser Gesundheitsradar im Eimer? Sollten wir nicht sagen: Katie, hör auf, mach dich nicht kaputt? „Es war zum Glück nichts Gravierendes. Ich kenne mich und meinen Körper sehr gut und kann das mittlerweile gut einschätzen,“ relativiert sie.

Und was ist mit diesem Leidensmythos im Trailrunning, den so viele von uns kennen? „Dem kann ich persönlich gar nichts abgewinnen. Wenn jemand während eines Rennens stürzt und anschließend mit gebrochenem Arm weiterläuft, inspiriert mich das überhaupt nicht. Wenn ich merke, dass etwas wirklich nicht stimmt, habe ich auch kein Problem damit, ein Rennen abzubrechen.“ Doch wie lange ist etwas noch ok und ab wann wird es leichtsinnig? „100 Meilen durch die Berge zu laufen, ist generell nicht gesund. Daran gibt es auch nichts zu diskutieren. Das zugrunde liegende Training ist da schon eine andere Sache. Nach tausenden Stunden Training, kenne ich mich und meinen Körper mittlerweile einfach sehr gut. Ich kann morgens aufstehen und merke, dass irgendeine Kleinigkeit nicht 100% in Ordnung ist. Dann passe ich das Training entsprechend an. Das konnte ich vor 6 Jahren aber auch noch lange nicht so gut.“

Keine Berge sind auch keine Lösung

Was können ambitionierte oder auch erst beginnende Trailrunner*innen nun für ihr Training mitnehmen, wenn sie gesund bleiben wollen? Nicht zu hart trainieren, sehr ehrlich auf sich und den eigenen Körper hören und genießen, was man macht. Nach einem ereignisreichen und extrem erfolgreichen Jahr 2022 heißt das für die North Face Athletin jetzt erstmal Skimo-Training. „Ich liebe die Berge einfach und das Skimo-Traininig hat sich diese Saison ja auch ausgezahlt. Da werde ich wohl wenig dran ändern.“

Eine Frage bringt die Wissenschaftlerin in ihr dann aber doch ins Stocken: Hat sie Trainingstipps für Leute, die nicht in den Bergen leben und daher keine Option auf Skisport haben? Sie nimmt lachend die Flucht nach vorne: „In so einer Gegend würde ich nicht wohnen, deshalb stellt sich mir die Frage gar nicht. Aber wenn gar nichts anderes geht, können Indoor-Cycling oder ähnliches eine sinnvolle Ergänzung zum Training sein.“

Hoffen wir, dass möglichst wenige Trailrunner*innen darauf zurückgreifen müssen. Ein paar weitere Alternativen und wie man das Off-Season Training angehen kann, gibt es hier:

Tobias Gerber